Depressionen:Die unsichtbare Volkskrankheit

Ausstellung Depression

Gefangen im eigenen Käfig: Mit kleinen Skulpturen setzten sich Weilheimer Gymnasiasten mit dem Thema Depression auseinander. Ihre Werke gehören zu den Exponaten der Ausstellung "Bitte stör mich" im Foyer und ersten Stockwerk des Tölzer Landratsamtes.

(Foto: Manfred Neubauer)

Das Landratsamt Bad Tölz zeigt die Ausstellung "Bitte stör mich - Aktiv gegen Depression". Betroffene und Schüler haben das Thema ins Bild gesetzt

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Ein Mann steht am Eingang des Tölzer Landratsamts und sieht sich ein Foto an, ein anderer schläft in einem Stuhl vor einer Säule im Foyer, eine Frau sitzt auf einem Wartesessel vor dem Empfang. Die Figuren sehen beinahe lebendig aus, zwar nur auf den ersten Blick, aber das genügt. Als Josef Niedermaier (FW) in abendlicher Dunkelheit nach Hause ging, wunderte er sich, wer da nach Dienstschluss noch im Landratsamt herumsaß. "Bis ich gemerkt habe, das sind ja Figuren", erzählt der Landrat. Am Morgen danach erlaubte er sich den Spaß, hinter einer Säule verborgen die Mitarbeiter auf dem Weg zur Stechuhr zu beobachten. "Guten Morgen" und immer wieder "Guten Morgen" bekamen die Pappmaché-Menschen zu hören.

Zehn Bewohner vom "Haus Waldherr" - einer Therapieeinrichtung des Deutschen Ordens für Suchtkranke in Bad Tölz - haben die mannshohen Figuren in zweimonatiger Arbeit geschaffen. Sie sind Teil der neuen Ausstellung "Bitte stör mich - Aktiv gegen Depression", mit der sich das Landratsamt an der Schwerpunkt-Kampagne 2017 des bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege beteiligt. Finanziert wird die Schau zum großen Teil vom Bezirk Oberbayern. Mehr als 100 000 Fälle von psychischen Erkrankungen gebe es in den Einrichtungen des Bezirks jedes Jahr, teilte Bezirksrat Konrad Specker (Freie Wähler) mit. "Und in einer Gesellschaft, in der bloß noch Leistung zählt, werden sie nicht weniger werden."

Kernstück der Ausstellung sind die 30 Porträts, die Fotograf Christoph Hellhake aus Dietramszell vor acht Jahren von Frauen und Männern mit Depressionen aufgenommen hat, die von ReAL Isarwinkel (Rehabilitation, Arbeit, Leben) in Bad Tölz betreut werden. Für den Künstler war es bemerkenswert, dass sie trotz ihrer psychischen Krankheit keinerlei Scheu vor der Kamera zeigten, "kein Spiel mit Masken und Selbstdarstellung, kein Verstecken". Elf von ihnen hat Hellhake heuer noch einmal fotografiert - und es bleibt dem Betrachter überlassen, aus den zwei nebeneinander hängenden Bildern herauszufiltern, ob es der leicht gealterten Person inzwischen besser geht, ob sie die Depression vielleicht sogar überwunden hat, oder ob alles noch schlimmer geworden ist. Für Christine Böhm vom Steuerungsverbund Psychische Gesundheit (SPK) Bad Tölz-Wolfratshausen zeigen die Aufnahmen aber vor allem eines: "Man sieht niemandem was an, es sind Leute wie du und ich."

Ein Depressiver sitzt nackt und rosafarben unter einer großen Maschendrahthaube, während seine blau angemalten Freunde mit aller Kraft ein Loch in seinen Käfig reißen - der sich dort, wo sie das Gitter mit Händen greifen, ebenfalls blau färbt. Mit kleinen Skulpturen haben sich Schülerinnen und Schüler der Klasse Q 11 vom Gymnasium Weilheim in einem Projekt dem Thema Depression genähert. Ihre Werke bezeichnete Stephan Gebrande, Leiter des Gesundheitsamts, als wirklich außergewöhnlich, zeigten sie doch, "wie viel Verständnis da rüberkommt". Weitere Exponate sind ein Totempfahl mit Gipsabdrücken verstorbener Patienten oder auch ein Mosaikbild, das 27 Klienten von ReAL Isarwinkel gemeinsam schufen. Die Ausstellung umfasst nicht alleine das Foyer, sondern auch das Treppenhaus und das erste Obergeschoss. "Sie ist also als Rundgang angelegt", hebt Böhm hervor.

Als Bezirksrat sieht sich Specker als "einen Politiker im Nebenerwerb". Im Hauptberuf ist er Bäckermeister und hat in seinem Betrieb vor kurzem eine 29-Jährige Frau mit Behinderung in einem Modellprojekt angestellt. Die Suche nach Arbeit und Wohnung sei auch für psychisch Kranke schwierig, sagt er. Andere Firmen ruft er dazu auf, seinem Beispiel zu folgen und solchen Menschen eine Chance zu geben: "Probieren wir's aus." Um Hilfe optimal zu gestalten, sei ein Netzwerk aus Politik, Verwaltung und Experten nötig. Specker verwies auf den Krisendienst Psychiatrie im Landkreis, der wichtige Arbeit an Ort und Stelle leiste. Bezahlt wird er großteils vom Bezirk Oberbayern. "Weil die Krankenkassen dazu nicht bereit waren", so Specker.

Depression sei eine Volkskrankheit, sagt Gebrande. Rund acht Prozent der Erwachsenen litten hierzulande akut an dieser Krankheit. Obwohl Prominente wie der ehemalige Fußball-Nationalspieler Sebastian Deisler oder der verstorbene US-Schauspieler Robin Williams über ihre Erkrankung sprachen, sei der Umgang damit noch immer mit "Ängsten, Scheu und Scham verbunden", meint der Leiter des Gesundheitsamts. Depressionen kämen in allen gesellschaftlichen Bereichen vor. Unter Migranten, worunter nicht bloß Flüchtlinge zählen, seien sie doppelt so häufig wie in der einheimischen Bevölkerung. Und in einer alleine auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Arbeitswelt führen Multitasking, permanente Erreichbarkeit und hoher Verantwortungsdruck zu dauerhaftem Stress, der wiederum Depressionen auslösen könne, so Gebrande.

Die Ausstellung im Landratsamt ist bis Ende Oktober zu sehen. Niedermaier wünscht sich, dass sie zu einer stärkeren Sensibilisierung in der Gesellschaft beiträgt. Wie entstehen Depressionen, wie erkennt man sie, welche Auswirkungen haben sie - "man soll ein Gefühl dafür bekommen, was das für eine schlimme Krankheit ist", sagt der Landrat.

Ausstellung "Bitte stör mich - Aktiv gegen Depression"; bis Montag, 30. Oktober, Landratsamt, Prof.-Max-Lange-Platz 1, Bad Tölz; geöffnet montags von 8 bis 18 Uhr, dienstags bis donnerstags von 8 bis 16 Uhr sowie freitags von 8 bis 12 Uhr

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