Pilotprojekt in Bad Tölz-Wolfratshausen:Eine WG für Demenzkranke

Pilotprojekt in Bad Tölz-Wolfratshausen: In den beiden neuen Häuser der Maro-Genossenschaft sollen Demenz-WGs, Pflege-WGs und Mehrgenerationen-Wohnungen entstehen.

In den beiden neuen Häuser der Maro-Genossenschaft sollen Demenz-WGs, Pflege-WGs und Mehrgenerationen-Wohnungen entstehen.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Nach jahrelangem Kampf gegen Widerstände ist das innovative Wohnprojekt der Maro-Genossenschaft in Dietramszell nun fast fertig. Das neue Gebäude am Kreuzfeld bietet jeweils neun Einzelzimmer in zwei Gruppen. Im Obergeschoss gibt es Mehrgenerationenwohnen.

Von Petra Schneider

Edeltraud streift durch die weiträumige Wohnküche und schaut sich um. Sie wirkt unruhig, ein bisschen verloren. "Ich bin noch nicht richtig angekommen", sagt sie. Erst am Vortag ist sie eingezogen, eine attraktive Frau, noch keine 60. Lange bleibt sie vor einem Bild stehen. "Daran kann ich mich erinnern", sagt sie und lächelt. Edeltraud hat Demenz. Sie ist eine der ersten Bewohnerinnen und Bewohner der Demenz-Wohngruppe des neuen Maro-Gebäudes am Kreuzfeld.

Nach 13 Jahren ist dieses innovative Wohnprojekt, das erste dieser Art im Landkreis, nun fast fertig. Das rund 700 Quadratmeter große Gebäude ist mit hellem Holz verkleidet und wirkt nicht klobig. Wo künftig eine begrünte Pergola zum Draußensitzen einladen soll, steht momentan noch ein Stahlgestell. Auch die beiden Gärten müssen noch angelegt werden. Es war ein steiniger Weg zu einer "Pflege- und Demenz-WG", die vom Dietramszeller Verein "Miteinander Füreinander" und der früheren Bürgermeisterin Leni Gröbmaier gegen viele Widerstände durchgefochten wurde. "Eine schwere Geburt", sagt auch Vlasta Beck. "Aber jetzt bin ich sehr glücklich mit dem Bau." Beck ist Mitarbeiterin der Maro-Genossenschaft, die das Wohnprojekt am Kreuzfeld seit 2017 baut. In zwei Wohngruppen im Erdgeschoss gibt es jeweils neun Einzelzimmer in einer Pflege- und einer Demenz-WG, die räumlich und wirtschaftlich voneinander getrennt sind. "Die Bewohner können Kontakt haben, aber sie müssen nicht", sagt Beck.

Die Zimmer sind jeweils 17 Quadratmeter groß und haben barrierefreie Bäder. Die monatlichen Kosten liegen bei 3000 Euro. Ost- und Westflügel sind durch einen gemeinsamen Eingangsbereich verbunden, der immer offen bleibt. Das Foyer, wo künftig Versammlungen der Hausgemeinschaft stattfinden sollen, ist noch leer. Im Obergeschoss gibt es acht barrierefreie Mehrgenerationenwohnungen mit jeweils 70 Quadratmetern. Sie sind alle vermietet; eine junge Familie wohnt dort, Ehepaare und alleinstehende Senioren. In der Demenz-WG sind bereits sechs Zimmer vergeben, vorwiegend an Menschen aus dem Raum München. Für die neun Zimmer der Pflege-Wohngruppe, die ab 1. April bezugsfertig ist, gibt es bislang keine Anmeldungen.

Pilotprojekt in Bad Tölz-Wolfratshausen: Das neue Gebäude der Maro-Genossenschaft für Demenzkranke bietet unter anderem je neun Einzelzimmer in zwei Wohngruppen, sowie zwei große Wohnküchen.

Das neue Gebäude der Maro-Genossenschaft für Demenzkranke bietet unter anderem je neun Einzelzimmer in zwei Wohngruppen, sowie zwei große Wohnküchen.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

"Die Dietramszeller sind sehr zurückhaltend", sagt Beck. Das sei auf dem Land normal, ändere sich aber erfahrungsgemäß nach zwei, drei Jahren. Die Pflege von Angehörigen werde auf den Dörfern vorwiegend in den Familien geleistet. "Man will nicht das Gefühl haben, dass man die Oma abschiebt", sagt Beck. Bei Demenz sei das anders. Der Leidensdruck pflegender Angehöriger werde irgendwann zu groß und dann ein Betreuungsplatz gesucht. "Sonst zerbrechen die Familien daran", sagt Beck.

