Süddeutsche Zeitung

Freizeit in den Alpen:Gipfelstürmer mit Antrieb

Die Händler im Landkreis verkaufen immer mehr E-Mountainbikes. Naturschützer sehen die Freizeitsportler in sensiblen Almregionen kritisch

Von Benjamin Engel

Die Begegnung ist kurz, aber exemplarisch: Am Westabstieg des Staffel in der Jachenau steht an einem Freitagabend Mitte Oktober die Dämmerung kurz bevor. Auf der Forststraße Richtung Luitpolder und Lainer Alm kommt dem Wanderer ein E-Mountainbiker entgegen. Der reifere Mann tritt scheinbar mühelos in die Pedale. Schon nach kurzer Zeit ist er um die nächste Wegbiegung verschwunden.

Die Szene verdeutlicht den Trend, mit Hilfe technischer Unterstützung in immer entferntere Bergregionen vorzudringen. Die elektrischen Zusatzantriebe machen es möglich. Der Radius für Touren weitet sich. Damit bleibt die Zeit, selbst vor oder nach der Arbeit noch unterwegs zu sein. Im Internet und in Magazinen werden spontanen Feierabendtouren beschrieben. Das spiegelt den Mountainbike-Boom in den Alpen, bei dem immer mehr Sportler zu elektrisch-unterstützten Exemplaren greifen. Womit die Freizeitindustrie ihre Geschäfte macht, sehen Naturschützer teils äußerst kritisch.

Der Kreisvorsitzende im Bund Naturschutz, Friedl Krönauer, gibt sich wenig zurückhaltend: "Für mich ist das eigentliche Problem das E-Bike", sagt er. Früher hätten die Mountainbiker ihr Sportgerät meist nur genutzt, um den Zustieg zu alpinen Regionen zu verkürzen. Mit technischer Unterstützung könnten die Freizeitsportler nun in bislang unerreichbare, sensible Gebirgslandschaften vordringen. Der Druck auf die Alpen steige. Inzwischen stiegen selbst junge Menschen auf Räder mit der technischen Unterstützung um.

Im alpinen Raum sehe er das E-Mountainbike als sehr problematisches Fortbewegungsmittel, sagt Krönauer. Dem Deutschen Alpenverein (DAV) wirft er vor, die Konflikte mit der Stammklientel der Wanderer auszublenden. Mountainbiker ziehe es von der Forststraße weg hin zu sogenannten Singletrails, das heißt so schmalen Pfaden, dass zwei Personen nicht nebeneinander gehen oder fahren können. Der DAV erkläre laut Krönauer, dass die Mountainbiker nur geeignete Wege benutzen sollten. Zudem werbe er für Verständnis und Toleranz mit den Wanderern. Doch für Wanderer seien die Zweiradfahrer störend. Dieser Konflikt lasse sich nur schwer auflösen.

Aus juristischer Sicht können sich Wanderer und Radfahrer auf denselben Wegen bewegen. Das Bayerische Naturschutzgesetz gewährt ein weit reichendens Betretungsrecht der freien Natur. Ausdrücklich fällt darunter auch das Nutzen von Wegen mit "Fahrzeugen ohne Motorkraft". Für das bayerische Umweltministerium sind das auch E-Bikes. Diese Räder sind nach dem Verständnis der Behörde aus dem Jahr 2012 nicht motorisiert. Damit sind sie rechtlich genauso zu bewerten wie Räder ohne technische Unterstützung. Für Krönauer ist diese Haltung der Dreh- und Angelpunkt aller Konflikte. Der Gesetzgeber müsse die durch den Boom der E-Mountainbikes neu entstandene Situation überprüfen.

Mit dem Ziel, Konflikte auszuräumen und die Natur zu schützen, erarbeitet der DAV derzeit ein Konzept für den Tölzer Landkreis. Die Verwaltungseinheit ist eine der beiden Pilotregionen für das Projekt "Bergsport Mountainbike - nachhaltig in die Zukunft". Pro Landkreis möchte der DAV sieben Trails für die Mountainbiker ausweisen.

