Süddeutsche Zeitung

Borkenkäfer:Er frisst und frisst und frisst

Wenn der Borkenkäfer zuschlägt, dann hinterlässt er kahle Bäume. In diesem Jahr ist es besonders schlimm, weil die Trockenheit zu einer explosionsartigen Vermehrung des Insektes führt. Eine Begehung.

Von Paul Schäufele

Wer sein Leben dem Wohlergehen des heimischen Waldes verschreibt, tut das aus Leidenschaft. Das wird schnell klar, wenn man mit Robert Nörr, seit 2005 Leiter des Forstreviers Wolfratshausen, spricht: Ihm geht das Schicksal seines Waldes nahe. Gleiches gilt für Christian Webert, Bereichsleiter Forsten im Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Holzkirchen, und Florian Loher, Geschäftsführer der Waldbesitzervereinigung (WBV). Man spricht über Bäume wie über Familienangehörige, womöglich auch netter. Freilich gibt es immer wieder Grund zur Sorge. Dieses Jahr, wie schon so häufig, ist es der Borkenkäfer, der den bayerischen Forst ausdünnt.

Dabei ließe sich mit genügend Fantasie ohne Weiteres ein heiterer Schwank vom Buchdrucker und Kupferstecher erzählen. Doch was "Ips typographus" und "Pityogenes chalcographus" hinterlassen, ist gerade kein Märchenwald, sondern gleicht eher der postapokalyptischen Landschaft eines Ökothrillers, in dem dichte Wälder nur noch in der Erinnerung existieren: Kahlgeschlagene Flächen, auf denen das Moos vertrocknet. Junge Bäume tun sich schwer, hier anzuwachsen.

Das Problem ist nicht neu. Der erste größere Borkenkäfer-Befall trat 1990 auf, nachdem Orkan Wiebke die Wälder Mitteleuropas geschwächt hatte. Auch das Trockenjahr 2003 verringerte die Selbstschutzmechanismen der vom Borkenkäfer befallenen Fichten. "Bis 2015 etwa hatten wir ihn im Griff", sagt Nörr. Doch die durch den Klimawandel bedingte Kombination von heftigen Stürmen und Trockenheit im selben Jahr führe zu einer explosionsartigen Vermehrung des Käfers und trete immer häufiger auf. Mittlerweile haben die Förster mit drei vollständigen Käfer-Generationen pro Jahr zu rechnen.

Das Vorgehen ist immer das gleiche: Die Käfer schwärmen aus und versuchen, sich in den Baum einzubohren. Durch Harzproduktion schafft eine gesunde Fichte, circa 400 Eindringlingen den Rüssel zu verkleben. Wenn die Bäume wie in diesem relativ trockenen Jahr unter Wasserstress stehen, kann sie deutlich weniger Schädlinge abwehren. Die Käfer fressen sich durchs Holz zur Einrichtung von Rammelkammern (Fachsprache!), was den Wasserhaushalt des Baumes ins Ungleichgewicht bringt. Die ins Holz gefrästen Gänge erinnern von fern an Drucktypen oder Kupferstiche, daher die Bezeichnung der beiden Unterarten. Ein Baum bietet Platz für etwa 10 000 Käfer und Larven. Bei Platzmangel schwärmen die Käfer aus, der nächste Baum ist an der Reihe. Da ein Weibchen in einem Dreigenerationenjahr 100 000 Nachkommen zeugen kann, ist klar, weshalb Fichtenbestände durch Borkenkäferbefall massiv bedroht sind. Wo heute zwei Bäume mit dem berühmten roten Punkt markiert werden, sind es übermorgen 20. Es liegt daher in der Verantwortung der Waldbesitzer, frühzeitig den Befall zu erkennen. Bei roter Baumkrone und abgelöster Rinde ist Handeln zwecklos - der Käfer ist schon weitergezogen. Untrügliches Zeichen zur Früherkennung ist aber das rotbraune Bohrmehl, das beim Eindringen des Käfers entsteht und sich an der Rinde ansammelt. Auch Harztröpfchen sind ein Indiz. Dann muss der Waldbesitzer aktiv werden oder ein Unternehmen oder die WBV beauftragen, den betroffenen Baum und eventuell umstehende Leidensgenossen zu fällen. Doch zu selten kümmerten sich die Waldbesitzer zuverlässig um ihre Bestände, so Loher. Neben Unkenntnis spiele auch mangelndes Interesse eine Rolle.

Dabei ist die Verantwortung nicht nur eine ökologische. Die Besitzer sind durch Landesverordnung dazu verpflichtet, Borkenkäferbefall ausfindig zu machen und zu melden. Denn das Insekt achtet nicht auf Grundstücksgrenzen, und auch der Nachbarwald will geschützt sein. Die WBV bietet daher Schulungen zum rechtzeitigen Ausfindigmachen von Käfern an.

Doch das sind Maßnahmen der "Katastrophenwirtschaft", wie Nörr sagt. Eigentlich planen Förster für längere Zeiträume. Die in bayerischen Wäldern häufige Fichtendominanz wird durch junge Mischwälder ersetzt. Es kommt darauf an, ausgedünnte Bestände durch Baumarten zu ersetzen, die nicht nur gegen die Fressattacken von Buchdrucker und Kupferstecher gewappnet sind, sondern auch dem heißeren und trockeneren Klima standhalten. Weißtannen haben sich bewährt, mit ausländischen Arten wie der Libanonzeder oder der Baumhasel wird experimentiert. Der Borkenkäfer beschleunigt diesen Prozess. "Wir müssen nur aufpassen, dass er uns nicht vor sich hertreibt", sagt Webert.

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SZ vom 02.08.2018/aip
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