Bürgerladen:Worüber die Wolfratshauser am Sonntag entscheiden

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Bürgermeister Klaus Heilinglechner, Ernst Gröbmair von der Bürgerinitiative sowie Zweiter Bürgermeister und Standort-Gegner Fritz Schnaller im Streitgespräch.

Von Claudia Koestler und Pia Ratzesberger, Wolfratshausen

Drei Infoveranstaltungen und Hunderte von Plakaten später ist die Politik in Wolfratshausen noch immer aus der Balance. Die Bürger müssen den gordischen Knoten in Sachen Bürgerladen lösen. Dafür fordert Bürgerladen-Sprecher Ernst Gröbmair einen Ausgleich: Als er sich zum Gespräch mit Bürgermeister Klaus Heilinglechner (BVW) und Bürgerladen-Standort-Kritiker Fritz Schnaller (SPD) bei der SZ trifft, ist zunächst auch Alfred Fraas anwesend. Zuviel für Gröbmair, das gegnerische Lager sei in der Mehrheit. Fraas geht, die Diskussion kann beginnen.

Bürgerladen und Sortiment

Setzen Sie sich nach all den Streitigkeiten noch gemeinsam an einen Tisch?

Schnaller:Leider ist die Diskussion um den Bürgerladen etwas persönlich geworden. Wir sind nicht ewig beleidigt, das ist Konsens zwischen mir und dem Bürgermeister, und es ist auch nicht so, dass ich Herrn Gröbmair nicht mehr grüßen würde, wenn ich ihn auf der Straße sehe (Gröbmair lächelt, Heilinglechner nickt).

Warum braucht Wolfratshausen einen Nahversorger im Zentrum, wenn andere Städte Flaniermeilen haben?

Gröbmair: Durch den Wegfall des Tengelmanns ist eine große Lücke entstanden. Bei einer Umfrage sagten 604 Leute, dass sie einen Lebensmittelladen wollen, davon 519 Befragte, dass sie fußläufig einkaufen können möchten. Viele Ältere und sozial Schwache leben in der Altstadt.

Heilinglechner: Klar ist, das Gros der Bürger erledigt seinen Wocheneinkauf beim Discounter. Es geht aber um diejenigen, die nicht so mobil sind. Meine persönliche Meinung ist, dass wir einen Bürgerladen brauchen, ich glaube aber auch, dass wir kein Geschäft im Hochpreissegment bekommen sollten. Wichtig sind mir regionale Produkte, damit lockt man auch Kundschaft von außen an.

Schnaller: Wir haben in der Altstadt vier Bäcker, zwei Obst- und Gemüseläden, zwei Feinkostläden, den grünen Markt, einige Cafés, Restaurants. Wo wir ein Nahversorger-Problem haben, ist in Waldram und Farchet. Ich lehne einen Bürgerladen nicht ab, aber leider ergeben sich Schwierigkeiten in der Umsetzung.

Welche?

Schnaller: Es kann sein, dass die regionalen Produkte überhaupt nicht angenommen werden, denn Sie haben hier am Ort einen Rewe. Was der alles an regionaler und an Bio-Ware anbietet, ist super.

Für Bürgerladen-Sprecher Ernst Gröbmair gibt es keine Alternative zum Standort Untermarkt 10. (Foto: Hartmut Pöstges)

Heilinglechner: Das ist doch keine regionale Ware!

Gröbmair: Da haben Sie aber schnell drüber geschaut, Herr Schnaller!

Schnaller: Das wissen Sie als Insider vielleicht, aber der Kunde nimmt die Produkte als regional wahr, das ist entscheidend. Nehmen wir an, der Bürgerladen hat nach zwei Jahren größere Schwierigkeiten; der wird nicht gleich zumachen, sondern auf den Stadtrat zukommen und sagen: "Oh, wir sind kurz davor, dass es laufen würde, können wir nicht noch einmal Unterstützung bekommen?" Was machen Sie dann als Stadrat? Und nach fünf, sieben Jahren zeigt sich dann, dass der Laden nicht funktioniert und wir stehen da.

