Deutsche aus Ungarn:Tradition in der Trachtengruppe

Rund 300 Familien kamen im und nach dem Zweiten Weltkrieg nach Geretsried. Bis heute organisieren sie zum Beispiel den Traubenball.

Etwa 300 Familien kamen im oder nach dem Zweiten Weltkrieg aus den deutschen Siedlungsgebieten in Ungarn in den Landkreis. Nicht jedoch geschlossen: Der erste Teil floh 1945 über München, Starnberg und Bichl nach Beuerberg, wo am 7. Januar 35 Pferdefuhrwerke ankamen. Der andere Teil wurde von Januar 1946 bis Juni 1948 vertrieben. Am 11. Februar 1948 mussten 611 Pusztávamer ihre Heimat verlassen - sie wurden zunächst gemeinsam mit anderen Deutschen aus Ungarn in die sowjetische Zone gebracht, von wo aus viele nach Bayern weiterfuhren. Unter ihnen war der heute 80-jährige Franz Wagner, der Bruder Anton Wagners. Er verließ die sowjetische Zone nach der Vertreibung, um in Beuerberg nach seiner Familie zu suchen. Die fand er im Gut Schwaigwall, wo im Herbst 1945 zwölf Familien untergekommen waren.

Wagners Landsleute lebten, wie er sagt, zu dieser Zeit alle ganz verstreut in Beuerberg. Nach und nach setzte die Wanderung in die gerade gegründete Gemeinde Geretsried ein: In Beuerberg gab es nicht genug Arbeit in der Landwirtschaft, in Geretsried indes mussten Produktionsanlagen der Nazis demontiert und neues Gewerbe aufgebaut werden, Arbeitskräfte wurden also gesucht. Die Deutschen aus Ungarn - hauptsächlich stammten sie aus Pusztávam - sammelten sich in Geretsried nach und nach im Bereich zwischen Tulpenstraße und Traubenweg. Franz Wagner hat dort damals gebaut: Bis heute lebt er in seinem Haus. Die Gegend wurde Dr.-Jakob-Bleyer-Siedlung genannt, nach dem Literaturwissenschaftler Jakob Bleyer, der in Ungarn zwischen August 1919 und Dezember 1920 das Ministerium für nationale Minderheiten innehatte. Jedes Jahr findet in dem Stadtviertel Anfang September ein Siedlungsfest statt.

Bleyer prägte den Spruch "Deiner Sitte, Deinem Volke bleibe treu", den die Trachtengruppe der Deutschen aus Ungarn als ihr Leitmotiv zitiert. In der Gruppe haben sich die Schwaben, wie sie sich selbst nennen, in Geretsried zusammengeschlossen, um ihre Kultur zu pflegen. Zu der zählt etwa der Traubenball, ein jährlich wiederkehrendes Ereignis, das in den Ratsstuben gefeiert wird. In Ungarn handelte es sich dabei um ein Erntedankfest: Die Festsäle wurden mit Trauben dekoriert, zu trinken gab es Wein, den es bis heute nur in Ungarn zu kaufen gibt, wie Wagner sagt: den sehr dunkelblauen und aromatischen Othello, den auf kalkhaltigem Boden wachsenden Weißwein Zierfandler und den trockenen, vom Fuß des Schildgebirges stammenden Tausendgut-Weißwein. Allein diese Tradition wird in Geretsried nicht mehr gepflegt: Es wäre ja auch nicht angebracht, in einer Gaststätte wie den Ratsstuben den eigenen Wein mitzubringen, sagt Wagner. Dekoriert wird dennoch mit Trauben. Genauso wichtig ist den Deutschen aus Ungarn der Faschingsball. Der kommt allerdings ohne Maschkera aus, dafür wird Tracht getragen. Die Trachtengruppe hat mehr als 200 Mitglieder.

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