Edmund Stoiber über die Kreisklinik:"In der Politik sind Stimmungen immer auch Fakten"

Demo Zukunft Kreisklinik

Vor dem Landratsamt demonstrierten Bürgerinnen und Bürger und forderten den Erhalt der Kreisklinik Wolfratshausen in öffentlicher Trägerschaft, während der Kreisausschuss tagte.

Edmund Stoiber beobachtet besorgt die Debatte um die Zukunft der Kreisklinik Wolfratshausen. Im Interview spricht er über seine Erfahrungen mit dem Krankenhaus, über das deutsche Gesundheitssystem - und über die Notwendigkeit, die Menschen bei großen Reformen einzubinden.

Von Florian Zick

Edmund Stoiber mischt sich eigentlich nicht in kommunalpolitische Angelegenheiten ein. Auf die aktuelle Debatte um die Kreisklinik hätten ihn aber so viele Menschen angesprochen sagt er, deswegen meldet sich der ehemalige Ministerpräsident nun doch zu Wort. Die klare Kollegenschelte spart er sich, er lässt aber auf staatsmännische Art erkennen, dass ihm bei der Vorbereitung der Klinikentscheidung der öffentliche Diskurs deutlich zu kurz gekommen ist.

SZ: Herr Stoiber, wie oft haben Sie schon auf die Dienste der Wolfratshauser Kreisklinik zurückgreifen müssen?

Edmund Stoiber: Sie wissen bestimmt, ich habe drei Kinder - da war das für meine Frau und mich früher immer wieder ein Thema. Als ich in der aktiven Politik beruflich noch viel unterwegs war, da hat dieses Krankenhaus meiner Familie die Sicherheit gegeben, dass uns daheim zur Not jemand helfen kann. Meine Tochter Veronica lag da mal mit Scharlach, mein Sohn Dominic hat als Kind mal die Finger in die Heißmangel bekommen - durch die schnelle Hilfe in der Kreisklinik sind zum Glück keine bleibenden Schäden entstanden. Und so hat jeder seine Geschichten.

Sie haben sich dort also immer wohlgefühlt?

Edmund Stoiber

Edmund Stoiber lebt in Wolfratshausen und kennt die Kreisklinik - auch von innen.

(Foto: Privat/OH)

Immer. Wir haben dort sehr gute Erfahrungen gemacht.

Offenbar gehen viele Leute aber lieber woanders hin. Laut der Vicondo-Studie entscheiden sich nur rund 25 Prozent der potenziellen Patienten für die Kreisklinik.

Ja, da geht es um die große Konkurrenz durch die Kliniken in München. Dieses Problem hat das Kreiskrankenhaus seit vielen Jahren. Deswegen sind ja auch schon viele Konzepte entstanden. Die Klinikleitung hat dazu was entwickelt, auch der Betriebsrat. Wichtig ist aber vor allem das Signal, das die Stadträte von Geretsried und Wolfratshausen am Montagabend mit ihrer gemeinsamen Resolution einstimmig gesetzt haben, in der sie den Fortbestand der Kreisklinik in kommunaler Hand fordern, mit klaren Vorgaben.

Für Landrat Josef Niedermaier gibt es nur eine Lösung, um das Krankenhaus zukunftsfest zu machen - und das ist die Suche nach einem strategischen Partner.

In der Sache möchte ich mich nicht äußern. Aber die Politik ist angesichts der Emotionalität des Themas auf eine breite Zustimmung angewiesen.

Finden Sie denn, dass die Kreisklinik im Kern in öffentlicher Hand bleiben sollte?

Das müssen andere entscheiden. Aber die Krankenhausversorgung ist eine äußerst sensible Angelegenheit. Ich war zusammengenommen 20 Jahre lang Ministerpräsident und Leiter der Staatskanzlei. Aus dieser Zeit weiß ich: Wenn Krankenhäuser reformiert werden müssen, ist das immer eine große Herausforderung. Natürlich spielen Kostenfragen und die medizinische Ausstattung eine wichtige Rolle. Die Pandemie hat uns aber hier auch sensibler gemacht, was eine kleinräumige Versorgung mit Krankenhausbetten betrifft.

Das Finanzierungssystem im Gesundheitswesen ist überaus komplex. Blicken Sie mit Ihrer politischen Erfahrung da noch durch?

Im Detail ist das für einen Laien nicht zu durchschauen. Aber wenn wir in unsere europäischen Partnerländer schauen, zum Beispiel nach Großbritannien, Italien und Frankreich - dann können wir doch sagen, dass die Gesundheitsstruktur in Deutschland sehr gut ist.

