Süddeutsche Zeitung

Bilder aus Krisengebieten:Taliban im Apfelgarten

Eine Ausstellung im Ickinger Rathaus zeigt den Alltag in Afghanistan und in der Asyl-Unterkunft, wie ihn Geflüchtete mit ihren Handys fotografiert haben

Von Claudia Koestler, Icking

Die Bilder sprechen für sich. Zwischen Apfelbäumen stehen vermummte Männer mit Maschinengewehren. Es sind Taliban. Der Fluss Kabul fließt blutrot dahin. Demonstranten haben ihn nach einer Anti-Kriegs-Kundgebung gefärbt. Eine Straße liegt nach einer Explosion in Schutt und Asche. Kriegsbilder aus Afghanistan sind das, die man, weit weg vom Geschehen, einfach nur zur Kenntnis nehmen könnte. Stünden nicht Massod Bahram, Jawad Rahimi und Hamed Tasal neben diesen Bildern und erzählten, wie diese entstanden sind. Die drei afghanischen Asylsuchenden, die derzeit in der Gemeinde Icking leben, haben die Fotos teilweise mit ihren Handys aufgenommen, bevor sie aus ihrer Heimat flohen. Ihre Bilder sowie die von drei weiteren Asylbewerbern zeigt derzeit eine Ausstellung im Ickinger Rathaus. Bewegende Eindrücke, die gerade wegen des persönlichen Bezugs dem Betrachter ganz direkt eine neue Wahrnehmung dieser Welt des Terrors, von Flucht und Asyl ermöglichen.

"Wir hatten alles. Nur keine Sicherheit. Und keine Zukunft", sagt Hamed Tasal. Seine Familie besitzt Obstplantagen. Tasals Fotos von der Apfelernte zeigen Tonnen reifer Früchte. Doch ein weiteres Bild belegt, warum sie nicht verwertet werden: Bewaffnete Taliban kontrollieren die Plantagen und verbieten den Besitzern den Verkauf. Tasal hat Landwirtschaft studiert und an einer privaten Universität unterrichtet. Sein Wissen gab er vor allem an Frauen weiter, ganz bewusst: "Für mich sind Frauen Dreh- und Angelpunkt einer Gesellschaft. Sie müssen Bildung erhalten, damit sie Wissen in ihren Familien weitergeben und ihre Kinder entsprechend erziehen können. Nur so ist Frieden möglich", sagt er. Ein Foto der Ickinger Ausstellung zeigt Tasal, wie er bei einer Abschlussprüfung für Studentinnen Aufsicht führt: Hochkonzentriert brüten die Frauen über ihren Unterlagen, die Köpfe in bunte Tücher gehüllt. Doch sein Engagement brachte Tasal den Zorn der Taliban ein. Nachdem er mehrmals bedroht worden war, fühlte er sich gezwungen zu fliehen. Hätten Taliban das Foto aus dem Klassenzimmer gefunden, wäre es sein Todesurteil gewesen, sagt er.

"Wenn ich nicht mein Leben hätte retten müssen, wäre ich nicht nach Deutschland gegangen", erklärt auch Jawad Rahimi. Eines seiner Fotos zeigt seinen letzten Tag in Kabul: den Abschied von Verwandten, darunter seine sechs Brüder, in einem Restaurant. Eine Gruppe junger Männer, überwiegend westlich gekleidet, keiner lächelt. "Ein trauriger Tag", sagt Rahimi. Eigentlich habe er es nicht nötig gehabt zu gehen, sagt er, meint damit aber nur seine wirtschaftliche Situation. Das Bild einer traditionellen Hochzeitsfeier zeigt ihn in bester Gesellschaft, auf einem anderen trägt er einen kostbaren blauen Seidenanzug. Der 21-Jährige war in Kabul Banker, zugleich leitete er sein eigenes Unternehmen. Seine internationalen Handelsbeziehungen hätten ihn zur Zielscheibe der Taliban gemacht. Nachts auf dem Heimweg bedrohten ihn Männer mit dem Messer, eines Tages überfiel ein Schlägertrupp das Büro, erzählt er. Die Taliban zerstörten die Einrichtung, die Computer und schlugen seinen Bruder. "So schlimm es ist, von der Familie getrennt zu sein - sie sagen auch, sie sind sicherer, wenn ich weg bin", erklärt er.

Wie der Medizinstudent Massod Bahram kamen auch Rahimi und Tasal über die Balkanroute und wurden im Dezember 2015 in die Ickinger Turnhalle eingewiesen. Tasal sagt, beim Anblick der Halle habe er sich gefragt: "Was soll das sein?" Wie bei allen Erstaufnahmeeinrichtungen lebten die Asylsuchenden dort, ohne dass die Öffentlichkeit Zugang hatte. Sechs Monaten wohnten die drei jungen Männer in der Ickinger Turnhalle. Ihren Aufenthalt dokumentierten sie mit Handyfotos, die erstmals Einblick in den Alltag dort gewähren. Über den provisorischen Wänden hängt bunte Kleidung. Alles wirkt wie man sich das vorstellt: ein Sammellager. Auf einem Bild sieht man Bahram mit anderen gemeinsam kochen. "Wie bei Studenten, man lernt, wenn man muss", sagt er lachend. Dennoch haben die drei die Zeit in guter Erinnerung: "Weil uns die Helfer unterstützten und oft herausholten mit Angeboten und Aktionen", sagt Bahram. Die gefährliche Flucht lag hinter ihnen, Hoffnung sei aufgekeimt. Jetzt sei die Unterbringung dezentral und schöner. Inzwischen haben alle drei Ablehnungsbescheide erhalten - und Angst, zurückkehren zu müssen nach Afghanistan. Die Bilder der Ausstellung lassen ahnen, wovor sie sich fürchten.

Die Ausstellung ist zu den Rathaus-Öffnungszeiten zu sehen. Am Donnerstag, 6. Juli, 18.30 Uhr findet im Rathaussaal eine Präsentation statt. Asylsuchende erzählen die Geschichte zu ihren Fotos

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Quelle:
SZ vom 17.06.2017
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