Bienenzucht:Königin mit riskantem Liebesleben

Bienenzucht: Reisevorbereitung mit ruhiger Hand: Jede Königin, die von Siegfried Gulde zu ihrem neuen Wirkungsort entsandt wird, bekommt einen winzigen Hofstaat zugeteilt.

Reisevorbereitung mit ruhiger Hand: Jede Königin, die von Siegfried Gulde zu ihrem neuen Wirkungsort entsandt wird, bekommt einen winzigen Hofstaat zugeteilt.

(Foto: Stephanie Schwaderer)

Bienen lassen sich nicht zähmen, aber züchten. Die Imker Siegfried und Markus Gulde sind Könige der Königinnenzucht - und wissen alles über das faszinierende Liebesleben der Tiere.

Von Stephanie Schwaderer, Geretsried

Deckel auf, Flugloch zu, ein prüfender Blick und ab in die Kiste: So also sieht das Ende einer königlichen Hochzeitreise aus. Ernüchternd für Romantiker. Routine für Siegfried und Markus Gulde. Die beiden Imker, Vater und Sohn, haben jeden dieser Handgriffe schon einige tausend Mal gemacht. Längst müssen sie sich nicht mehr absprechen, wer welche Begattungskästchen prüft und einsammelt. Aber noch immer freuen sie sich, wenn es geklappt hat. "Frische Eier, sogar schon Larven", sagt Markus Gulde zufrieden. Und ab in die Kiste.

Die beiden Geretsrieder sind Könige der Königinnenzucht, auch wenn sie von dem Geld, das sie damit verdienen, niemals leben könnten. Seit Ende Mai fahren sie jedes Wochenende eine der beiden Belegstellen an, die sie für die Zucht nutzen. Sichere Belegstellen sind selten in Deutschland. Es gibt ein paar auf den Nord- und Ostseeinseln und einige im Gebirge. Das entscheidende an diesen Plätzen ist, dass frisch geschlüpfte Königinnen dort ausschließlich auf vielversprechende junge Männer, nämlich Zucht-Drohnen, treffen. Nur 14 Tage haben sie Zeit, um auf Hochzeitsflug zu gehen. Regnet und stürmt es in diesen beiden Wochen, ist ihr Leben verwirkt.

Die Belegstelle liegt auf 1000 Metern - kein fremder Drohn darf sich nähern

Auch den Züchtern verordnet dies einen straffen Terminplan. Jeden Samstag von Ende Mai bis Anfang August heißt es für die Guldes: Begattungskästchen wechseln. Egal, ob es fünf Grad hat und schüttet oder ob die klimatischen Verhältnisse ins Tropische tendieren wie heute. "Nass wird man immer", sagt Siegfried Gulde lakonisch und streicht sich den Schweiß von der Stirn. Vergangene Woche war Garmisch dran, heute ist es der Pfaffenkopf südlich des Tegernsees. Punkt 18.30 Uhr ist Treffpunkt an der Mautstelle Enterrottach. Die Belegstelle des Imkervereins Gmund-Tegernsee liegt auf mehr als 1000 Metern Höhe in einem kleinen Bergkessel und ist von einem Schutzkreis umgeben: Kein fremder Drohn darf sich auf 7,5 Kilometer nähern - eine Vorschrift, für deren Einhaltung natürlich der jeweilige Imker zuständig ist.

Bienenzucht: Bienensuite im Gebirge, möglichst weit entfernt von den nächsten fremden Drohnen.

Bienensuite im Gebirge, möglichst weit entfernt von den nächsten fremden Drohnen.

(Foto: Stephanie Schwaderer)

Die Bienenmännchen sind Flugkünstler, aber zum Glück recht faul: Nicht nur, dass sie sich ihr Leben lang füttern lassen und am liebsten bei den jungen Arbeiterinnen in den Bienenkästen herumlungern, sie fliegen auch ungern weiter als vier, fünf Kilometer. Ein Glück für die Belegstellen-Betreiber.

Die Fahrt ist spektakulär. Duftende Wiesen, kühle Wälder und neben der Straße ein springlebendiger Bach - ein guter Platz für Flitterwochen! Das Hochzeitscamp selbst ist eher unscheinbar. Rund um eine Blockhütte, in der die Drohnen auf ihren Einsatz warten, hängen farbige Schutzhäuschen an Pfählen. In ihnen befinden sich je zwei Begattungskästchen, kleine Gemächer aus Holz und Glas, in denen jeweils eine junge Königin und ihre Begleiterinnen auf einer einzigen Wabe residieren.

Ohne Käfig würde die erste Königin alle Rivalinnen töten

Alle Königinnen, die heute von den Guldes eingesammelt werden, sind in Geretsried geschlüpft, manche schon in ihrem Begattungskästchen, wo sie von ihrem kleinen Volk erwartet und begrüßt wurden, viele andere im Brutschrank - genauer: in einem Lockenwickler. "Die Lockenwickler haben sich als Schutzkäfig bewährt", erklärt Siegfried Gulde. "Ohne Käfig würde die erste geschlüpfte Königin alle Rivalinnen töten." Auch als Transportmittel sind die luftigen Plastikzylinder mit den abnehmbaren Deckeln bei ihm im Einsatz: Jede Königin, die von Geretsried aus zu ihrem neuen Wirkungsort entsandt wird, tritt diese Reise - begleitet von einem kleinen Hofstaat - in einem Lockenwickler an.

