Das Argument mit der Weltöffentlichkeit klingt natürlich erst einmal absurd. Wer an der Copacabana oder in Shanghai sollte sich zum Beispiel schon dafür interessieren, welche Möbelfirma die erweiterte Kita in Geretsried ausstatten darf? Eigentlich niemand, würde man annehmen. Zumindest zu einem Teil könne er die Bauchschmerzen der Stadtverwaltung aber schon nachvollziehen, sagt Edmund Häner. Denn in Zeiten von Big Data - wer wisse da schon so genau, welche Suchmaschine einen da gerade wieder ausspioniere.
Häner ist FDP-Stadtrat in Geretsried und wünscht sich eigentlich, dass das örtliche Rathaus in Zukunft leichter auszuspionieren ist - zumindest für die dortigen Bürger. Seinen Antrag, dass sämtliche Stadtratsunterlagen spätestens am vierten Tag nach einer Sitzung über das sogenannte Bürgerinformationssystem auf der Homepage der Stadt allgemein zugänglich gemacht werden, hat Häner in der jüngsten Sitzung aber vorläufig zurückgezogen. Zu stark war der Gegenwind, der ihm von der Verwaltung um Bürgermeister Michael Müller (CSU) entgegenschlug.
In der Sitzung hatte Verwaltungsleiter Helge Balbiani breit erklärt, warum man über das Internet keine Unterlagen zur Verfügung stellen wolle. Denn natürlich: Dann könne darauf jeder zugreifen - egal, ob von der Jeschkenstraße aus oder von Übersee. Gerade eine solche Weltöffentlichkeit sei bei kommunalen Angelegenheiten aber nicht gewünscht. Das gehe nur die einheimischen Bürger etwas an, also die Ortsöffentlichkeit. Man könne in den Dokumenten höchstens alle personenbezogenen Daten schwärzen - Namen, Adressen, Telefonnummern. Dann wäre ein Online-Stellen möglich. "Damit wäre aber ein riesiger Verwaltungsaufwand verbunden", so Balbiani.
Die Debatte im Stadtrat war relativ hitzig. Es ist aber auch ein starkes Spannungsfeld, in dem sich die Diskussion abspielt. Auf der einen Seite der Datenschutz, auf der anderen Seite die vielfach geforderte Transparenz bei politischen Entscheidungen. Und wie, wenn nicht über das Internet, sollte man Stadtratsunterlagen eben einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen? Andere Kommunen streamten zum Beispiel auch ganze Stadtratssitzungen, um ihre Bürger zu informieren, merkte Volker Reeh (Geretsrieder Liste) an. "Wir hier in Geretsried machen immer möglichst wenig", schimpfte er.
Bürgermeister Müller sieht die Sache freilich anders. Die Stadt stelle nicht möglichst wenig zu Verfügung. "Wir halten uns nur an geltendes Recht", sagte er. Unterlagen veröffentlichen, bevor der Stadtrat tagt, das dürfe man beispielsweise gar nicht. Das Landesamt für Datenschutz untersage eine solche Praxis.
Nun gibt es aber trotzdem Kommunen, die schon vor Sitzungen im Internet Unterlagen öffentlich zur Verfügung stellen, damit sich die Bürger in die Themen einlesen können. In München zum Beispiel sind die meisten Stadtratsdokumente spätestens 48 Stunden vor einer Sitzung online verfügbar. Der dortige Ältestenrat des Stadtparlaments hat sich auf dieses Vorgehen geeinigt. Das Tölzer Landratsamt stellt Unterlagen drei Tage vor einer Sitzung des Kreistags online. Und auch in Egling kann man zwei bis drei Tage vor einer Sitzung über die Gemeindeseite Informationen einholen. Dort ist dann immer eine Zusammenfassung der Sachlage und ein Beschlussvorschlag der Verwaltung einsehbar.
Für den Laien ist das sehr verwirrend. Auch Thomas Petri, der bayerische Landesbeauftragte für Datenschutz, weiß da nur bedingt zu helfen. Grundsätzlich sei es weniger eine Frage des Zeitpunkts, wann Unterlagen online gestellt werden dürfen, sondern mehr, ob das überhaupt gehe, sagt er. "Die Gemeindeordnung ist in Bayern da recht restriktiv", so Petri, "die lässt wenig zu." Beschlussvorlagen könne man aber natürlich auch schon vorab ins Netz stellen, da müsse man nur darauf achten, dass in den Papieren keine ungenehmigten Personendaten enthalten sind. Wenn sich eine Verwaltung darauf berufe, dass das Schwärzen sensibler Stellen zu viel Arbeit mache, sei das im Grunde nachvollziehbar, findet Petri.
Natürlich erkennt aber auch Bayerns oberster Datenschützer den Konflikt. Mehr Transparenz sei wünschenswert - gerade, wenn man die Leute wieder mehr für Kommunalpolitik begeistern möchte, sagt Petri. Der strenge Datenschutz sei da mitunter eine schwierige Hürde. "So lange sich der Gesetzgeber nicht bewegt, kann man da aber nichts machen", sagt er. Und so hat auch der Geretsrieder FDP-Stadtrat Edmund Häner seinen Antrag nun abgewandelt. Für die Stadtratssitzung nächste Woche Dienstag steht zur Abstimmung, ob die Stadtratsprotokolle online gestellt werden sollen. Das ginge allerdings erst, wenn der Stadtrat das Protokoll abgenickt hat. Das passiert immer erst einen Monat später, also dann, wenn das Thema eigentlich schon niemanden mehr interessiert - nicht in der Jeschkenstraße und schon gar nicht an der Copacabana.