Ein blauer Leuchtturm, fein gezeichnet, ziert ein winziges Stück Papier. Dieter Langnickel streicht mit den Fingern darüber. Die Briefmarke zeige den Leuchtturm einer kleinen Insel in der Kieler Bucht, erzählt er. Das hat er selbst herausgefunden. Auf analogem Weg, mit Atlas. Langnickel ist Briefmarkensammler aus Leidenschaft. Sein Verein, der "Briefmarken-Sammler-Verein Isaria" in Wolfratshausen, feiert an diesem Samstag sein hundertjähriges Jubiläum.
Wie kommt man zu einem solchen Hobby? 1946 in einem kleinen Dorf im Harz in Niedersachsen sieht der damals elfjährige Langnickel eine durch einen Schuhkarton stöbernde Klassenkameradin auf der Fensterbank des gegenüberliegenden Hauses sitzen. Der Junge wird neugierig und beschließt, den Inhalt der Box zu ergründen. Wie sich herausstellt, betrachtet das Mädchen alte Briefmarken der Oma. Der Elfjährige ist sofort begeistert von den unterschiedlichen Motiven, die darauf abgebildet sind - "Pflanzen, Tiere, Gebäude, Oldtimer und und und", erinnert sich der heute 87-Jährige. "Da ist der Funke übergesprungen." An jenem Tag begann seine Leidenschaft für Briefmarken, die ihn bis heute nicht losgelassen hat.
Seit 76 Jahren ist Langnickel nun also passionierter Philatelist, so der Fachbegriff für Briefmarkensammler. Mitglied der "Isaria" wurde er jedoch erst vor 28 Jahren. Die "Gründungsväter" des Klubs, wie er sie augenzwinkernd nennt, hätten sich in der schweren Zeit nach dem Ersten Weltkrieg den schönen Dingen zuwenden wollen und sich daher im Jahre 1922 zu einem Sammelverein zusammengetan.
Doch nicht nur der Verein ist in die Jahre gekommen, auch das Durchschnittsalter seiner Mitglieder ist ziemlich hoch. Lediglich zwei der derzeit 18 Mitwirkenden sind Langnickel zufolge "um die 30", der Rest sei 70 plus. "Es ist ein aussterbendes Hobby", sagt der 87-Jährige. Durch die Digitalisierung kommuniziere kaum noch jemand per Post, was Briefe und die dazugehörigen Marken obsolet mache. Bald könne es sein, dass nur noch mit den seltensten, wertvollsten Briefmarken gehandelt werde, wobei es dann nur noch ums Geld gehe - und der eigentliche Sinn des Sammelns verloren wäre, findet Langnickel. "Es ist eine Leidenschaft", erklärt er. Ihm und seinen Sammlerfreunden gehe es nicht nur um die Briefmarken an sich oder gar um ihren ökonomischen Wert, sondern um die Geschichten, die sich hinter den Motiven verbergen. Jede Marke erscheine zu einem bestimmten Anlass - sich mit diesem zu beschäftigen, bereite ihm Freude. Auch Jüngere mit geschichtlichem Interesse könnten daher von der Philatelie profitieren, sagt er. "Wir sind Jäger und Sammler. Das ist uns geblieben von unseren Vorfahren."
Langnickel war Berufssoldat. Sogar seine Frau konnte er zeitweise für sein Hobby begeistern. "Sie hat auch kurze Zeit gesammelt, Motive aus der Blumen-und Märchenausgabe", erinnert er sich. Dann aber habe sie sich als gelernte Damen- und Herrenschneiderin doch lieber wieder dem Einkleiden der Familie zugewendet. "Ich war der Einzige aus dem Bekanntenkreis, der mit einem Maßanzug rumlief", sagt er lachend.
Die Begeisterung und Ausdauer, mit der Langnickel und seine Vereinskollegen ihrer Freizeitbeschäftigung nachgehen, ist in unzähligen Alben dokumentiert. Die meisten der Mitglieder hätten ihr Ziel erreicht und alle in der Bundesrepublik herausgegebenen Marken gesammelt, sagt er. Seine eigene Sammlung, die er durch Tausch und Kauf aufgebaut hat, besteht aus mehr als 3000 Exemplaren.
Die Briefmarkensammler Wolfratshausens hoffen, auch neue Interessenten für ihr Hobby zu gewinnen. "Es wäre schön, wenn wieder jemand dazukäme", sagt Langnickel. Platz für Neuzugänge haben sie in ihrer Philatelistensammlung auf jeden Fall.
"Isaria" feiert am Samstag, 17. September, das Vereinsjubiläum mit einer Briefmarkenausstellung im katholischen Pfarrsaal in Waldram. Die Veranstaltung beginnt um 9 Uhr und endet um 16 Uhr, der Eintritt ist kostenlos.