Einnahmen

Was veranlasst Sie zu solchen Sorgen?

Schnaller: Ich habe unter anderem mit dem Inhaber des ehemaligen Isarkaufhauses gesprochen und gefragt, was er pro zahlendem Kunden eingenommen hat. Dieser Wert und der Wert aus dem Business Plan des Bürgerladens gehen so weit auseinander, dass der Business Plan in meinen Augen sehr, sehr optimistisch ist: pro Kunde 16 Euro Umsatz bei neun oder zehn Kunden pro Stunde.

Gröbmair: Über den Business Plan hat mit uns ausführlich niemand diskutiert. Und wenn man mal darüber redet, dann werden immer kleine Punkte rausgenommen, wie zum Beispiel der Umsatzzuwachs.

Schnaller: Das sind aber die Kernzahlen, Herr Gröbmair - daran entscheidet sich, ob ein Projekt lebt oder stirbt. Es geht um Umsatz und Gewinn und Verluste - wenn das nicht stimmt, dann können Sie alles drumherum vergessen, wie das Kastl ausschaut und wo man das Regal hinstellt.

Gröbmair: Glauben Sie mir, unser Arbeitskreis besteht aus vier Finanzkaufleuten, und die haben mehrere 100 Stunden das Konzept von unserem Bürgerladenberater überprüft und einen Plan errechnet. Wenn Sie ein guter Kaufmann sind, wissen Sie, dass ein Kleidungsladen mit einem Lebensmittelladen absolut nichts zu tun hat. Ich habe durch den Arbeitskreis auch in die tiefen Abgründe einer Lebensmittelkalkulation Einblick bekommen.

Inwiefern?

Gröbmair: Ich konnte mir vorher nicht vorstellen, dass man eine Dose Sauerkraut für 1,09 Euro im Verkauf hat und sie nicht billiger als für 89 Cent einkaufen kann. Oder eine Tütchen Gummibären im Verkauf 1,99 kostet und im Einkauf 1,89 Euro.

Was passiert, wenn der Bürgerladen rote Zahlen schreibt?

Gröbmair: Der Laden wird die ersten drei Jahre keine schwarzen Zahlen schreiben, das ist einkalkuliert. Was ist, wenn der Laden insolvent geht? Wir wissen von drei Läden, wo es nicht funktioniert hat, zwei davon haben wieder aufgemacht. Die zweite Gesellschaft konnte dann mit besseren, günstigeren Bedingungen starten. Ein Laden wurde komplett aufgelöst.

Fritz Schnaller (SPD) sieht den Standort des Bürgerladens kritisch. (Foto: Hartmut Pöstges)

Schnaller: Wir unterstützen den Bürgerladen, aber wir Stadträte müssen auch den "worst case" sehen - wenn das Geschäft in drei oder vier Jahren wieder schließt, müssen letztendlich wir das gegenüber den Bürgern verantworten. Wir haben diese Pflicht.

Standort

Was spricht denn gegen den Untermarkt 10 als Standort für den Bürgerladen?

Schnaller: Der Laden ist zum Beispiel von den Denkmalschutzauflagen und den Wänden her äußerst problematisch. Wenn man sich auf einen anderen Standort einigen könnte, hätte man innerhalb von drei bis vier Monaten ein Geschäft. Es gibt verschiedene Alternativen, alle in der Marktstraße und alle in Privatbesitz, deshalb will ich jetzt nichts Konkretes sagen. Aber es gibt viele, die meiner Meinung nach viel besser sind als der Untermarkt.

Gröbmair: Wir haben alle Aspekte mehrfach untersucht, der Untermarkt 10 erfüllt alles, was es für einen erfolgreichen Laden braucht: Lage, Erreichbarkeit, Größe. Ich jedenfalls sehe keine andere Immobilie, die die Kriterien erfüllt. Aber Schnaller tut, als hätte er eine adäquate Immobilie. Die würden wir sofort untersuchen, wenn er sie mal nennt.

