Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Heimatwerkstatt:"Dirndlzucker" und Geruhsamkeit

Der Lenggrieser Dorfladen bietet kunsthandwerkliche Waren an, von gehäkelten Elefanten bis zu gedrechselten Rasierpinseln

Von Petra Schneider

Im Lenggrieser Dorfladen gibt es keine Wurst und keinen Käse. Dafür Schmuck aus Dirndlstoffen, Gürtel und kleine Täschchen aus alten Kletterseilen, bunte Kinderröcke, filigrane Blüten-Haarnadeln, gehäkelte Elefanten und Schweinchen, fröhliche Stoffpuppen, Silberschmuck, Aquarelle und Bücher aus dem Isarwinkel, Kropfbänder, Trachtenstrümpfe, handgedrechselte Rasierpinsel, Honig und Liköre aus Lenggries. Der kleine Laden an der Schützenstraße ist ein Augenschmaus: hell und freundlich eingerichtet, mit alten Holzkommoden und einer abgesägten Treppe als Kleiderständer. Er passt gut in das Brauneckdorf, das noch von Einzelhandel und nicht von Konzern-Ketten dominiert wird. Vor einem Jahr haben die beiden Lenggrieserinnen Fanny Mader und Caro Lijsen den Dorfladen eröffnet. Kreative und handgemachte Dinge aus der Region - so umschreiben sie ihr Konzept. "Sachen, die man nicht unbedingt braucht, aber die das Leben schöner machen", sagt Mader. "Dirndlzucker" heißt ihre Firma, unter der sie ihre handgefertigten Broschen, Anhänger oder Ohrringe aus Trachtenstoff vertreibt. Bis vor einem Jahr war sie auf Märkten in der Region, wo sie Caro Lijsen kennengelernt hat, die ihre Loopschals und Kinderröcke unter dem Label "Apfel & Birn" vermarktet. Weil aber sogar an Weihnachten "die Leute bei uns daheim vor der Tür gestanden sind", haben sich die beiden entschlossen, "das Private und das Berufliche zu trennen", erzählt Mader. Ein eigener Laden, damit die schönen Dinge nicht bis zum nächsten Christkindlmarkt in der Schublade liegen müssen, das war das Ziel.

Mader hat drei kleine Kinder, ist gelernte Handelsfachwirtin und im Südlandkreis bekannt, weil sie sich gegen die Schließung der Geburtshilfestation in der Asklepios-Klinik gewehrt und "harte Kämpfe" mit Landrat Josef Niedermaier ausgefochten hat. "Manchmal muss man sich einfach was trauen", findet die 36-Jährige. Das sei beim Dorfladen genauso gewesen. Als das Geschäft, in dem lange Jahre der "Eisen-Gustl" und später ein "Engelsladen" war, frei wurde, haben die beiden jungen Frauen zugegriffen. An den Eisenwarenladen mit seinen vielen Regalen und Schubläden, in dem man Schrauben noch einzeln kaufen konnte, hat Mader viele Kindheitserinnerungen. "Ich finde es schön, dass wir den jetzt übernommen haben", sagt sie. Um das finanzielle Risiko auf mehrere Schultern zu verteilen, bieten die beiden Chefinnen anderen Kreativen Flächen im Laden zur Miete an. Das macht das Sortiment größer, den finanziellen Druck kleiner. Die Anbieter sind alle aus Lenggries oder der näheren Umgebung, ihre Produkte sind handgefertigt und können individuell bestellt werden. Fotoalben mit Namen zum Beispiel oder gestrickte Trachtenstrümpfe in einer bestimmten Farbe.

Neuerdings macht Mader auch Kissen, die "Kanapee Nordwand" heißen: dunkelgrauer Lodenstoff mit Bergsilhouette, hellgraue Bergspitzen. Sie arbeitet an drei Vormittagen im Laden, ihr Jüngster, der zweijährige Thomas, leistet ihr Gesellschaft. Lijsen hat siebenjährige Zwillinge, arbeitet vormittags stundenweise in einem Büro, nachmittags im Dorfladen, abends näht sie ihre Röcke und Schals. Viel Arbeit, sagt die 33-Jährige, "aber es macht Spaß".

Der Dorfladen ist eine Art Mehrgenerationenprojekt, weil Produkte für und von verschiedenen Altersgruppen angeboten werden. Die "Krachart" aus Kletterseilen zum Beispiel fertigt ein junger Bergwachtler aus Benediktbeuern an, die lustigen Häkeltiere kommen von der "Zoo-Oma". Die Hersteller sind keine hauptberuflichen Kunsthandwerker, aber kreative Köpfe, die hochwertige Qualität abliefern, die Zeit braucht. Zeit - das ist ein Wort, das im Gespräch oft fällt. "Wir sind kein Online-Geschäft, wo man per Mausklick einkauft", sagt Mader. Der Dorfladen sei ein Gegenprojekt zur Schnelllebigkeit. Ein Ort, an dem man die Dinge anfassen kann, wo Zeit für einen Ratsch ist.

Steffi Willibald, die mit ihrem kleinen Sohn vorbeischaut, schätzt diese Atmosphäre und das Angebot. "Der Laden gefällt mir total gut", sagt sie. Tracht, Schmuck, Kindersachen - "ich finde hier immer ein Geschenk." Einheimische wie Gäste gehören zu den Kunden, sagt Mader. "Die Urlauber freuen sich, wenn sie ein Mitbringsel finden, das authentisch ist, aber nicht edelweiß-kitschig." Die Blüten-Haarnadeln zum Beispiel, "eigentlich eine traditionell boarische Sach'", kämen bei den Urlaubern gut an. Und die Resonanz nach dem ersten Jahr? "Der Dorfladen wächst langsam und wird gut angenommen", sagt Mader. Das habe sich bei der "Sternennacht" und beim "Lichterzauber" gezeigt, wo die Leute vor dem Dorfladen zeitweise Schlange stehen mussten. "Wir hätten uns jedenfalls sehr geärgert, wenn hier eine Versicherung reingekommen wäre", da sind sich die beiden einig.

www.dorfladen-lenggries.de

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Quelle:
SZ vom 10.03.2020
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