Dietramszeller Schriftstellerin:Die Geschichten-Erzählerin

Hanni Münzer

Hanni Münzer lebt zurückgezogen in ihrem Elternhaus in Ascholding. Wenn sie dort an ihren Romanen arbeitet, könnte selbst die örtliche Blaskapelle direkt neben ihr zum Marsch aufspielen, sie würde es nicht mitbekommen, sagt sie. Dafür sei sie dann viel zu konzentriert.

(Foto: Manfred_Neubauer)

Einst interessierte sich kein Verlag für ihre Bücher, Hanni Münzer aus Ascholding brachte diese deshalb in Eigenregie heraus. Inzwischen ist die 54-Jährige eine der erfolgreichsten Autorinnen Deutschlands

Von Julie Heiland, Dietramszell

Sie verschenkt gerne Umarmungen, denn eine Umarmung gibt Wärme im Alltag. Wenn sie erzählt, leuchten ihre Augen. Und zu erzählen hat sie viel. Man sieht es der modebewussten Blondine natürlich nicht an, aber Hanni Münzer gehört mit ihren fünf Bestsellern zu den deutschlandweit erfolgreichsten Autorinnen. In nur sieben Jahren veröffentlichte sie zwölf Romane. Ihre Bücher erscheinen in 17 Ländern, darunter Italien, Spanien und die Niederlande. Ja, sogar in China und Albanien wird Hanni Münzer gelesen.

Im Oktober erschien ihr aktuelles Werk "Heimat ist ein Sehnsuchtsort". Der Roman ist der Auftaktband einer zweiteiligen Saga und dreht sich um das dramatische Schicksal der schlesischen Familie Sadler vor dem heraufziehenden Sturm des Zweiten Weltkriegs. Hauptfiguren sind der junge Komponist Laurenz, der nach einem Schicksalsschlag in der Pflicht ist, den elterlichen Hof zu übernehmen, sowie seine Frau Annemarie, die ein schreckliches Geheimnis zu bewahren versucht. Gemeinsam haben die beiden zwei außergewöhnliche Töchter: die mathematisch hochbegabte Kathi sowie ihre an einer seltenen Krankheit leidende Schwester Franzi.

Inspiriert wurde Hanni Münzer, die selbst Wurzeln in Schlesien und auf dem Balkan hat, von der eigenen bewegten Familienbiografie. Sie ließ Anekdoten in die Handlung des Romans einfließen. So wie einst ihr Großvater weiß eine ihrer Romanfiguren so zum Beispiel durch Geschick zu verhindern, in den Kriegsdienst eingezogen zu werden. "Er hat seine kränkelnde Ehefrau, die Großmutter und die fünf Kinder auf ein Fuhrwerk geladen, ist mit ihnen zum Bezirksamt marschiert und hat gesagt: Ich ziehe in den Krieg, wenn ihr so lange für meine Familie sorgt." Ihre Leidenschaft, Geschichten zu erzählen, habe sie von ihrer Großmutter, die Heimatromane geschrieben hat, erzählt Münzer.

Heimat - das ist in Münzers Fall das beschauliche Dorf Ascholding, wo sie mit Ehemann und Hündin Puppi in ihrem Elternhaus lebt. In ihrem ehemaligen Jugendzimmer im Keller hat sich die zweifache Mutter und inzwischen auch Großmutter ihr Schreibparadies inklusive Leseecke eingerichtet. Hier findet sie die Ruhe, die sie braucht, um vollständig in ihre Geschichten einzutauchen. "Da könnte die Ascholdinger Blaskapelle neben mir aufspielen, ich würde es nicht mitbekommen", sagt sie lachend.

Während die 54-Jährige sehr bescheiden bleibt, erzählt ihr Arbeitszimmer mehr von ihrem Erfolg, denn hier findet man neben Notizen und Recherchematerial auch Plakate ihrer Bücher, ja sogar eine chinesische Ausgabe ihres bisher erfolgreichsten Romans "Honigtot". Nach millionenfach verkauften Exemplaren ist nun auch eine Verfilmung in Planung. Am Drehbuch mitschreiben will Münzer jedoch nicht. "Das überlasse ich lieber den Profis!"

Insgesamt ist also kaum zu glauben, dass sich einst kein Verlag für ihre Romane finden lassen wollte. Doch wie die Heldinnen in ihren Romanen ließ sich die ehemalige Skirennläuferin nicht unterkriegen und lud kurzerhand ihren ersten Roman "Die Seelenfischer" bei Amazon hoch. Zunächst blieb es ruhig, bis Münzer im Rahmen einer Werbeaktion das E-Book verschenkte. Innerhalb von drei Tagen gab es 10 000 Downloads. Der Roman rückte auf die Empfehlungsseiten des Anbieters und von Bloggern, von Platz eins der kostenlosen E-Book-Charts auf Platz eins der Bezahlcharts. Nun gaben die Leser Geld für Münzers Romane aus. Bald folgten weitere Teile der "Seelenfischer"-Tetralogie, die nicht minder erfolgreich waren.

