Bergwerk Penzberg:"Wie kann man in so einem Loch überhaupt arbeiten?"

Bergwerk Penzberg: Schuften unter Tage: Aufnahme aus dem Buch: Penzberg und der Kohlebergbau - 'Wir hängen alle an einem Seil!'

Schuften unter Tage: Aufnahme aus dem Buch: Penzberg und der Kohlebergbau - 'Wir hängen alle an einem Seil!'

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Vor 50 Jahren machte das Bergwerk in Penzberg dicht. Für den heute 82-jährigen Steiger Michael Mayr ging eine Welt unter.

Von Alexandra Vecchiato, Penzberg

Ohne Bergwerk hätte es Penzberg vielleicht nicht gegeben. Fast 200 Jahre lang wurde im Ort Pechkohle gefördert, bestimmten hohe Kamine, Schachtanlagen, Seilbahnen und Schutthalden das Bild der Stadt. Rasant wandelte sich der damalige Weiler St. Johannisrain zur aufstrebenden Bergarbeitersiedlung Penzberg. Bis zum 30. September 1966, als es hieß "Schicht im Schacht" - für immer. Das Bergwerk wurde geschlossen, der Pechkohle-Abbau rentierte sich wirtschaftlich nicht mehr, die Bergarbeiter und Angestellten des Betreibers, der "Oberkohle", standen vor dem Aus. An diesem Wochenende erinnert die Stadt an die Schließung der Grube vor 50 Jahren mit vielen Veranstaltungen. Auch ein neuer Bildband zum Thema ist erschienen.

"Weltuntergangsstimmung" - so umschreibt der Penzberger Michael Mayr, wie sich die Menschen damals fühlten. Zuletzt arbeitete der heute 82-Jährige als Steiger im Bergwerk. Sein Leben spiegelt exemplarisch wider, wie sich die Penzberger und ihre Stadt nach diesem großen Einschnitt neu erfinden mussten.

Die Arbeit im Bergwerk begann schon früh

14 Jahre war Michael Mayr alt, als er im Bergwerk anfing. Es sei üblich gewesen, nach der achten Klasse Volksschule arbeiten zu gehen, erzählt er. Da habe es nichts zu überlegen gegeben. Michael Mayr wurde ein sogenannter Kohlstadlbua. Mit anderen jungen Männern, Mädchen und Frauen bereitete er die geförderte Kohle über Tage auf. Sie musste sortiert und gewaschen werden, ehe sie abtransportiert wurde.

Erst mit 16 Jahren durften die Buben ins Bergwerk einfahren, um unter Tage Kohle abzubauen. Angst habe er keine gehabt. Lediglich das Hinunterfahren sei ein "komisches Gefühl" gewesen: "Das ging ziemlich schnell. Meine Ohren machten zu." Das Arbeiten unter Tage habe nichts Bedrohliches für die jungen Leute gehabt, erzählt Mayr. Wenn die Erwachsenen auf der Hausbank sitzend von ihrem Tag erzählten, hätten sie als Kinder zugehört. "Wir wussten, wie es im Bergwerk zugeht. Angst hatte ich keine." Auch wenn er und die anderen Buben nur "halberte Mannsbilder" gewesen seien.

Bergwerk Penzberg: Außenblick auf das Bergwerk. Fast 200 Jahre lang wurde hier Kohle abgebaut.

Außenblick auf das Bergwerk. Fast 200 Jahre lang wurde hier Kohle abgebaut.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Drei Acht-Stunden-Schichten gab es: von 6 bis 14 Uhr die Frühschicht, von 14 bis 22 Uhr die Mittagsschicht und von 22 bis sechs Uhr morgens die Nachschicht. "Auch samstags." Als die Mutter stirbt, Mayrs Vater war im Krieg gefallen, mussten er und seine beiden Geschwister zu Verwandten nach Peißenberg. Von 1951 bis 1956 arbeitete er dort im Bergwerk. Dann kehrte er in seine Heimatstadt zurück, der Liebe wegen. 1956 heiratete er eine Penzberger Bergmannstochter, seine Frau Luise.

Weil er fleißig gewesen sei, durfte er die Fachhochschule für Bergbau in Recklinghausen besuchen. "Eine harte, aber auch schöne Zeit", sei das gewesen. Nach seiner Ausbildung, die er als Diplomingenieur abschloss, kehrte er als Steiger zurück nach Penzberg. 150 bis 180 Männer unterstanden ihm. Er war nicht nur für sie verantwortlich, sondern auch für "sein" Revier. "Ich musste dafür sorgen, dass wir möglichst viel Kohle förderten. Ich beschreibe das gerne als eine kleine Baufirma." Bis 1966. Um 17 Uhr verließ am 30. September der letzte Hunt - also ein Kohlewagen - das Bergwerk.

"Wir hängen alle an einem Seil!"

"In Penzberg gab es keine andere Arbeit", sagt Mayr. Das habe sich bald geändert. Betriebe in der Umgebung stellten ehemalige Arbeiter und Angestellte ein. Denn viele Berufe waren im Bergwerksbetrieb vertreten wie Ingenieure, Schlosser, Elektriker, Maler oder Buchhalter. Michael Mayr zog es zu einer Baufirma nach München. Aber die Arbeit über Tage taugte ihm nicht. Er wechselte zum Straßenbauamt nach Weilheim. "Da war ich richtig."

Bergwerk Penzberg: 24 Stunden lang wurde im Bergwerk gearbeitet - jeweils in drei Schichten.

24 Stunden lang wurde im Bergwerk gearbeitet - jeweils in drei Schichten.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Als die Grube schloss, hatte Penzberg etwa 11 000 Einwohner. Durch die Stilllegung des Bergwerkes stand die Stadt vor einem kompletten Neuanfang. Für 1300 arbeitslos gewordene Bergleute mussten Jobs geschaffen werden. Der Freistaat half bei der Ansiedlung neuer Betriebe. So gelang es, die Firma MAN mit einem Omnibus-Komplettfertigungswerk nach Penzberg zu holen. Mehrere Hundert Bergleute fanden dort Arbeit. 1972 wurde der Pharmakonzern Boehringer Mannheim auf dem Gelände des ehemaligen Nonnenwaldschachts größter Arbeitgeber. Heute befindet sich auf diesem Gelände das Pharmaunternehmen Roche.

Eine Reise über und unter Tage

Michael Mayr berichtet mit Freude über die Arbeit im Bergwerk. Er ist aktiv bei den Penzberger Bergknappen, hat bis zum Umbau des Bergbaumuseums Führungen für Besucher gemacht. Gemeinsam mit Bettina Wutz und Katrin Fohlmeister-Zach hat Michael Mayr nun einen neuen Bildband zur Bergwerksschließung vor 50 Jahren verfasst. Er trägt den Titel "Penzberg und der Kohlebergbau. Wir hängen alle an einem Seil!" (19,99 Euro, Sutton Verlag, ISBN 978-3-95400-684-7). Dieses Zitat stammt von Anton Prandl, der Bürgermeister der Stadt war, als das Bergwerk geschlossen wurde.

Das Buch bietet einen Überblick von den Anfängen, als Mathias Flurl Ende des 18. Jahrhunderts die Kohleflöze entdeckte, bis zum Ende 1966 und darüber hinaus, nämlich den Neuanfang und Strukturwandel in der Stadt. Weniger mit Text denn mit zahlreichen Bildern laden die Autoren den Leser ein auf eine Reise über und unter Tage. Die teils zum ersten Mal veröffentlichten Fotografien zeigen nicht nur die Förderanlagen und alte Penzberger Ansichten, sie zeigen vor allem die Gesichter der Bergleute.

Bergleute wie Michael Mayr. Vor der Schließung habe er seine Frau Luise mit in die Grube genommen, erzählt er. Als sie wieder "ausgefahren" seien, habe diese ihm gesagt: "Wie kann man in so einem Loch überhaupt arbeiten. Sei froh, dass du da raus bist." Vielleicht sei der Beruf nicht schön gewesen. Aber die Kameradschaft unter Tage schon, erzählt Mayr. Ein Hängenlassen habe es nicht gegeben.

Das Programm

An die Bergwerksschließung erinnert die Stadt an diesem Freitag, 30. September, und Samstag, 1. Oktober. Am Freitag um 17 Uhr beginnt ein ökumenischer Feldgottesdienst auf der Berghalde; um 18 Uhr startet der Festzug zum Rathausplatz, wo um 18.30 Uhr die Bronzefigur der "Kohlstadlschix" enthüllt wird - so wurden junge Frauen genannt, die bei der Sortierung der Kohle Schwerstarbeit leisteten. Das weitere Programm: 19.30 Uhr Rundgang durch die Ausstellung "Zeitenwende. Ende des Bergbaus in Penzberg" auf dem Stadtplatz; 20.30 Uhr Open-air-Kino auf dem Stadtplatz: Stummfilm "Schlagende Wetter" mit Live-Musik mit dem "Munich International Orchestra"; 22 Uhr Zapfenstreich. Viele Geschäfte in der Innenstadt haben bis 22 Uhr geöffnet. Am Samstag, 10 Uhr, Eröffnung der internationalen Grubenlampenausstellung in der Heinrich-Campendonk-Realschule; bis 18 Uhr Aktionstag für die Familie in der Realschule und im Bergwerksmuseum, Karlstraße 36; Shuttlebus von der Realschule zu Roche mit Werksrundfahrt um 11, 13 und 15 Uhr; 17 Uhr Open-air-Konzert auf dem Stadtplatz mit den Bands "The SonPas" (Rock), "Gallow's Birds" (Rock 'n' Roll) und dem "Austria Project" (Folk und Rock). Zudem gibt es in den nächsten Tagen in der Stadtbücherei Vorträge und Filme zum Thema Bergbau (20 Uhr; ein Euro Eintritt). veca

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