Was sich tief unter ihm am Boden tut, scheint den Weißstorch am Bichler Bahnhof kaum zu interessieren. Der streng geschützte Vogel duckt sich an diesem Märzmorgen tief in seinen Horst, den er auf einem alten Oberleitungsmast errichtet hat, und ist so für die Gruppe von Presseleuten und Bahnmitarbeitern kaum zu sehen.
Und doch sind alle nur wegen ihm an Ort und Stelle. Im Zuge von Sanierungsarbeiten an der Bahnstrecke musste einer von drei Oberleitungsmasten weichen, auf denen Weißstörche ihre Nistplätze errichtetet hatten. Die Deutsche Bahn bemühte sich um Ersatz, ließ einen zehn Meter hohen Mast mit Plattform und Weidenkorb für die seltenen Weißstörche aufstellen. „Störche sind sehr ortstreu“, erklärt Eva Lutz, die als Umweltingenieurin für ihr Unternehmen immer tätig wird, wenn Umweltschutzmaßnahmen gefragt sind. „Die Vögel kehren Jahr für Jahr wieder an dasselbe Nest zurück.“
In der Region rund um Bichl und Benediktbeuern kommen vergleichsweise viele Weißstörche vor, weil ihnen die Loisach-Kochelsee-Moore wertvollen Lebensraum bieten. Weil die Bahnstrecke nahe am Vogelschutzgebiet vorbeiführt, hat die Bahn zusätzlich Vogelschutzmarker an den Oberleitungen anbringen lassen. So will das Unternehmen die Tiere vor den Gefahren durch Stromschlag schützen.
Bis zu 1,5 Tonnen Gewicht muss der Stahlmast für das neue Nest aushalten
Der neu errichtete Horst muss besonders standfest sein, hat er doch später einmal bis zu 1,5 Tonnen Gewicht zu tragen, wenn die Weißstörche den Weidenkorb zum Brüten immer großzügiger auspolstern. „Das ist wie ein Mittelklassewagen an der Spitze eines Maibaums“, sagt Projektleiter Mario Orth von der Deutschen Bahn.
Für ihn und sein Team war es herausfordernd, den zehn Meter hohen Stahlmast mit der Plattform von eineinhalb Metern zu planen und zu errichten. Denn wegen des weichen Untergrunds in Moornähe brauchte es besondere Micro-Pfähle, um das Fundament standsicher zu gestalten. Das machte die Aufgabe aufwendig und kostete Geld. Die Kosten beziffert Orth auf 40 000 Euro.
Die Bahn ließ auf 35 Kilometer Länge die gesamte Oberleitung sanieren
In den vergangenen Jahren investierte die Bahn auch in die regionale Bahnstrecke zwischen Tutzing und Kochel am See, die über Bichl führt. So ließ das Unternehmen vor allem die teils noch aus den 1930er-Jahren stammende Oberleitungsanlage auf 35 Kilometern Länge erneuern. 600 neue Masten stellen sicher, dass zuverlässig Strom fließt.
Am Bichler Bahnhof stand Orth zufolge einer der drei alten Oberleitungsmasten mit einem Storchennest an der Spitze der Kettenwerksabspannung im Wege. Unter einem Kettenwerk verstehen Fachleute die Seile, die den Fahrdraht für die Züge halten. Damit die Konstruktion in der richtigen Position bleibt, muss spätestens alle 1,5 Kilometer abgespannt werden. Betonscheiben an den Masten halten die Aufhängungen mit konstanter Kraft gespannt.

An der Regionalstrecke bei Bichl zu bauen, war für die Bahn zeitintensiv, weil die Sanierung während der Brutzeiten der Störche ruhte. Bis es gelungen sei, ein Unternehmen zu finden, das den neuen Storchenhorst errichtete, habe gedauert, berichtet Umweltingenieurin Lutz. Die Statik zu berechnen, sei komplex gewesen. In einer eigenen Abteilung sind Umweltingenieurinnen wie Lutz für die Deutsche Bahn deutschlandweit tätig. Die Teams sind immer dann gefordert, wenn es um Maßnahmen zum Schutz von Flora und Fauna bei Bauprojekten geht.
In Bichl steht der neue Horst bereit, um Weißstörchen ein neues Nest zu bieten. Als der Vorstellungstermin dafür beendet ist und die meisten gegangen sind, wagt sich einer der geschützten Vögel auf einem der verbliebenen Oberleitungsmasten doch noch aus der Deckung. Der Storch steht im Nest und späht womöglich nach dem künftigen neuen Nachbarn.