Der Winter 2024/2025 macht es Skitourengehern im Alpenraum ganz schön schwer. Weil es wochenlang kaum nennenswert geschneit hat, sind in der ersten Februarhälfte vielfach Frühjahrstouren gefragt. Im Tiroler Hinterriss direkt südlich der bayerischen Grenze muss man das sonnseitig exponierte Schönalmjoch mangels ausreichender Unterlage buchstäblich links liegen lassen und sich auf die rechte Talseite konzentrieren. Oberhalb des Rohntalbodens Richtung Torscharte begeistern die unverhofft guten Schneeverhältnisse im Schattseitigen eine Gruppe Tourengeher so sehr, dass ihnen lautes Juchzen entfährt.
Davon berichtet Marina Hausberger ein paar Tage später. Die stellvertretende Geschäftsführerin des Naturparks Karwendel, der seit 1928 Naturschutzgebiet ist, war am 8. Februar mit Kollegen unterwegs. Ihr Ziel war aufzuklären, wie sich Besucher in diesem sensiblen Naturraum am besten verhalten sollen, um die seltene Flora und Fauna zu erhalten. Zu großer Lärm etwa ist deshalb problematisch, weil er Wildtiere aufschreckt, die jede Ressource brauchen, um den Winter gut zu überstehen.
Darauf habe sie die Tourengeher angesprochen, berichtet Hausberger. Die Reaktion: positiv. „Die meisten Leute sind aufgeschlossen“, sagt sie. „Sie halten sich an die Verhaltensregeln, wollen alles richtig machen.“
Für 737 Quadratkilometer sind vier Rangerinnen und Ranger zuständig
Im 737 Quadratkilometer großen Naturpark Karwendel bedeutet das auch, nicht zu biwakieren oder im Camper zu übernachten, Sonnenauf- und -untergangstouren zu vermeiden, Lagerfeuer bleibenzulassen und generell auf den Wegen zu bleiben.
Eine gewaltige Aufgabe angesichts der Dimensionen im riesigen Karwendel, das wegen seiner landschaftlichen Eindrücklichkeit und den imposanten schroffen Felszackentürmen zu den touristischen Hotspots zwischen dem bayerischen Oberland und dem Tiroler Inntal zählt. Die lang gezogenen Täler bieten Rückzugsräume für Rot- und Rehwild, Steinböcke, Gämsen und Steinadler und Lebensraum für seltene Pflanzen wie das Rogers Goldhaarmoos, das vor allem die alten Berg-Ahorne besiedelt.

Besucherlenkung ist darum für die Region, die gleichermaßen durch die Alm- und Forstwirtschaft geprägt ist, essenziell. Besonders angesichts der gut eine Million Besucher, die es allein in den Sommermonaten in den Karwendel zieht. Gewaltig groß ist längst auch die Anzahl an Informationen und „Geheimtipps“, die Ausflügler über die sozialen Medien im Internet hinterlassen.
Um das zu kanalisieren, hat der Naturpark Karwendel seit 2024 eine „digitale Rangerin“ eingestellt. Die erste dieser Art im österreichischen Bundesland Tirol, wie Marina Hausberger sagt. Deren Aufgabe ist es, dass Internet-Nutzer möglichst Informationen, die gegen die Verhaltensregeln im Naturpark verstoßen, wieder entfernen. „70 Prozent reagieren darauf positiv“, berichtet Hausberger.
Das Biwak oberhalb der Lalidererwand ist nur für den Notfall
Das betrifft etwa die beliebte Tour zum Vomper Loch, bei der einige gerne in das hellblaue Wasser beim Kraftwerk springen und die Bilder davon auf Instagram posten. Angesichts des Schwellbetriebs sei das lebensgefährlich, sagt Hausberger. Darauf auch in den sozialen Medien aufmerksam zu machen, sei inzwischen gelungen. „Wir müssen schauen, dass wir solche Sachen aus dem Internet rauskriegen.“ Auch im oberhalb der Lalidererwand errichteten Biwak mit seiner Glaskuppel zu übernachten und den Sternenhimmel zu beobachten, sei zwar verlockend, aber ein No-Go. „Das ist für den Notfall gedacht“, sagt Hausberger.
Das Karwendel ist das älteste Schutzgebiet Tirols und gleichzeitig der größte Naturpark Österreichs. Vier Ranger sind dort auf mehr als 730 Quadratkilometern damit beschäftigt, Besucher aufzuklären und den touristischen Betrieb in naturverträgliche Bahnen zu lenken. Wenig Personal im Vergleich mit der angrenzenden bayerischen Nachbarregion. Im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen sind allein elf Naturschutz-Ranger für 230 Quadratkilometer unter Landschafts- und Naturschutz von den Isarauen im Norden bis zum Walchensee und Sylvensteinspeicher im Süden beschäftigt.

