Caritas-Fachambulanz in Bad Tölz:Im Suff durch die Pandemie

Caritas-Fachambulanz in Bad Tölz: In der Corona-Pandemie hat der Alkoholismus bei Erwachsenen zugenommen. Dies bestätigt die Caritas-Fachambulanz für Suchtkranke im Franziskuszentrum Bad Tölz.

In der Corona-Pandemie hat der Alkoholismus bei Erwachsenen zugenommen. Dies bestätigt die Caritas-Fachambulanz für Suchtkranke im Franziskuszentrum Bad Tölz.

(Foto: Alexander Heinl/dpa)

Der Alkoholismus hat bei Erwachsenen wegen Corona zugenommen. Beim Tag der offenen Tür im Franziskuszentrum stellt die Caritas ihre vielfältigen Hilfsangebote vor.

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Die Rauschbrille hat es in sich. Wer sie aufsetzt, dem verdoppelt sich die Welt. Jede der gelben und blauen Stangen, die den kleinen Parcours im Garten der Tölzer Franziskuszentrums bilden, bekommt plötzlich einen Zwilling, der schief aus dem Rasen ragt. Da ist es nicht so einfach, einen Slalom hinzulegen, ohne ins Torkeln zu geraten. Am Ende ist ein Seil in Knöchelhöhe zwischen zwei Stangen gespannt: Um diese kleine Hürde zu überwinden, hilft nur ein ballettartiges Hochheben des Beins. Die Rauschbrille simuliert die visuellen Verzerrungen, die Doppelsicht und die verlangsamte Reaktionszeit, wenn jemand 0,8 Promille Alkohol im Blut hat. Es gibt auch welche mit 1,6 Promille: Die Stangen knallen gegen das Knie, am Ende weiß man nicht, wie man übers Seil hüpfen soll. Aber das ist auch gar nicht nötig. "Sie stehen schon drauf", sagt Michael Hanfstengl, Leiter der Caritas-Fachambulanz für Suchtkranke.

Der Parcours gehört zum Angebot beim Tag des offenen Tür, mit dem die Caritas-Fachambulanz in Bad Tölz an der bundesweiten Aktionswoche "Alkohol? Weniger ist besser!" teilnimmt. Die Frage, ob der Alkoholismus in der Corona-Pandemie zugenommen habe, beantwortet Friederike Hüttner schnell und klar: "Hat er." Vor allem die Isolation während der Lockdowns sei für die Betroffenen schwierig gewesen, viele von ihnen lebten auch alleine, sagt die Teamleiterin der Kontakt- und Begegnungsstätte "Auszeit" (Kuba), die im Herbst vorigen Jahres eingeweiht wurde. Die Angebote dort reichen vom zwanglosen Austausch bei Kaffee und Kuchen über Ausflüge, Bewegungs- und Kreativkursen bis hin zur Erstberatung. Die Teilnahme ist anonym und kostenlos. Und vor allem niedrigschwellig: "Jeder, der irgendwie ein Thema mit Sucht hat, kann kommen", sagt Hüttner.

Caritas-Fachambulanz in Bad Tölz: Friederike Hüttner, Sozialpädagogin und Teamleiterin der Kontakt- und Begegnungsstätte "Auszeit" (Kuba) in Bad Tölz.

Friederike Hüttner, Sozialpädagogin und Teamleiterin der Kontakt- und Begegnungsstätte "Auszeit" (Kuba) in Bad Tölz.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Alkoholkranken aus dem Landkreis, die von der Caritas betreut werden, sind 40 Jahre und älter im Schnitt. Außerdem handelt es sich mehr um Männer als um Frauen. Der Alkohol, sagt Hanfstengl, sei oftmals eine Sache, "die sich in den Tageslauf einschleicht", also mit dem Bier zum Entspannen am Abend beginnen und über Jahre hinweg am Ende zum haltlosen Trinken führen kann. In der Pandemie habe der Konsum bei den Erwachsenen zugenommen, bestätigt Hanfstengl. Der Stress durch Homeoffice und Homeschooling, das enge Aufeinandersitzen in den Wohnungen, die Veranstaltungen, die nicht mehr stattfanden - all dies sei so "oft kompensiert" worden. Interessant auch: Bei den Jugendlichen gab es in den Lockdowns einen gegenteiligen Trend. Sie hätten "um 20 Prozent weniger" zur Flasche gegriffen, sagt der Leiter der Fachambulanz. Einfach deshalb, weil junge Leute meist in der Gruppe trinken. "Sie setzen Alkohol zum Feiern ein."

Kuba ist nur eines von mehreren Angeboten der Caritas für Suchtkranke. Ambulante Suchtbehandlung, Jugendsuchtberatung, verkehrstherapeutisches Beratungszentrum, psychosoziale Begleitung, Beratungsgruppen, Hilfe bei Essstörungen - all dies leistet die Fachambulanz in Bad Tölz und Geretsried. Etwa 20 Mitarbeiter hat Hanfstengl, viele von ihnen sind Teilzeitbeschäftigte. Zu ihnen gehören Psychologen, ein Arzt, Sozialpädagogen, Suchttherapeuten, Heilerziehungspfleger. Und ehrenamtliche Kräfte, die der Leiter als "besonders wichtig" bezeichnet: ehemalige Alkoholkranke, die "die Leute in den Gesprächen nochmal anders motivieren können".

Eine ungewöhnliche Offerte ist das Betreute Einzelwohnen (BEW). Dabei besuchen die Caritas-Mitarbeiter jene Ex-Alkoholiker, die lange abhängig waren, in einer eigener Wohnung leben und ihren Haushalt selbst führen können. Allerdings: Die Wohnsituation im Landkreis sei für Betroffene "sehr schwierig", sagt Teamleiterin Petra-Christine Schaible. "Aber so lange jemand gemeldet ist, können wir ihn erreichen." Mit Ausflügen, Spielen, Besuchen im Theater oder einem Museum, wolle man die Leute, die oft isoliert seien und keine Familie mehr hätten, soziale Teilhabe ermöglichen. Die Arbeit wird der Caritas-Fachambulanz nach der Aktionswoche nicht ausgehen, ganz im Gegenteil. Nach dem Ende der Corona-Maßnahme rechnet Hanfstengl damit, dass es "jetzt grad wieder losgeht". Die Leute wollten feiern, sagt er. Und das sei "ein guter Zeitpunkt, um auf die Gefahren des Alkohols hinzuweisen".

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