Das Blatt hatte sich also gewendet, schon bald klopften Verlage an. Doch zunächst zog die quirlige Ascholdingerin es vor, ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Inzwischen jedoch hat sie sich längst von den Vorzügen eines Verlags überzeugen lassen. Einer der Gründe: Der Marktanteil von E-Books liege bei lediglich sechs Prozent. "Und ich wollte auch die verbleibenden 94 Prozent erreichen. Ein Autor will ja gelesen werden." Zudem beklagt die Autorin, dass Selbstverleger oftmals stiefmütterlich behandelt werden. "Wie die Krümel, die vom Verlagstisch gefallen sind." So blieb es weitgehend von der Branche unbemerkt, dass "Honigtot" im Jahr 2014 das meistgekaufte Buch bei Amazon war, vor Jojo Moyes "Ein ganzes halbes Jahr".

Während "Honigtot" oder "Heimat ist ein Sehnsuchtsort" Historienromane sind, sind "Die Seelenfischer" ein zeitgenössischer Thriller. Auch eine politische Satire hat Münzer unter Pseudonym geschrieben. "Ich habe mich einfach mal ausgetobt", sagt sie. Auf ein bestimmtes Genre will sich die vielseitig interessierte Autorin nicht festlegen. "Ich lasse mich nicht gerne in eine Schublade stecken."

So bunt wie ihr literarisches Schaffen ist auch ihre Laufbahn. Im Alter von sechzehn Jahren zog es Münzer nach Seattle, unbedingt auf eine High School wollte sie. Die nächste Station war Stuttgart, wo sie sich mit 18 ein paar Wochen lang in einem Fast-Food-Restaurant sowie in einem Supermarkt etwas dazuverdiente, um anschließend vier Jahre lang das Leben in Rom zu genießen, ehe es sie in die Heimat zurückzog. Acht Jahre lang arbeitete sie bei Siemens-Nixdorf in der multilingualen Abteilung. Es folgten Zwischenstationen als Mitarbeiterin eines EU-Koordinators sowie als Inhaberin eines Antiquitätenladens, um schließlich als Vorstandssekretärin bei Erich Sixt zu landen. In ihrer Freizeit ging sie ihrem Hobby nach: dem Schreiben. Als ihr Mann schwer erkrankte, kündigte Münzer. An ihrem letzten Arbeitstag lud sie "Die Seelenfischer" bei Amazon hoch - der Beginn ihrer Erfolgsgeschichte.

Gerade arbeitet die Bestsellerautorin am zweiten Band der Familiensaga, der den Titel "Als die Sehnsucht uns Flügel verlieh" tragen und im Herbst 2020 erscheinen wird. Das Thema: der Wettlauf zum Mond. Sie gesteht: "Ich habe nicht mehr Ahnung von Mathematik und Physik als der Durchschnittsbürger. Aber das ist ja das Tolle an meinem Beruf: Ich muss mich in bestimmte Themen so tief reingraben, bis ich sie verstehe - zumindest so weit, um sie verständlich zu erklären. Durch meine Recherchen stoße ich auch oft auf bewundernswerte Menschen, die etwas bewegt haben."

Bewegen möchte auch Münzer etwas: "In jedem meiner Romane geht es letztendlich darum, wie man die Welt besser machen könnte." So thematisiere ihr Roman "Unter Wasser kann man nicht weinen" unter anderem die Vermüllung der Ozeane und "Venedig Love Story" den Irrsinn der Kreuzfahrtschiffe. Und die Autorin steht zu dem, was sie aussendet. So schlug sie das verlockende Angebot einer Kreuzfahrtlinie aus, während einer zweiwöchigen Reise Lesungen an Bord zu halten. "Ich kann ja nicht Wasser predigen und Wein trinken."

Wenn Leser sie auf kleine Fehler im Roman hinweisen, nimmt die Autorin das pragmatisch. "Daraus kann ich nur lernen. Kein Buch ist perfekt. Ein Roman ist immer noch ein Roman und kein Sachbuch." Allgemein ist ihr der Kontakt zu ihren Fans sehr wichtig. Ihnen zuliebe ist sie auf Facebook vertreten, nur aus diesem Grund legte sie sich ein Handy zu. "Ansonsten hätte ich wohl keines." Die Hunderte Mails und Briefe versucht sie allesamt zu beantworten, denn aus dem Kontakt mit ihren Lesern schöpfe sie die Bestätigung, die sie jeden Morgen voller Tatendrang an den Schreibtisch zieht. "Ich bin so happy, meinen Traum zu leben", sagt Münzer. "Ich habe das große Los gezogen."

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