Wie beeinflussen die Pläne zum Kraftareal den Bürgerladen?

Schnaller: Wenn das Kraftareal kommt mit einem Discounter und einem Vollanbieter, dann sieht es für den Bürgerladen ganz schlecht aus.

Gröbmair: Tut mir leid, aber ins Kraftareal, da kommen die großen Discounter hin, da fahren die Leute mit dem Auto hin. Als fußläufige Kundschaft rechnen wir maximal die Tirolerstraße. Beim Kraftareal ist außerdem auch ein Gleis, da müssen die Leute durch die Unterführung. Sie müssen das Zeug runter und rauf schleppen.

Investor

Würde die Stadt bei der Vergabe des Gebäudes in Erbpacht an einen Investor draufzahlen?

Heilinglechner: Die Stadt hat in der Vergangenheit das Gebäude am Untermarkt 2 an einen Investor vergeben. Für das Geschoss, das wir zurückmieten, zahlen wir mehr, als wir an Erbpacht einnehmen. Am Untermarkt 10 wäre es mehr als ein Geschoß, die Räume für das Heimatmuseum und dessen Lager.

Also lieber ohne Investor?

Heilinglechner: Wenn ich alles durchrechne, würde die Stadt den Bürgerladen durch die günstigere Miete pro Jahr mit etwa 10 000 Euro subventionieren. Das Gebäude gehört dann weiterhin der Stadt und wir hätten auch schon einen Mieter. Zwischen neun und 17 Euro sind die Leerstände am Markt momentan zu haben, die finden keinen Mieter.

Gröbmair: Erbpacht ist das denkbar schlechteste Modell, das ist wie Tafelsilber weggeben.

Bürgermeister Klaus Heilinglechner möchte regionale Produkte zu günstigen Preisen im Bürgerladen sehen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Schnaller: Wir werden ja auch keinen Investor finden, der diese Immobilie in Erbpacht nimmt, das war doch genau der Hintergedanke. Wir haben das so formuliert, damit die Stäwo eine Chance hat - dann ist das linke Tasche, rechte Tasche, weil die Stäwo eine städtische Tochtergesellschaft der Stadt ist, alles bliebe in der Familie und die Sache läuft.

Wie es weitergeht

Was wird nach dem Sonntag passieren?

Heilinglechner: Wenn der Bürgerentscheid mit Ja ausgeht, wird sich das Gremium zusammensetzen, die Kostenkalkulationen durchgehen und den Beschluss umsetzen. Die Frage wird dann sein, wollen wir die Städtebauförderung oder nicht. Bei dem Stadtrat kann es in den Vergabesachen natürlich noch Probleme geben. Bei Nein bin ich an den Beschluss von 7. Juli gebunden, dann geht es um die Frage, zu welchen Konditionen wir es für einen Investor ausschreiben.

Schnaller: Die Entscheidung wird akzeptiert, egal wie sie ausfällt. Ich hoffe, dass wir alle eine Woche darauf ein vernünftiges Gespräch führen und schauen, was wir unter den Gegebenheiten, die der Bürger vorgibt, machen können.

Bis wann könnte es frühestens einen Laden in der Innenstadt geben?

Gröbmair: Die Sanierungen am Untermarkt 10 würden ein Jahr dauern, dann könnte eröffnet werden.

Schnaller: Und wir denken, es ginge schneller mit einem anderen Standort.

Gröbmair: Den ich bislang nicht sehe.

Ist diese Situation typisch für Wolfratshausen?

Heilinglechner: Ehrliche Antwort? Typisch. Ein Fachgebietsleiter der Regierung von Oberbayern hat mal gesagt, er sei dankbar für das, was in Wolfratshausen läuft, denn wenn er irgendwo hinfährt, kann er die Stadt als Negativbeispiel nennen.

Danke fürs Gespräch.

Schnaller: Danke, dass Sie es ausgehalten haben.

© SZ vom 04.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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