Süddeutsche Zeitung

Das waren Zeiten:Sankt Moritz im Isartal

Ebenhausen und Icking sind vergessene Hochburgen des Wintersports. Postkarten zeugen davon, dass sie einst so beliebt waren wie der mondäne Ort im Engadin. Besonders zum Rodeln und zu Skisprung-Wettbewerben kamen die Gäste zu Tausenden

Von Katharina Schmid

Der Wintersport im Isartal hat eine große Vergangenheit. Anfang des 20. Jahrhunderts machten sich die Münchener an sonnigen Winterwochenenden in Scharen auf gen Süden. Mit der Isartalbahn ging es nach Ebenhausen, Icking und an viele andere Orte im Isartal, um sich an den Hängen hinab zum Fluss oder auf den Hochflächen im Schnee zu vergnügen. Auf alten Postkarten wird Ebenhausen neben Sankt Moritz und Bad Gastein als Wintersportort gepriesen, Plakate warben für einen Ausflug ins Isartal. Von der einstigen Popularität ist nicht viel übrig geblieben, das Isartal als Wintersportdestination in Vergessenheit geraten. Immerhin hat die Ebenhausener Feuerwehr die alte Rodeltradition wieder aufleben lassen und die alte Bahn zum Kloster Schäftlarn im Winter 2017 erstmals wieder präpariert. Auch heuer wird dort Schlitten gefahren, und auf den Loipen des Wintersportvereins Isartal (WSVI) Icking lässt es sich in diesem Winter gut Langlaufen.

Recht anschaulich beschreibt Heimatforscherin Lia Schneider-Stöckl in ihrem Buch "Ebenhausen im Isartal" das einstige winterliche Treiben. Der Mühlweg - seinen Namen trug er, weil die Bauern ihr Getreide auf diesem Weg hinunter zur Klostermühle brachten - wurde im Winter zur Rodelbahn umfunktioniert. Über eine hölzerne Startrampe und ausgebaute Steilkurven ging es hinunter zur Klosterbrauerei. "Die Rodelgäste konnten sich bei der Isartalbahn Schlitten ausleihen, die, unten angekommen, von einem Pferdegespann wieder nach Ebenhausen hinauf gezogen wurden", schreibt Schneider-Stöckl. Zum Aufwärmen gab's für die Rodler oben im Gasthof zur Post, der heute geschlossen ist, oder unten im Klosterbräustüberl Glühwein und Punsch.

Im Buch "Das Isarthal" von 1905 ist nachzulesen, wie der Winter im Münchener Süden um die Jahrhundertwende aussah: "Der Sonntag-Frühzug nach Ebenhausen war gesteckt voll. Beim Einsteigen auf Station Ludwigshöhe bekam ich gerade noch ein Plätzchen zwischen einem Paar Schneeschuhe und einem Rodelschlitten. Man konnte sich recht gut vorstellen, man sei in eine Nordpolexpedition geraten, denn die ganze Ausrüstung der Passagiere deutete darauf hin; die wetterfeste Kleidung sowohl wie die Schneestöcke und die Schlitten. Ein paar Köter konnten bei einiger Phantasie recht gut als Schlittenhunde gelten. Am Bahnhof Ebenhausen gab es ein großes Durcheinander, bis die zahllosen Sportmaschinen alle ausgepackt waren. Während die Rodelbeflissenen, soweit sie nicht Schlitten mitgebracht hatten, sich schleunigst solche zu verschaffen suchten und dann den Rodelbahnen zueilten, sammelten sich die Skifahrer und zogen zur Piste."

Zeitzeugin, zitiert im Buch „Das Isarthal“ von 1905

"Man konnte sich recht gut vorstellen, man sei in eine Nordpolexpedition geraten, denn die ganze Ausrüstung der Passagiere deutete darauf hin; die wetterfeste Kleidung sowohl wie die Schneestöcke und die Schlitten."

Sogar der Schäftlarner Gemeinderat befasste sich im Jahr 1908 mit einer der Rodelbahnen und erließ eine ortspolizeiliche Vorschrift für die Benutzung des Gemeindewegs "Irschenhausen-Schäftlarn". Das "zuschauende Publikum" habe während des Rodelbetriebs neben der Bahn so viel Platz freizulassen, "dass die Rodler unbehindert aufwärtsgehen können". Und weiter: "Im übrigen hat das Publikum den Anordnungen der Polizeiorgane und der uniformierten Lokalbahnbediensteten bezüglich der Ordnung auf der Rodelbahn folge zu leisten." Der Beschluss legt nahe: Auf und neben der Rodelbahn herrschte reger Betrieb. Neben dem Rodeln war Skijöring beliebt, Skifahrer spannten Pferd oder Motorrad vor die Bretter und los ging's.

