Süddeutsche Zeitung

Chorprobe via Videokonferenz:"Ich habe keine Ahnung, wie es klingt"

Andrea Fessmann übt mit 60 Sängerinnen und Sängern ein Werk von Kim André Arnesen ein

Von Stephanie Schwaderer

Eigentlich sollten Andrea Fessmann und der Iffeldorfer Klangkunst Chor in diesen Tagen mit dem Kofferpacken beginnen. Ein Jahr lang hatten die 90 Sängerinnen und Sänger ihrem Auftritt in der New Yorker Carnegie Hall entgegengefiebert. Die Corona-Krise hat ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ob das geplante internationale "Carmina burana"-Projekt in New York jemals stattfinden wird, steht in den Sternen.

SZ: Frau Fessmann, Sie sitzen jetzt auch zu Hause...

Andrea Fessmann: Ja, und ich lerne jeden Tag etwas Neues.

Was denn, zum Beispiel?

Wie man Videokonferenzen abhält, wie man online unterrichtet oder wie man Noten hochlädt und in Echtzeit umblättert. Wir hatten vor Kurzem unsere erste Chorprobe mit 60 Leuten. Das war super!

Sie halten Ihre Chorproben jetzt per Videokonferenz ab? Geht das?

Erst war es ein bisschen kompliziert. Ich habe so etwas ja noch nie gemacht und bin nicht gerade die Computer-Spezialistin. Aber es ist so wie mit allem: Wenn man es kann, ist es leicht.

Wie kann man online zusammen singen?

Wir können nicht vielstimmig singen, aber jeder kann seine Stimme üben. Das ist ganz ähnlich wie in einer normalen Chorprobe. Ich wähle eine Stimmgruppe nach der anderen aus und übe einzeln mit ihnen. Die anderen sind so lange stumm geschaltet und können ungehört weiterüben.

Sie stehen derzeit also nicht am Dirigentenpult, sondern sitzen quasi am Schaltpult.

Genau, aber meine Hauptaufgabe neben dem Spielen oder Vorsingen von Einzelstimmen ist es, eine abwechslungsreiche Choreografie zu entwerfen. Theoretisch hätte ich Zugriff auf jeden Teilnehmer und könnte auch ein paar einzelne herauspicken und anhören - aber das mache ich natürlich nicht. Jeder schaltet sich selber stumm und hört nur das, was auf meiner Seite passiert. Ein paar haben die Probe wieder verlassen, weil sie keinen Ton hatten. Aber alle anderen hatten richtig viel Spaß.

Jeder hört sich beim Singen also nur selbst? Und Sie bekommen gar nicht mit, wenn jemand daneben liegt?

Ich habe keine Ahnung, wie es bei den Sängerinnen und Sängern zu Hause klingt. Ich kann nur sicherstellen, dass jeder geübt hat - und selbst das nicht wirklich, ich sehe ja nur die Mundbewegungen. Wenn man alleine singt, hat man tatsächlich viel mehr Korrekturmöglichkeiten als in der Gruppe, auch deshalb, weil man sich nicht verstecken kann. Es ist ja so: Wo ich sicher bin, singe ich laut, und wo nicht, bin ich lieber ein bisschen leiser und vorsichtiger. In einer normalen Chorprobe bekomme ich auch nicht immer mit, wenn jemand ganz leise ein bisschen falsch singt.

Was üben Sie gerade?

Das Magnificat von Kim André Arnesen, ein modernes Stück, das sich für diese Art des Übens eignet, da jeder sehr gut für sich an seiner Stimme arbeiten kann. Es wäre das zweite Stück gewesen, das wir in der Carnegie Hall gesungen hätten. Ein zweites Konzert hatten wir für Juli in der Basilika Benediktbeuern angesetzt. Wir hoffen, dass wenigstens dieses stattfinden kann!

Die Absage muss eine große Enttäuschung sein.

Ja, alle hatten sich unglaublich gefreut. Es war ein Traum. Ich war noch nie in New York. Aber wer weiß, was es noch für Wege gibt. Vielleicht mieten wir uns die Carnegie Hall einfach einmal selbst. Jetzt proben wir erst einmal für Benediktbeuern.

Singen ist bestimmt nicht das Schlechteste, was man gerade zu Hause tun kann.

Ich bin überzeugter denn je, dass Singen der Seele gut tut und natürlich das Immunsystem stärkt und die Lunge. Das kann man gerade gut gebrauchen. Egal, ob man alleine singt oder miteinander. Wir haben in unserer Chorprobe ein Stück von Bobby McFerrin gesungen, eines, das ganz schnell zu lernen ist. Dann hab ich die Musik dazugeschaltet - das war großartig! Alle waren begeistert. Am Ostermontag werde ich eine offene Chorprobe anbieten. Da muss ich mich noch mit der Technik auseinandersetzen. Und am Ostersonntag steht der nächste Flashmob auf dem Programm mit Händels Halleluja.

Infos unter www.andrea-fessmann.de

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Quelle:
SZ vom 07.04.2020
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