Inzwischen haben runde Tische mit Vertretern der DAV-Sektionen, Mountainbike-Gruppen, des Sports, der Lokalpolitik und der Grundstückseigentümer stattgefunden. Doch insbesondere die rechtliche Frage, wer im Unglücksfall haften soll, ist bislang umstritten. Der Gaißacher Landwirt Georg Mair sieht den Staat gefordert. Grundstückseigentümer, über deren Boden Wege führten, müssten entlastet werden, sagt der frühere Vorsitzende des almwirtschaftlichen Vereins Oberbayern.

Die Verantwortung darf aus seiner Sicht nicht auf die Privatbesitzer abgeschoben werden. Ihnen zu erklären, dass sie eben eine Haftpflichtversicherung abschließen sollten, sei zu wenig. "Der Staat soll bei der Haftung präsent sein", findet Mair. Sonst entstehe so eine Art Vollkaskomentalität. "Die Eigenverantwortung ist gleich null." Schließlich habe der Gesetzgeber auch ein weitreichendes Betretungsrecht in der Natur eingeräumt.

Mit dem E-Mountainbike ist Mair selbst unterwegs. Solange jeder auf befahrbaren Wegen bleibe, finde er das positiv, erklärt er. Insofern ist das Mountainbike-Konzept im Landkreis für ihn der "richtige Weg", um befahrbare Strecken auszuweisen. Damit gebe es eine rechtliche Handhabe bei Zuwiderhandlungen. Denn auf Steigen im Gelände sei die Fortbewegung mit dem Rad sehr nachteilig. Dank der zunehmend breiteren Reifen schreckten manche selbst vor moosigem Untergrund kaum zurück.

Wer sich ein E-Mountainbike kaufen will, muss dafür finanziell mehr investieren. In der Tölzer "Bike Boutique" kostet das Einstiegsexemplar 2400 Euro. Sollte das Sportgerät besser gefedert sein oder einen bequemeren Sattel haben, wird es schnell teurer. "3500 bis 4000 Euro geben die Leute dann schon aus", sagt Inhaber Andreas Kies. Und trotzdem verkaufe er sieben von zehn Mountainbikes inzwischen mit elektrischer Unterstützung. Die Kunden für diese Art von Fortbewegungsmittel würden tendenziell jünger. Überwiegend kaufe jedoch die Generation 40 plus ein E-Mountainbike.

Im Norden des Landkreises betreibt Helmut Oswald in Wolfratshausen und Geretsried Radgeschäfte. Die Umsätze mit E-Mountainbikes seien in jüngster Zeit um jährlich etwa zehn Prozent gestiegen, sagt er. "Ich denke aber, dass eine Sättigung erreicht ist." Es gebe genügend Sportler, die ohne technische Unterstützung den Berg erklimmen wollten. Auch seien seiner Ansicht nach nicht alle Käufer eines E-Mountainbikes hochalpin unterwegs. Viele wollten einfach ein optisch flotter aussehendes Exemplar haben, sagt Oswald.

Mehr Unfälle mit E-Mountainbikes am Berg können auch die Bergwachten von Lenggries und Bad Tölz derzeit nicht feststellen. Unterschätzen sollte aber niemand vor allem das Herunterfahren am Berg mit solchen Rädern. Mit im Schnitt um die 25 Kilogramm Gewicht sind die E-Mountainbikes nämlich doppelt so schwer wie normale Exemplare. Das gibt zusätzlichen Schub am Weg bergab. Das Fahren muss also geübt sein, findet Kies von der Tölzer Bike Boutique. Beim Bremsen müsse man aufmerksamer sein. Doch wenn er seine Kunden darauf hinweise, bekomme er oft die Standardantwort "Ich kann Radfahren".

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Quelle:
SZ vom 13.11.2019
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