Ans Schlittschuhlaufen auf dem "Eisweiher" in der Nähe des Klosters, heute bekannt als Mockweiher, erinnert sich der Schäftlarner Archivar Josef Darchinger besonders gut. Von 1964 bis 1967 war er Internatszögling im Kloster. "Dort, wo heute der Klosterladen ist, war das Skikammerl von uns Schülern", erzählt er. Skier, Schlitten und Schlittschuhe hatten die Buben dort aufbewahrt, um sie am Nachmittag hervor zu holen und die freie Zeit zwischen Mittagessen und Studierzeit am Abend draußen im Schnee zu nutzen. "Wir waren klassenweise unterwegs und es war immer ein Präfekt dabei, der aufgepasst hat."

Auch im Nachbarort, in Icking, frönten die Besucher dem Wintersport. Die Attraktion dort: die Skisprungschanze, auf der immerhin bis 1972 gesprungen wurde. Im Begeisterungssturm der ersten olympischen Winterspiele 1924 in Chamonix - obwohl deutsche Sportler aufgrund der Kriegsvergangenheit noch ausgeschlossen waren - beschloss man dort, die Wintersport-Vereinigung Isartal ins Leben zu rufen. "Zweck des Unternehmens war es, in Icking eine Sprungschanze zu bauen, Übungshügel ausfindig zu machen und Touren- bzw. Wanderstrecken zu markieren", heißt es in der Chronik des WSVI.

Am zweiten Weihnachtsfeiertag 1926 fand das Eröffnungsspringen auf der Schanze statt. "Viele Hundert Zuschauer - vor allem aus München - waren anwesend", ist dokumentiert. 1947, als die Aktivitäten nach dem Zweiten Weltkrieg beim WSVI wieder zunahmen, wurden ein Isartaler Jugend-Skitag ausgerichtet und eine neue Sprungschanze mit einem großen hölzernen Anlaufturm erbaut.

Zwei Jahre später war Icking erstmals Ausrichter der Münchner Nordischen Skimeisterschaften und Skisprungmeister wie der Bayrischzeller Gustl Müller oder der schlesische Kombinierer Günther Meergans stürzten sich vom Schanzentisch den Hang hinab. Beliebt waren in den 1950er und 60er Jahren auch die Nachtspringen, bei denen mit Hilfe eines Dieselstromaggregats eine Flutlichtanlage zum Leuchten gebracht wurde.

Heute zeugen von der einstigen Skisprunghochburg Icking nur mehr der Anlaufansatz aus Beton und ein hölzerner Wertungsrichterturm auf halber Hanghöhe. "Ab und zu fahren hier noch ein paar Snowboarder und Freerider, die den Schanzentisch als Absprung nutzen", weiß der WSVI-Vorsitzende Thomas Scheifl. Recht viel mehr ist an dem Hang, der einen wunderbaren Blick in Richtung Wallberg bietet, nicht mehr los. Kaum vorstellbar, dass sich hier auch alpine Skiläufer in Richtung Isar hinunterstürzten. "Statt der heutigen Plastiktore musste man meterdicke Buchen und knorrige Fichtenstämme umfahren", beschreibt die WSVI-Chronik die Slalombedingungen. Heute ist die ehemalige Rennstrecke zugewachsen. Auch den Hang der Skisprungschanze, der den Rennläufern zwischen 1990 und 1994 noch zum Training diente, nutzen sie nicht mehr. Seit Jahren fahren die Rennläufer des WSVI ins Zillertal zum Training, dahin, wo es schneesicher ist, die Bedingungen besser sind. Ein Überbleibsel der einstigen Skirennen aber gibt es doch: das Zwergerlrennen, das einmal jährlich am Roth-Hang mitten im Ickinger Ortskern stattfindet. Geblieben ist auch der Langlauf. An der Ickinger Sportanlage können Skater ihre Runden ziehen. Von Walchstadt bis zum Bergkramerhof bei Wolfratshausen warten auf klassische Läufer Loipen, garniert mit besten Ausblicken auf die Alpenkette. "Eine der schönsten Strecken im Oberland", behauptet Scheifl.

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SZ vom 09.02.2019
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