Sie mischen sich in kommunalpolitische Themen eigentlich nicht ein, haben aber immer gesagt, dass man auf Sie zählen könne, wenn es um die Sicherung des Klinikstandorts geht. Sehen Sie diesen Punkt nun gekommen?

Ja, durch die Fülle der Reaktionen, die ich bekommen habe. Ich lebe in Wolfratshausen ja nicht abgeschottet und habe auch noch ein Büro in München. Die Menschen haben ein Stück Vertrauen in mich. Wenn etwas ist, denken sich halt viele: Das schreibe ich mal dem Stoiber.

Haben Leute Sie aktiv um Hilfe gebeten?

Ich wohne seit 1961 mit kurzer Unterbrechung hier, erst in Waldram, dann in Geretsried, jetzt in Wolfratshausen. Die Leute hier kennen mich nicht nur als Ministerpräsidenten aus dem Fernsehen. Mit vielen hatte ich schon mal Kontakt, wenn auch vielleicht nur sporadisch. Die melden sich dann, wohlwissend, dass ich versuche zu helfen, wenn es nötig ist. Ich gebe die Anliegen dann weiter, an die Bürgermeister oder an Martin Bachhuber, meinen Nachfolger im Landtag und CSU-Fraktionsvorsitzenden im Kreistag.

Über die Zukunft der Kreisklinik wurde bis zu dieser Woche nur hinter verschlossenen Türen debattiert. Ein Fehler?

Ich will da keine Kritik üben. Schauen Sie, unser ganzes Land ist aufgebaut auf repräsentativer Demokratie. Es gibt mittlerweile aber neue Diskussionsforen in der Politik. Die politische Debatte findet inzwischen intensiv in den sozialen Netzwerken und allgemein im Internet statt. Die Politik muss diese Debatten in ihre Entscheidungen einbetten. Der Beschluss fällt dann im Kreistag, Landtag oder Bundestag. Aber diese Diskussionen müssen in unserer gewachsenen Demokratie heute noch stärker einbezogen werden.

Die aktuelle Debatte wird sehr emotional geführt, vor allem von Mitarbeitern der Kreisklinik, die um ihre Zukunft bangen. Können Sie das verstehen?

Das ist ja auch eine ausgesprochen emotionale Angelegenheit. Das Kreiskrankenhaus betrifft alle im Raum Wolfratshausen und Geretsried. Die Politik muss sich mit den Emotionen und Stimmungen auseinandersetzen, die so ein Thema birgt. In der Politik sind Stimmungen immer auch Fakten. Ich erinnere mich zum Beispiel auch an die Debatten zum Asylrecht, die es zu meiner Zeit als Innenminister gab. Die Sitzungen haben meistens eine halbe Stunde später angefangen als geplant - einfach, weil so viele Leute draußen standen, die mit mir darüber reden wollten. Da kann man als Politiker kaum vorbeigehen, da muss man das Gespräch suchen. Und in den vergangenen 20, 30 Jahren hat sich da sehr viel geändert. Jetzt finden diese Wortmeldungen vermehrt im Netz statt.

Und diese Veränderung muss man als Politiker annehmen, finden Sie?

Klar, wir müssen doch nah am Menschen sein! Die Gemeinden haben ihre Vertreter in den politischen Gremien. Aber das reicht den Leuten heute nicht mehr, die wollen sich auch direkt einbringen, und sei es über Demonstrationen oder das Internet.

Weil dieses Einbringen in der Debatte um die Kreisklinik bislang kaum möglich war, droht eine alte Nord-Süd-Spaltung wieder aufzubrechen. Im Norden hat man das Gefühl, man wolle ihnen etwas wegnehmen.

Der heutige Landkreis war ja lange gespalten, auch nach der Gebietsreform noch. Bis 1994, also über 20 Jahre nach der Zusammenlegung der beiden Altlandkreise Bad Tölz und Wolfratshausen, bildete der Süden noch zusammen mit Garmisch einen Landtagswahlkreis, der Norden wählte zusammen mit Miesbach einen Abgeordneten. Es war eine große Leistung, das alles so zusammenzuführen, wie es jetzt ist. Ich bin deshalb froh, dass man die Bürger bei der Debatte um die Zukunft der Kreisklinik jetzt einbindet. Viele Menschen verbinden ein persönliches Erlebnis mit diesem Krankenhaus. Deswegen sollte es jetzt nicht zu einem Fall werden, der wieder spaltet.

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