Kundgebung auf dem Karl-Lederer-Platz:Demo gegen „die neue deutsche Härte“

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Mit selbst beschriebenen Transparenten und einer Menge Regenbogenfahnen haben mehrere hundert Menschen in Geretsried für Demokratie und Vielfalt demonstriert. (Foto: Hartmut Pöstges)

An der von Florian Völler organisierten Kundgebung in Geretsried nehmen an die 500 Menschen teil. Rednerinnen und Redner bekennen sich zu Demokratie, Vielfalt und Widerstand.

Von Felicitas Amler, Geretsried

An einer Stelle seiner Rede hebt Bürgermeister Michael Müller (CSU) seine ohnehin nicht schwache Stimme noch einmal deutlich an. Er hat an die rechtsextremen und homophoben Schmierer-Anschläge der vergangenen Wochen in Wolfratshausen und Geretsried erinnert und sagt nun mit starkem Nachdruck: „Das ist ein nicht hinnehmbarer Akt. Das ist kein Stil, den wir in dieser Stadt tolerieren.“ Die Menge applaudiert heftig. Sie alle - die Polizei schätzt zwischen 400 und 500 Personen - sind am Sonntagvormittag auf den Geretsrieder Karl-Lederer-Platz gekommen, um gegen Rechtsextremismus aufzustehen. Um das zu demonstrieren, was Veranstalter Florian Völler als Titel gewählt hat: „Zammhoitn, ned spoitn“.

Müller ist der einzige Politiker unter den Rednerinnen und Rednern. Völler hat ansonsten ausdrücklich Menschen auf die Bühne gebeten, die beruflich oder ehrenamtlich für soziales Engagement und für Erinnerungskultur stehen. Es ist die zweite Demo unter diesem Titel, die Völler organisiert hat. Im vergangenen Jahr war der Anlass das Geheimtreffen von AfD-Politikern, Neonazis und Unternehmern, bei dem unter dem damals noch als extrem anstößig geltenden Begriff „Remigration“ die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland geplant wurde.

„Ich habe eigentlich nicht vorgehabt, dass wir uns hier wieder sehen“, sagt Völler am Sonntag. Doch: „Dann sind die Hakenkreuze gekommen.“ Auch er erinnert an die Nazi-Symbole und -Parolen auf einem Geretsrieder Privathaus und auf Läden eines homosexuellen Ehepaars in Wolfratshausen. Aber er spricht auch von einer anderen Zäsur, von dem tödlichen Messerangriff in Aschaffenburg. Ihm sei das Gedenken an die Opfer wichtig, sagt Völler, „egal, wer der Straftäter war“. Doch die schreckliche Tat werde instrumentalisiert. „Die Politik schiebt sich gegenseitig die Schuld zu.“

„Über jedes Stöckchen gesprungen“

Völler kritisiert diese Reaktionen. Die etablierten Parteien, so sagt er, seien schon lange über jedes Stöckchen gesprungen und hätten ständig versucht, „sich in der neuen deutschen Härte zu überbieten“. Man dürfe aber nicht Symptome allein betrachten, sondern müsse nach Ursachen fragen. Es fehle in Deutschland an Ärzten, Psychologen, Lehrern, Kindergärtnerinnen und an Wohnungen. Gleichzeitig werde aber eine Verunsicherung in der Gesellschaft geschürt. Dem möchte Völler Demokratie und Vielfalt entgegensetzen. Mit dem Blick auf die vielen Regenbogenfahnen auf dem Karl-Lederer-Platz sagt er, das Publikum der Demo sei offenkundig „sehr verschieden, divers und plural, und das finde ich toll“.

Die Begriffe Vielfalt, Demokratie, Toleranz stehen im Mittelpunkt aller Reden. So sagt der Caritas-Kreisgeschäftsführer Wolfgang Schweiger, wenn der Karl-Lederer-Platz gerade repräsentativ besetzt wäre, würden da etwa zwölf Prozent Menschen mit Behinderung stehen, 20 Prozent mit Migrationsgeschichte, fünf bis zehn Prozent queere Personen, 18 Prozent Kinder und Jugendliche und 23 Prozent über 65 Jahre. Schweigers Credo: „Gemeinsam in unserer Vielfalt sind wir stark.“

Florian Völler hat zum zweiten Mal eine Demo gegen Rechtsextremismus organisiert. (Foto: Hartmut Pöstges)
Flagge zeigen, dafür stehen Hunderte in Geretsried ein. (Foto: Hartmut Pöstges)

Ähnlich äußern sich für den Sozialverband VdK dessen stellvertretende Geretsrieder Vorsitzende Sandra Sidarous-Salzer („Unsere Vielfalt ist unsere Stärke“), für die Diakonie die Sozialpädagogin Ann-Kathrin Güner („Unsere Aufgabe ist es, Brücken zu bauen“), für die Lebenshilfe deren Kreisvorsitzende Petra Wolf („Wir müssen jetzt Flagge zeigen“) und für die Glaubensgemeinschaften der katholische Diakon Michael Baindl („Jeder Mensch hat einen unveräußerlichen Wert“).

Für den Trägerverein Jugend- und Sozialarbeit Geretsried spricht Geschäftsführer Rudi Mühlhans. Er würdigt die Stadt, in der mehr als 120 Nationen meist friedlich zusammenlebten, wie er sagt. Deswegen nenne er sie „die schönste Stadt südlich von München“. Politikern, die über Migration sprechen, empfiehlt er ein Buch des niederländischen Soziologen Hein de Haas als Pflichtlektüre:  „Migration - 22 populäre Mythen und was wirklich hinter ihnen steckt“.

Wolfratshausen ist stark vertreten. Und für Geretsried spricht Bürgermeister Michael Müller (rechts). (Foto: Hartmut Pöstges)
Jung und Alt nehmen an der Demo teil. (Foto: Hartmut Pöstges)

Für den Erinnerungsort Badehaus in Waldram, dem ehemaligen Föhrenwald, sprechen dessen Leiterin Sybille Krafft und die Bundesfreiwillige (Bufdi) Christine Hansen über Widerstand. Sie machen auf die aktuelle Sonderausstellung im Badehaus mit dem Titel „Wärst du im Widerstand gewesen?“ aufmerksam. Die 18-jährige Bufdi sagt, Widerstand heute bedeute für sie, „scheinbar gegebene Tatsachen nicht einfach hinzunehmen“ und für seine eigene Meinung einzutreten. „Wir brauchen Widerstand überall, wo Menschen ausgegrenzt, bedroht, schlecht behandelt werden.“

„Das Gebot von Widerstand heute“

Die Historikerin Sybille Krafft greift einige der eklatanten Äußerungen aus der AfD auf. Wer über die mörderische Nazizeit als „Vogelschiss der Geschichte“ spreche, das Holocaust-Mahnmal als „Mahnmal der Schande“ bezeichne, einen „Schuldkult“ beklage und behaupte, Hitler sei Kommunist gewesen, der betreibe gezielte Desinformationspolitik. Krafft fordert daher: „Dagegen muss man eine unverrückbare Brandmauer errichten. Das ist das Gebot von Widerstand heute.“

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