Süddeutsche Zeitung

Dietramszell-Dissertation:Abseitiger Auftrag

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Um die Rolle Hindenburgs zu klären, braucht es keine neue Dissertation

Von Felicitas Amler

Man fühlt die Absicht, und man ist verstimmt: Dietramszell gibt vor, sich in der Causa Hindenburg nun wissenschaftlich absichern zu wollen. Das soll den Anschein höherer Seriosität erwecken. Tatsächlich ist es abermals reine Verzögerung. Es dient nur dazu, die leidige Frage, wohin mit der Hindenburg-Büste in Dietramszell, neuerlich aufzuschieben. Und damit die definitive und unmissverständliche Distanzierung von dem Nazi-Steigbügelhalter Paul von Hindenburg erneut zu vertagen.

Der Gemeinderat, der einstimmig beschlossen hat, eine Doktorarbeit über "Hindenburg und Dietramszell" in Auftrag zu geben, und der Arbeitskreis, der dies angeregt hat, mögen sich über ihre Motive Rechenschaft ablegen oder nicht. Sie können jedenfalls nicht ernsthaft die Meinung vertreten, über die Büste könne erst dann entschieden werden, wenn Hindenburgs Beziehungen zu Dietramszell erforscht seien.

Der Generalfeldmarschall a. D. und spätere Reichspräsident kam von 1922 an zehn Jahre lang regelmäßig zur Jagd nach Dietramszell. Wie auch immer dies im einzelnen vonstattengegangen ist: Am Bild der historischen politischen Figur Hindenburg wird die des Sommerfrischlers und Jägers schwerlich etwas ändern. Und dieses ist ja umfassend erforscht. Es ist das Bild eines Vertreters der verhängnisvollen Dolchstoßlegende und eines Mannes, der kühl kalkulierte, als er Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte. Der Autor und Dietramszeller Bürger Peter Probst formuliert es anschaulich so: Auch Hindenburg hat Hunderttausende auf dem Gewissen.

Bei den Entscheidungsträgern in Dietramszell scheint dies immer noch nicht angekommen zu sein. Sie tun sich leichter damit, dem Aktionskünstler Wolfram Kastner vorzuwerfen, er habe die Auseinandersetzung angeheizt. Ohne Kastners demonstrative Demontage des einstigen Dietramszeller Urlaubsgastes hinge die Hindenburg-Büste immer noch an der Klostermauer. Man sollte dankbar sein, dass dieser Schandfleck entfernt ist. Dazu war keine Doktorarbeit nötig (die es vermutlich wegen zu geringer Relevanz des Themas ohnehin nie geben wird). Es reichten demokratisches Bewusstsein und die bei anderer Gelegenheit so gepriesene Zivilcourage.

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SZ vom 30.01.2015
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