Für das Team im Naturpark Karwendel bedeutet das, eng mit Almbauern und der Forstwirtschaft und vor allem mit den fünf Tourismusverbänden und 16 Gemeinden der Region zusammenzuarbeiten. Alle sind Mitglieder im als Verein organisierten Naturpark Karwendel, genau wie die Österreichischen Bundesforsten, die Tiroler Landwirtschaftskammer, die Abteilung Umweltschutz des Bundeslands Tirol sowie der Österreichische und Deutsche Alpenverein.
Untereinander zu kommunizieren, sei entscheidend, so Hausberger. „Als Ranger können wir alleine nicht viel ausrichten.“ Gut mit den Tourismusverbänden zusammenzuarbeiten, sei essenziell, um Besucher im Naturpark aufzuklären. „Es ist ganz wichtig, dass sie die richtigen Informationen bereitstellen.“
Während der Sommermonate seien im Naturpark Karwendel sehr viel mehr Leute unterwegs als im Winter. Aber weil die Region mit ihren kilometerlang gezogenen Tälern so weitläufig sei, konzentriere sich viel Tourismus auf die Randgebiete, so Hausberger.
Karwendel-Hotspots sind das Risstal oder das Gebiet westlich des Achensees
Zu den besonders beliebten Hotspots gehört das nur von Bayern aus zu erreichende Risstal, das eine 14 Kilometer lange Mautstraße während der Sommermonate von Hinterriss bis zum Großen Ahornboden erschließt. Aber auch das Karwendel- sowie das Hinterautal bei Scharnitz, die auch mit Liften erschlossene Nordkette bei Innsbruck und die Täler westlich des Achensees sind stark frequentiert.
Im Risstal ist der Verkehr das Hauptthema, wie Hausberger erklärt. Denn viele Ausflügler reisten mit eigenem Fahrzeug an. Ein laufendes grenzübergreifendes Projekt soll nun klären, wie alternative Mobilitätsformen, etwa mit einem verdichteten Takt des öffentlichen Personnahverkehrs, die Lage künftig entlasten könnten. Das wilde Übernachten mit dem Campingfahrzeug einzudämmen, sei dem Naturpark aber inzwischen ziemlich gut gelungen, so Hausberger. Dass ihr Team gemeinsam mit der Bergwacht kontrolliert und Bußgelder verhängt habe, habe sich herumgesprochen.

Um besser darauf reagieren zu können, wo sich wie viele Besucher aufhalten, hat das Naturpark-Team seit 2024 bei Scharnitz zwei Zählgeräte sowie eine Lichtschranke installiert. 17 000 Fußgänger und 45 000 Radfahrer kamen allein an der Zählstation Hinterautal/Gleirschtal taleinwärts vorbei. „Diese Anzahl hat uns dann schon überrascht“, sagt Hausberger. Die Zahlen böten eine gute Basis für künftige Handlungsfelder.
Im Naturpark können sich allerdings generell nicht nur private Freizeitsportler, sondern auch professionelle Tourismusanbieter mit Gruppen frei bewegen. Die Voraussetzung ist, dass sie die geltenden Regeln einhalten. Für die bayerische Seite heißt es aus dem Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen, dass wirtschaftliche Nutzungen in Naturschutzgebieten grundsätzlich verboten sind. Ausnahmen davon sind in den zugrundeliegenden Verordnungen geregelt. Im Naturschutzgebiet sind das etwa die ordnungsgemäße landwirtschaftliche und forstwirtschaftliche Nutzung, sowie rechtmäßige Jagd und Fischerei.
Anders als im Nachbarland braucht es in Bayern für geführte Touren in Naturschutzgebieten eigentlich eine Ausnahmegenehmigung. Die Kreisbehörde geht aber davon aus, dass dafür kein Bergführer die Regierung von Oberbayern kontaktiert. Das laufe eher unter dem Radar. „Für Filmaufnahmen, die im Gegensatz dazu doch auffälliger sind, werden schon eher Ausnahmen beantragt“, heißt es aus der Pressestelle. Für Landschaftsschutzgebiete gelten solche Verbote nicht. Für Veranstaltungen dürfe die freie Natur nach dem bayerischen Naturschutzgesetz aber nur betreten werden, solange betroffene Grundstücke nicht beeinträchtigt werden.

