Bildung für die Jugend:Eine Werkstatt für die Demokratie

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Die Jugendsiedlung Hochland arbeitet im Rahmen eines Projekts ihre Vergangenheit auf.

Von Martin Brjatschak, Königsdorf

Wie geht eine ehemalige Hitlerjugend-Siedlung mit ihrer dunklen Vergangenheit um? Sicherlich kann sie Geschehenes ignorieren oder tot schweigen. Doch kann sie auch anders an die Sache herantreten, die Dinge aufarbeiten, einordnen und sie zukünftigen Generationen zugänglich machen. Die Jugendsiedlung Hochland in Königsdorf hat diesen Weg gewählt und baut mit EU-Fördermitteln ein Archiv auf. Außerdem entstehen eine Ausstellung und damit verbundene pädagogische Bildungsangebote, die multimedial vermittelt werden sollen.

Bei einer Pressekonferenz haben kürzlich der Leiter der Jugendsiedlung, Josef Birzele, und dessen Stellvertreter und Projektkoordinator Roland Herzog über das Vorhaben berichtet. Da es sich um ein Leader-Projekt handelt, trägt die EU die Hälfte der Kosten - knapp 21 500 Euro. Über das Leader-Programm fördert die EU den ländlichen Raum. Die zweite Hälfte der Kosten muss das jeweilige Projekt selbst aufbringen. Das Geld werde vom vereinseigenen Förderverein erbracht, erklärte Birzele.

"Demokratiewerkstatt" heißt das Projekt. Wie Birzele erklärt, sollen junge Menschen dafür sensibilisiert werden, wie wichtig Demokratie sei. "Ein Herzenswunsch geht in Erfüllung", sagt Birzele. In der Vergangenheit seien im Hochlandlager "viele schreckliche Dinge passiert." Die Nazis hätten das Gelände für ihre propagandistischen Zwecke genutzt. Es gab dem Siedlungsleiter zufolge "weltanschaulichen Unterricht" oder Gruppenführerausbildungen. "Ein Lagerleben unter ganz anderen Vorzeichen", fasst Birzele zusammen . Im Zeitraum von 1936 bis 1945 seien etwa 6000 Jungen für jeweils drei Wochen gleichzeitig im HJ-Lager gewesen, später kamen 800 BDM-Mädchen dazu, weiß er. Es habe sich damit um das größte Lager Bayerns gehandelt. Sie wurden auch militärisch ausgebildet.

Nach dem Krieg seien jüdische Displaced Persons (DP-Lager) auf dem Gelände untergebracht gewesen. Neben landwirtschaftlicher Vorbereitung auf Siedlungsprojekte in Israel seien hier auch Offiziere für die zionistisch-paramilitärische Organisation und Vorläufer des israelischen Geheimdienstes Hagana ausgebildet worden. Zwölf Offiziersausbildungen hätten in Bayern stattgefunden, acht davon in der Jugendsiedlung. Wie Birzele erklärt, seien aus dieser Zeit nicht viele Dokumente vorhanden. "Wir sind gespannt, was da alles auftaucht."

Schon vor dem Projekt kamen Jugendliche aus der Siedlung in Kontakt mit der Vergangenheit. So seien immer wieder Zeitzeugen aufs Gelände gekommen und hätten über Geschehenes berichtet, sagt Birzele. Darüber hinaus seien die jungen Leute auch selbst aktiv geworden und hätten Zeitzeugen befragt. "So haben junge Menschen emotionalen Zugang", sagt er. Auf diese Weise entstünden Diskussionen, Gespräche, Ergebnisse.

Die Leader-Förderung ermöglicht nun eine Aufarbeitung und Einordnung der Dokumente oder sonstigen Überbleibsel. Fragen wie "Von wo und wie kommen entdeckte Dinge her, welche Zusammenhänge gibt es?", könnten so beantwortet werden. Auch Bildungsmöglichkeiten sollen entstehen und die Jugendsiedlung so zum Lernort werden lassen.

Für das Archiv, das "kein verschlossener Raum" werden soll, ist ein Leitsystem geplant, erklärt Herzog. Da es immer weniger Zeitzeugen gebe, müssten andere Möglichkeiten gefunden werden, um das Interesse der Jugendlichen zu wecken, wie etwa Kunstobjekte oder Ausstellungen. Des Weiteren umfasst das Projekt auch pädagogische Angebote, denn "nur eine Ausstellung reicht nicht", erklärt Herzog. Die Jugendlichen müssten begleitet und aufgeklärt werden, etwa mithilfe einer App fürs Smartphone.

"Es ist wichtig, rechtzeitig etwas zu sagen", erklärt der stellvertretende Leiter und meint damit rechtsextreme Umtriebe. "Das Negativbeispiel hier darf nicht mehr stattfinden." Das Anliegen der Jugendsiedlung sei, dass junge Menschen politisch aktiv würden und aus der Geschichte lernten. Andreas Wüstenfeld, Manager der Leader-Aktionsgruppe Bad Tölz -Wolfratshausen, zeigte sich überzeugt vom Projekt. "Radikalisierung von rechts und links ist ein Unding", sagte er. Demokratie sei nicht selbstverständlich. Die Jugendsiedlung sei ein "Ort des Ausgleichs und der Kommunikation von jungen Menschen". Thomas Gründl, Bürgermeister von Bad Heilbrunn und Vorsitzender der Leader-Aktionsgruppe, erklärte: "Das Projekt hat meinen persönlichen Segen. Um die Zukunft zu gestalten, muss man die Vergangenheit kennen."

Birzele zufolge wird das Projekt viele junge Menschen erreichen, denn jährlich verzeichnet die Jugendsiedlung etwa 55 000 Übernachtungen. "Das Interesse ist da, das macht zuversichtlich."

© SZ vom 03.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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