Süddeutsche Zeitung

Artenschutz:Gülle für die Bienenrettung

Um die Umwelt insektenfreundlich zu gestalten, kann man viel tun - Blühwiesen anlegen zum Bespiel. Der Ickinger Biologe Georg Linsinger aber geht noch einen Schritt weiter: Er forscht an einem Düngemittel, das in der Landwirtschaft den Einsatz von Chemie überflüssig machen soll.

Von Claudia Koestler und Florian Zick

Manche Interviews können mit etwas zeitlichem Abstand fast schon prophetisch klingen. 2017 beispielsweise hatte der Biologe und Unternehmer Georg Linsinger in einem Gespräch mit der SZ eindringlich appelliert, "wir müssen die Bienen retten". Inzwischen ist ein fast identisch klingendes Volksbegehren in Bayern erfolgreich verlaufen, der notwendige Schutz der Insekten bei der breiten Bevölkerung längst im Bewusstsein verankert. So sehr, dass die Gemeinde Icking, Linsingers Heimatort, schon damals auf seinen Vorschlag hin beschlossen hat, Blühstreifen auf öffentlichen Flächen zu schaffen und den örtlichen Kreisverkehr so zu gestalten, dass Insekten dort einen Lebensraum haben.

Inzwischen handhaben viele Kommunen das ähnlich. In Bad Tölz hat die Stadt vor drei Jahren damit begonnen, 25 stadteigene Flächen zu insektenfreundlichen Blühwiesen umzugestalten. Die Stadt Geretsried wurde dieser Tage vom Bezirk Oberbayern gemeinsam mit 29 anderen Kommunen sogar als "Bienenfreundliche Gemeinde 2019" ausgezeichnet. Fast überall wird in den Rathäusern inzwischen kostenlos bienenfreundliches Saatgut ausgegeben. Und Politiker wie etwa der Grünen-Landtagsabgeordnete Hans Urban laden sogar offiziell zum Ansähen von sogenannten Blühstreifen ein.

Ein klassisches Grünen-Thema also, könnte man meinen. Doch Linsinger ist nicht Mitglied der Ökopartei, sondern engagiert sich für die eher konservative Unabhängige Bürgerliste Icking (UBI). Schutz der Natur und die Bewahrung der Artenvielfalt ist also ein überparteilich bewegendes Thema. Auch deshalb legt der Biologe und Unternehmer nun noch einmal nach - und zwar mit einem ökologischen Experiment, von dem er hofft, dass es in Zukunft ähnlich viele Interessierte in der Region finden wird wie der Schutz der Bienen.

Mit effektiven Mikroorganismen, kurz EMs genannt, soll landwirtschaftlicher Boden so umgebaut und saniert werden, dass er auch ganz ohne den Einsatz von chemischen Mitteln ertragreicher wird. In Icking will der promovierte Biologe Linsinger in Zusammenarbeit mit einem örtlichen Landwirt die Wirkprinzipien der mikrobiellen Welt besser verstehen lernen und sie sich zu Nutze machen. Sollten die Versuche erfolgreich sein, könnten auch andere Landwirte auf diese Art Düngung umsteigen und könnten, ohne dass sie Angst haben müssten, in wirtschaftliche Schwierigkeiten zu geraten, künftig auf Glyphosat und andere Herbizide verzichten.

Die Bakterien, die den Humus aufbauen sollen, kommen in flüssiger Form gebunden zum Einsatz und bestehen aus mehr als 80 verschiedene Arten von Mikroorganismen. Ihre Zusammensetzung wurde vor etwa 30 Jahren auf der japanischen Insel Okinawa entwickelt. Mit ihren fermentativen Eigenschaften sollen sie Antioxidantien produzieren und schädliche oder zu dominante Prozesse wie Oxidation und Fäulnis zurückdrängen. Die durch Fermentation entstehenden Nährstoffe sollen zudem andere Mikroorganismen in ihren Aktivitäten unterstützen. Und diese wiederum führen im Idealfall zu einer erhöhten Fruchtbarkeit des Bodens und zu kräftigen Pflanzen.

Ganz neu ist das Thema effektive Mikroorganismen übrigens für die Ickinger nicht. Denn schon seit etwa 15 Jahren kann die Gemeinde mit ihnen ein im wahrsten Sinne des Wortes anrüchiges Problem lösen. Immer wieder lag über der Isartalgemeinde ein übler Gestank, der aus den Abwasserleitungen stammte. Andernorts werden Nitrat und Eisen-III-Salze zugeführt - mit erheblichen Nebenwirkungen für Leitungen und Umwelt. Linsinger experimentierte stattdessen mit EMs - und die umweltverträgliche Lösung bewährte sich. Seither züchtet die Gemeinde im Sommer pro Woche 1000 Liter Bakterienlösung und leitet diese in den Kanal ein. So wird seither auf natürliche Art das Geruchsproblem in Schach gehalten.

Nun also Bakterien für den Boden statt Chemie. "Bei den Landwirten gibt es durchaus Ängste, vor allem, was das finanziell mit sich bringt", weiß Linsinger. Da gehe es um die Kosten für die Bakterienlösung einerseits, andererseits aber auch um potenzielle Ernteverluste in der ersten Zeit. Doch ein Landwirt aus dem Ickinger Ortsteil Dorfen ließ sich auf das Experiment ein und stellte Linsinger eine Fläche zur Verfügung. Ein Streifen Land wird nun mit EMs behandelt, der andere nicht. "Wir machen das jetzt einfach mal", sagt der Biologe. "Und dann werden wir hoffentlich bald den Unterschied sehen."

Bei der Gelegenheit will Linsinger auch gleich die Kosten für die ökologische Bodensanierung eruieren. "Die teuersten Bestandteile sind die Bakterien", sagt er. Für die Urlösung gibt es spezialisierte Firmen in Deutschland. Diese "expandiert" Linsinger dann, wie es in der Fachsprache heißt, er vergrößert also die Menge. In Icking stehen dafür schon 1000 Liter Melasse bereit. "Dann braucht es nur noch Wasser und Heizstäbe - denn die Bakterien mögen es kuschelig warm", erklärt Linsinger. Bei 35, 36 Grad Celsius würden sie sich am besten vermehren. Diese Lösung will er schließlich in die Güllegrube einbringen und mit dem Odelfass dann auf dem Acker ausbringen.

Wie sich die Fruchtbarkeit des Bodens dadurch verändert, dokumentiert Linsinger. Er will die Ergebnisse anderen Interessierten zur Verfügung stellen. "Letztlich geht es mir um eine gute, zukunftsfähige Umwelt in meiner Heimat."

Man kann also die Pressemitteilungen der vergangenen Wochen und Monate durchgehen: Königsdorf will den Artenschutz auf Wiesen und in Gärten fördern, Kochel macht den kompletten Grünstreifen an der Alten Straße zum Blühstreifen, Wolfratshausen lässt acht Blühwiesen mit Wildblumen für Insekten anlegen. Wenn Linsingers Experimente Erfolg haben, wer weiß, vielleicht klappt die Bienenrettung dann noch viel besser, wenn auf all diesen Blühflächen zusätzlich zu den bienenfreundlichen Saaten auch noch seine blumenfreundliche Bakterienmischung ausgebracht wird.

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Quelle:
SZ vom 20.07.2019
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