Wenn die Naturpark-Ranger unterwegs sind, nutzen sie eine App, um ihre eigene Arbeit besser eruieren zu können. Mit der können sie Tier- und Pflanzenarten, Problemstellen oder das Gebiet, in dem sie jeweils unterwegs waren, markieren und später auswerten.
Das Team des Naturparks Karwendel tauscht sich bei jährlichen Treffen mit den Verantwortlichen anderer Naturparks beidseits der österreichisch-bayerischen Grenze aus. Ein Film des Euregio-Projekts „AlmenReich“ thematisiert zum Beispiel die Bedeutung der Almwirtschaft im Naturpark und in den angrenzenden Bergen des Vorkarwendel im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. „Wir haben sehr viele positive Rückmeldungen bekommen“, sagt Hausberger. „Das hat unsere Zusammenarbeit sehr intensiviert.“
Im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen sind neben den Naturschutz-Rangern noch zwei Gebietsbetreuer für die an das Karwendel angrenzende Alpenregion zuständig. Sie leisten gemeinsam mit den anderen Akteuren Öffentlichkeitsarbeit, klären an Ort und Stelle auf, organisieren Führungen und arbeiten mit Kommunen, lokalen Naturschutzverbänden und staatlichen Institutionen zusammen.

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Die Gebietsbetreuer und Ranger gehören zum Fachbereich Besucherlenkung, der 2022 an der Unteren Naturschutzbehörde im Landratsamt eingerichtet wurde. Dieser nutzt auch digitale Medien, um die Menschen zu erreichen, zum Beispiel die „Natur-digital“-App. Das Informationsportal soll Besucher in sensiblen Gebieten lenken, ihnen interessante Orte der heimischen Natur nahebringen und Kenntnisse über dort vorkommende Arten vermitteln. Und die Plattform „Digitize the planet“ soll Naturschutzaspekte mit Outdoor-Plattformen verknüpfen. Das Landratsamt hat dort etwa Wildschutzgebiete, Landschafts- und Naturschutzgebiete eingepflegt.

Wo es in der Region besonders viele Besucher hinzieht, sind sogenannte Wald-Wild-Schongebiete ausgewiesen, die Wanderer während der Winter- und Frühjahrsmonate meiden sollen. Denn dort finden Schalenwildarten, aber auch Birk-, Auer- und Schneehühner wichtige Rückzugsräume. Für Skitourengeher gibt es in den Schongebieten extra ausgewiesene Routen.
Um Besucher besser lenken zu können, erfasst das Landratsamt Ausflüglerströme auch mit Zählanlagen. Es gibt Messstandorte für die Winter- oder die Sommersaison, sowie solche fürs ganze Jahr. Am Kampen an der Grenze zum Mangfallgebirge im Landkreis Miesbach, am Gerstenrieder Kopf am Kamm bei der Hochalm oder bei den Ludernwändern erfassen Messgeräte in Brut- und Aufzucht-Habitaten das Besucheraufkommen. Anhand der Daten lässt sich rückschließen, wie sich die Nutzer über den Tagesverlauf oder die Woche verteilen und wohin es besonders viele Leute zieht.
Die Kampagne „Naturschutz beginnt mit Dir“ soll Konfliktlinien abbauen helfen
Laut Landratsamt ist es aber schwierig, die Informationen auszuwerten. Denn erfasst würden nicht nur Menschen, sondern auch Tiere und Fahrzeuge, weswegen stichprobenartig an Ort und Stelle kontrolliert und direkt gemessen werden müsse. „Die Betreuung der Zählanlagen ist sehr aufwendig“, sagt Sprecherin Marlis Peischer. In der Umgebung der Zählgeräte müsse regelmäßig aufkommende Vegetation entfernt werden. Auch seien diese schon mehrfach mutwillig beschädigt worden und hätten ersetzt werden müssen.
Konflikte zwischen Schutz- und Tourismusaspekten abbauen helfen soll die Kampagne „Naturschutz beginnt mit Dir“, die der Tölzer Land Tourismus gestartet hat. Deren Ausgangsbasis ist, dass Besucher in der Regel aus Unwissenheit und nicht aus „bösem Willen“ gegen Grundlagen des Naturschutzes verstoßen. Auf der Homepage informiert der Tourismusverband nicht nur über die „Dos & Don’ts in der Natur“, sondern wirbt unter dem Slogan „charmant miteinand“ auch für einen besseren Umgang zwischen Gästen und Einheimischen. Auch mit dem MVV arbeitet die regionale Tourismusorganisation zusammen, um Besucher beispielsweise mit der Buslinie X970 im 20-Minuten-Takt zu den wichtigsten Erlebnisorten zu bringen.