Zuvor gibt es stets noch eine Krönungszeremonie: Die Königin bekommt ein winziges Farbplättchen auf den Rückenpanzer geklebt. Die Jahresfarben sind international einheitlich, heuer trägt man blau. Viele Züchter benutzen dazu einen Fangkolben mit Haltevorrichtung. Siegfried Gulde vertraut auf seine Hände. Mit einer Seelenruhe greift der 71-Jährige in den Bienenkasten, schnappt sich die Chefin, lässt sie über seine schwieligen Finger sausen, bis sie sich im richtigen Moment zwischen Daumen und Zeigefinger befindet - und hält sie einfach fest. "Schnell muss man sein", sagt er, "und vorsichtig, damit man sie keinesfalls verletzt." Ein einziges Mal sei er gestochen worden. "Aber das war nur aus Versehen", ist er sich sicher. "Ich hatte an diesem Tag schon viele Königinnen gezeichnet. Das hat sie wohl gerochen und meinen Finger für eine Rivalin gehalten." Er lacht.

Die Varroa-Milbe gefährdet viele Völker, der Bedarf an Königinnen ist hoch

Die Königinnen sind die Hoffnungsträgerinnen eines jeden Imkers. Allein von der Königin hängt es ab, wie robust und vital ein Bienenvolk ist, ob es gut gedeiht und fleißig Honig sammelt, zur Hausarbeit oder zum Schwärmen neigt, ob es sanftmütig oder stechlustig ist. "Auch die Frage, wie gut es mit der Varroa-Milbe zurechtkommt, entscheiden zum Teil die Gene", sagt Markus Gulde. Der 43-Jährige ist Postbeamter, aber auch ausgebildeter Tierwirtsmeister für Bienenhaltung.

Bienenzucht: Markus Gulde prüft Begattungskästchen auf der Belegstelle Pfaffenkopf

Markus Gulde prüft Begattungskästchen auf der Belegstelle Pfaffenkopf

(Foto: Stephanie Schwaderer)

Nach den extremen Verlusten im vergangenen Herbst und Winter, bei denen selbst erfahrenen Imkern die Bestände weggebrochen sind, klingelt das Telefon bei den Guldes seit Wochen noch häufiger als sonst. "Jeder braucht eine neue Königin und am besten sofort", sagt Siegfried Gulde. Etwa 180 Mitglieder zählt der Geretsrieder Imkerverein, den sein Vater einst nach dem Krieg gegründet hat. Und das Interesse an Bienen nimmt seit Jahren stetig zu.

Hinter dem Pfaffenkopf senkt sich die Sonne. "Das war nichts." Markus Gulde hält ein leeres Begattungskästchen gegen das Licht. Die Königin ist nicht vom Hochzeitsflug zurückgekommen. Was sich in der Luft abspielt, haben weder er noch sein Vater jemals beobachtet. Selbst belegstellenbegattete Königinnen haben eine Intimsphäre. Zumindest einmal in ihrem Leben. Und dann in der Luft.

Drohnen-Sperma bleibt über Jahre fertil

Fest steht: An sogenannten Drohnensammelplätzen treffen die jungen Königinnen auf bis zu 20 000 Männchen. "Zwei bis drei Mal fliegen sie aus", sagt Markus Gulde, "und dabei paaren sie sich mit bis zu 20 Drohnen." "Das werden von Jahr zu Jahr mehr", spottet Siegfried Gulde. "Das kann man mittlerweile genetisch nachweisen, Vater", kontert der Sohn. Was die beiden ebenso wie die Wissenschaft fasziniert: Dass das Drohnen-Sperma über Jahre fertil bleibt. Eine Königin kann noch vier Jahre nach ihrem Hochzeitsflug Tausende befruchtete Eier legen. Eines von vielen Bienen-Rätseln.

Nach der praktischen Arbeit ist noch die Buchführung dran. Schließlich ist das Auto randvoll bepackt. 41 begattete Königinnen befinden sich in den Bienenkisten. Auf der Heimfahrt wird es ganz still. Siegfried und Markus Gulde haben ohnehin schon mehr als üblich geredet. Auch von den Mitreisenden ist nicht einmal ein Brummen zu hören.

Bienenzucht: Auch fleißige Bienenzüchter wie Siegfried Gulde kommen am Schreibkram nicht vorbei.

Auch fleißige Bienenzüchter wie Siegfried Gulde kommen am Schreibkram nicht vorbei.

(Foto: Stephanie Schwaderer)

Der Vater ist es, der irgendwann das Schweigen bricht. "Jetzt riecht man die Bienen", sagt er lächelnd. Und es stimmt: Es ist nicht der Duft von Wachs oder Honig, der das Auto erfüllt, sondern ein ganz spezieller, aromatisch-säuerlicher Geruch. "Jede Königin hat ihren eigenen Duft", sagt er. "Mit ihm hält sie ihr Volk zusammen." Der Duft von 41 Königinnen also. Zumindest für die Nase ist das Ende dieser Hochzeitsreise aufregend, ja betörend.

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