Die 62-Jährige ist gelernte Altenpflegerin und bei der Maro für Mediation, Koordination und Akquise zuständig. "Mädchen für alles", sagt sie. Derzeit arbeiten 17 Mitarbeiter bei der Genossenschaft mit Sitz in Ohlstadt, die 14 Projekte in Oberbayern gebaut hat oder plant; auch in Wolfratshausen, wo an der Sauerlacher Straße ein Mehrgenerationenwohnen entstehen soll. Herzstück des Konzepts, das von der Initiative "Deutschland - Land der Ideen" ausgezeichnet wurde, ist ein möglichst selbstbestimmtes, nachbarschaftliches Wohnen für Menschen in jeder Lebensphase. Die Bewohner sollen, soweit sie das können, selbst kochen, aufräumen, den Garten bepflanzen, ihren Alltag gestalten. Für jede Wohngruppe gibt es einen Beirat aus Bewohnern oder ihren Angehörigen. "Ein Gremium der Selbstbestimmung", so Beck. Sie entscheiden, welcher Pflegedienst beauftragt wird und wer in die Wohngruppen einziehen darf. Die Beiräte gestalten auch die Einrichtung der beiden 100 Quadratmeter großen Gemeinschafts-Wohnküchen.

Und so sind in der Demenz-Gruppe verschiedene Sofas und Sessel, Kommoden, Einbauwände und Bilder bunt zusammen gewürfelt - Erinnerungsstücke aus früheren Leben. Ein Farbkonzept hilft den Bewohnern, sich zu orientieren: Die Türrahmen sind gelb, lila oder grün, die Klodeckel rot. "Menschen mit Demenz können nicht mehr dreidimensional sehen", erklärt Beck. Farbliche Kontraste seien wichtig für sie. Denn sich orientieren zu können, beugt Ängsten vor. Und sich an alltäglichen Arbeiten zu beteiligen oder auch nur dabei zu sein, verhindert Langeweile. Zwei Faktoren, die sonst eine "Weglauftendenz" begünstigen. In keinem der Maro-Wohnheime gebe es diesbezüglich Probleme, sagt Beck. Dietramszell ist das fünfte Projekt, das sie begleitet. Jeder Bewohner könne dort bleiben, bis zum Schluss. Denn natürlich gebe es in den Wohngruppen eine 24-Stunden-Versorgung durch feste Teams: drei Pflegekräfte im Frühdienst, zwei im Spätdienst, eine nachts. Die Maro ist Eigentümerin und Vermieterin, aber nicht Trägerin der Einrichtung. Jeder Bewohner muss Mitglied der Genossenschaft werden und einmalig Anteile von mindestens 1500 Euro zeichnen. Im Todesfall werden diese wieder ausgezahlt.

Pilotprojekt in Bad Tölz-Wolfratshausen: Vlasta Beck ist als Mediatorin und Koordinatorin für die Maro-Genossenschaft tätig.

Vlasta Beck ist als Mediatorin und Koordinatorin für die Maro-Genossenschaft tätig.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Das Wohnprojekt am Kreuzfeld war eine zähe Angelegenheit. Nachbarn, die unterhalb des an einem Hang gelegenen Neubaus wohnen, hatten sich von Anfang an quergestellt, weil sie die Entwässerung für ungeklärt hielten. Gutachten wurden erstellt, die Kläger strengten erfolgreich ein Normenkontrollverfahren an, der ursprüngliche Investor stieg aus. 2015 griff die Maro die Planungen auf. Die Probleme blieben, weil die Anwohner gegen den genehmigten Bauantrag klagten. Man einigte sich, Drainagen wurden verlegt, die Bauarbeiten verteuerten und verzögerten sich. Auch der Winter 2019 bremste das Projekt aus: Auf dem Dach des Neubaus lagen zwei Meter Schnee, der Schäden verursachte. Die Gesamtkosten stiegen auf sechs Millionen Euro. Damit das Zusammenleben klappt, begleitet Beck die Hausgemeinschaft nun zwei Jahre lang. "Setzen Sie sich erst mal hin", sagt sie freundlich zu Edeltraud und schiebt sie sanft auf ein Sofa.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: