Pandemie:"Pfleger und ungeimpft - das geht nicht"

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Johannes F. Woll ist Ladenbesitzer, Veranstalter - und er hat früher in der Pflege gearbeitet. Wie blickt jemand, der so viele unterschiedliche Berührungspunkte mit Corona hat, auf die aktuelle Krise? Ein Gespräch.

Von Kathrin Müller-Lancé, Wolfratshausen

Die Intensivbetten im Landkreis sind weitgehend belegt. Auch Woll hat hier eine Zeit lang gearbeitet. (Foto: Hartmut Pöstges)

Johannes F. Woll schaut aus vielen Perspektiven auf die Corona-Krise: Der 51-Jährige betreibt in der Wolfratshauser Innenstadt einen Laden für Streetwear, den er mitten in der Pandemie eröffnet hat. Er ist nebenher in der Eventbranche tätig, hat als coronagebeutelter Veranstalter also auch direkte Berührungspunkte. Und er hat einige Jahre in der Pflege gearbeitet. Zeit für ein Gespräch über die aktuelle Lage.

SZ: Herr Woll, wie geht es Ihnen im Moment?

Johannes F. Woll: Ich bin ein unglaublicher Optimist. Ich denke, dass es irgendwie immer weiter geht. Aber die Lage ist momentan schon angespannt. Kürzlich haben wir, glaube ich, die 137. Nachricht vom Landratsamt seit Beginn der Pandemie bekommen. Die Regeln ändern sich ständig. Ich kann alle drei Tage die Aufsteller bei uns im Laden neu beschriften. Ist jetzt noch ein Mundschutz okay - oder schon wieder eine FFP2-Maske Pflicht? Die Irritation ist sehr groß.

Sie haben Ihren Klamottenladen am Untermarkt mitten in die Pandemie hinein gegründet. Gewagt, oder?

Das Ganze war meine sechste Gründung. Am 13. März 2020 haben wir den Mietvertrag unterschrieben, am 16. März hat der erste Lockdown begonnen. Das war schon verbunden mit einer gewissen Beschaffungskreativität. Die Baumärkte waren ja auch für Gewerbetreibende geschlossen. Wir haben alles renoviert und Möbel neu gebaut. Unser Businessplan war erst einmal sehr vorsichtig. Der wäre eigentlich sogar aufgegangen, wäre nicht im Dezember der zweite Lockdown gekommen.

Sie verkaufen Streetwear. Schwierig, wenn kaum jemand auf die Straße geht.

Das war ein Dilemma. Unsere Kernzielgruppe sind Jugendliche zwischen 13 und 25 Jahren. Die kaufen sich die Sachen, um sie zu zeigen. Aber wenn die Orte geschlossen sind, an denen man sich zeigen kann - die Schulen, Clubs, Bars -, dann macht es keinen Sinn, mit einem coolen Hoodie rumzurennen.

Im bislang letzten Lockdown haben Sie Ihren Laden spontan zu einem Gemischtwarenladen umfunktioniert und dort Nudeln und Klopapier verkauft, um weiter aufmachen zu dürfen. Würden Sie das wieder machen?

Ja, aber nicht, weil wir mit dem Klopapier so viel Umsatz gemacht haben. Hätten wir ganz geschlossen gehabt, hätten wir vielleicht sogar mehr Geld vom Staat bekommen. Aber es war wichtig, während des Lockdowns eine Aufgabe zu haben, die einem ein bisschen Struktur gibt.

Können Sie die Verluste durch den Lockdown beziffern?

Wenn wir Glück haben, erreichen wir die Ziele des Businessplans, die wir uns eigentlich für das Ende des vergangenen Jahres gesteckt hatten, in diesem Jahr. Corona hat uns um ein Jahr zurückgeworfen. Weil wir nicht als GmbH, sondern als Gemeinschaft bürgerlichen Rechts organisiert sind und weil es uns im Vorjahr noch nicht gab, konnten wir die staatlichen Hilfen nur begrenzt in Anspruch nehmen. Für die ersten sechs Monate dieses Jahres haben wir insgesamt gerade einmal einen niedrigen vierstelligen Betrag bekommen. Das war nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein.

Haben Sie Existenzangst?

Natürlich, dauernd. Auch jetzt noch ist das eine Jonglage. Wir haben kein Geld verdient. Wir leben von Erspartem und machen Schulden. Ich habe noch ein zweites Standbein in der Eventbranche...

...der es ja im Moment auch nicht wirklich besser geht...

...die ist sogar noch stärker betroffen. Nur gibt es da zumindest ein bisschen Kompensation. Da sind wenigstens die laufenden Kosten gedeckelt, mein Geschäftspartner ist in ein Angestellten-Verhältnis gegangen, wir haben uns von unserem Münchner Büro getrennt.

Sie haben nach dem Zivildienst einige Jahre in der Pflege Jahre gearbeitet. Schlagen da zwei Herzen in Ihrer Brust - das des Einzelhändlers, der gerne weniger strenge Maßnahmen hätte, und das des ehemaligen Pflegers, der sich Sorgen um die Lage in den Krankenhäuser macht?

Im Hinblick auf das, was im Moment in unseren Krankenhäusern passiert, ist alles, was meine eigene Existenz betrifft, komplett nachgeordnet. Bei mir geht es ja nur um Geld, etwas, das ich verwalte - auf der anderen Seite geht es um Menschenleben. Ich beobachte die Lage im Moment mit großer Sorge. In den vergangenen Jahren wurde ein Drittel der Intensivbetten abgebaut. Das Pflegepersonal kann schlicht nicht mehr. Wenn ich lese, wir stehen kurz vor der Triage, wenn Ärzte also entscheiden müssen, wer noch intensivmedizinisch behandelt wird und wer nicht mehr, dann denke ich mir: um Gottes Willen. Ich habe in meiner Zeit auf der Intensivstation mehrere Menschen beim Sterben begleitet. Zu ersticken, weil man keine Luft mehr bekommt, ist ein furchtbarer Tod.

Die ersten Kliniken haben bereits angekündigt, dass sie zeitlich nicht gebundene Operationen verschieben werden.

Ich habe einen Onkel in Schweden, der vor 25 Jahren an Krebs erkrankt war. Das dortige Gesundheitssystem ist eigentlich sehr gut. Jetzt hat sich seine Schilddrüse wieder vergrößert - und er muss sechs Monate auf einen Untersuchungstermin warten, weil die Krankenhäuser so voll sind. Die Vorstellung, dass jemand aus meinem persönlichen Umfeld im Moment nicht adäquat behandelt werden kann, macht mir Angst. Es macht mir auch Angst, dass wir es in anderthalb Jahren Pandemie immer noch nicht geschafft haben, die Risikogruppen zu schützen. Ich verstehe nicht, wie es sein kann, dass in manchen Pflegeeinrichtungen ein erheblicher Teil des Personals nicht geimpft ist.

Wären Sie persönlich für eine Impfpflicht?

Generell würde ich sagen, dass eine Impfung eine persönliche Entscheidung ist. Aber im Gesundheitswesen könnte man schon über eine Pflicht nachdenken. Wenn sich jemand gegen eine Impfung entscheidet, muss er auf jeden Fall mit den Konsequenzen leben. Ich kann auch nicht mit 200 Stundenkilometern durch eine Ortschaft fahren und sagen: Das ist mein Grundrecht. Diese Krankheit ist real. Es macht mich traurig, wenn Menschen das nicht anerkennen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch viele politische Maßnahmen, die für mich nicht nachvollziehbar sind oder waren.

Zum Beispiel?

Das anfängliche Hin und Her bei den Masken. Erst hieß es, Masken brächten nichts, dann brauchten wir sie unbedingt. Ich fand es auch unverhältnismäßig, dass zwischenzeitlich Bekleidungsgeschäfte und Baumärkte schließen mussten, man im Discounter aber Schulranzen und Schutzgasschweißgeräte kaufen konnte. Oder dass Theater nur zu einem Viertel ausgelastet sein durften, Flugzeuge aber voll belegt.

Was würden Sie sich von der Politik und der Gesellschaft für die Zukunft wünschen?

Von der Gesellschaft wünsche ich mir, auch unabhängig von Corona, mehr Solidarität. Das heißt für mich, alles zu tun, um mich und andere zu schützen. Das kann bedeuten, dass ich mich impfen lasse - oder dass ich auf einen Urlaub verzichte. Von der Politik würde ich mir mehr Offenheit und Transparenz wünschen. Dass sich auch mal jemand auf eine Bühne stellt und sagt: Das tut mir leid, da haben wir einen Fehler gemacht.

© SZ vom 17.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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