Süddeutsche Zeitung

Dietramszell:Ein Spielplatz für Kreuzotter und Perlmuttfalter

Mit dem Ebenbergfilz in Dietramszell hat der Landesbund für Vogelschutz die größte Moorfläche seit 40 Jahren erworben. Das fast 15 Hektar große Gebiet wurde nach dem Zweiten Weltkrieg entwässert - nun soll es renaturiert werden.

Von Jakob Teterycz

"Vom Moor hat man ein bisschen Angst", sagt Förster Peter Melf, "und vielleicht ist das gar nicht so verkehrt." Das Ebenbergfilz in Dietramszell ist allerdings nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Erst wenn man den Waldkranz durchquert hat, beginnt der moosige Boden nasser und die Freude über geeignetes Schuhwerk größer zu werden. Ein kleiner Trost, denn gleichzeitig spuken einem Gruselgeschichten über Menschen, die im Moor verschwinden, durch den Kopf. An diesem Novembertag aber ist keiner verloren gegangen: Vertreter des Landesbunds für Vogelschutz (LBV), der Gemeinde und des Naturschutzes - alle sind da.

Die 14,7 Hektar große Moorfläche des Ebenbergfilzes ist seit Mai im Besitz des LBV. In Kooperation mit anderen Naturschutzverbänden soll hier der natürliche Zustand des Hochmoores wiederhergestellt werden. Laut Tölzer Landratamts liegen elf Prozent der Fläche des Landkreises auf Moorboden. Dieser erstrecke sich korridorartig auf eine Länge von 30 Kilometern und enthält das komplette Spektrum aller Moortypen Deutschlands.

Birgit Weis, Gebietsbetreuerin des Ebenbergfilzes, spricht bei dem Pressetermin im Moor von Maßnahmen der Renaturierung, die durchgeführt werden müssten. Dies bedeute eine Wiederherstellung eines naturnahen Zustandes und Lebensraums in Gebieten, in die der Mensch zuvor eingegriffen hat. Sie erzählt, vor rund einem Jahrhundert habe man Mooren durch das Ausheben von Gräben, das Wasser entzogen, um Torf abbauen zu können - so auch in diesem Fall. Torf bilde sich durch die Zersetzung pflanzlicher Substanzen und eigne sich beispielsweise als Blumenerde, in getrockneter Form aber auch als Brennstoff. Im Filz bei Dietramszell gebe es eine unterirdische Torfschicht von etwa drei Metern. Aus der Not heraus habe man nach dem Zweiten Weltkrieg versucht, die ungenutzten Reserven der Moorfläche abzubauen, um in schweren Wintern die Häuser zu heizen, vermutet Weis.

Die Gräben entwässern das Ebenbergfilz noch heute. Bei Niederschlägen könne man sogar "das Wasser in den Rinnen fließen hören", so Weis. Das sukzessive Austrocknen gefährde aber den Lebensraum vieler Tier- und Pflanzenarten. Dazu gehören Perlmuttfalter, Kreuzottern, Libellenlarven, Moose und weitere kleinere, jedoch hochspezialisierte Organismen. "Der Anteil der gefährdeten Arten ist in Hochmooren am größten", bestätigt auch Elisabeth Pleyl, eine Tölzer Expertin für Moorrenaturierung.

Laut Weis kommt hinzu, dass ein Moor eine enorme Speicherkapazität für Kohlenstoffdioxid besitzt. Ein Moor könne aufgrund seiner Tiefenstruktur sechsmal mehr CO₂ aufnehmen als ein Wald. Durch Entwässerungsprozesse gehe diese Speicherkraft verloren. Eine Verbuschung finde statt. Zudem wüchsen immer mehr vereinzelte Bäume vom Rand aus in das Hochmoor hinein, welche wiederum den Lebensraum für einige Tiere ungeeignet machten. Allein der aktuelle Bestand an Birken im Filz sei "untypisch für ein Moor".

Die Renaturierung bestehe hauptsächlich darin, Dämme aus natürlich vorkommendem Torf oder Holz in die Gräben zu bauen, um das Wasser am Abfließen zu hindern. Auf diese Weise bleibe das Wasser im Moor gespeichert - und auch den Bäumen werde es zu feucht. "So kehrt wieder Ruhe ein", sagt Weis. Diese Eingriffe dauern lediglich drei bis vier Wochen. Weis hofft, bereits im kommenden Jahr mit diesem Projekt beginnen zu können.

Andreas Kopka hat den Verkauf des Ebenbergfilzes initiiert. Er erzählt, die Fläche sei Teil des Nachlasses von Josef Rieker. Als Sachverständiger habe er sich um den Verkauf der 61 Hektar großen land- und forstwirtschaftlichen Flächen gekümmert. Gemeinsam mit der 16-köpfigen Erbengemeinschaft habe er sich stets um eine "sinnvolle Verteilung bemüht". Es sei klar gewesen, dass man mit einem Teil der Fläche "etwas Gutes tun" wolle. Und so seien sie froh, dass das Filz nun "der Natur zurückgegeben werden konnte", so Kopka.

Für den LBV handelt es sich um den flächenmäßig größten Ankauf seit 40 Jahren. Der Kauf wurde durch das Umweltministerium gefördert. Laut Josef Hauser (FW), Bürgermeister von Dietramszell, sei die Gemeinde nach dem LBV der Haupteigentümer des insgesamt 21 Hektar großen Ebenbergfilzes. Die Gemeinde wolle sich an der Aufwertung beteiligen. Im Rahmen der Arbeiten wollen Hauser, Weis und der Vorsitzende des LBV, Walter Wintersberger, auch die restlichen Privatbesitzer des Moores informieren und in das Geschehen mit einbeziehen. So solle die Renaturierung ein "gemeinsames Projekt" werden mit "einvernehmlicher Zusammenarbeit".

Mit seinem Satz von der Angst, die man vor dem Moor haben sollte, spielte Förster Peter Melf übrigens darauf an, das der Mensch in einen solchen natürlichen Lebensraum nicht eingreifen sollten - oder zumindest nicht wieder.

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Quelle:
SZ vom 12.11.2020
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