Die Gipfelklassiker wie Jochberg, Herzogstand und Benediktenwand sind in der Region vielen bekannt. Deutlich unscheinbarer wirkt der nur 805 Meter hohe Schindelberg nordwestlich des Kirchsees. Doch wer hinaufgeht, kann sich rühmen, einen selten besuchten, geologisch aber nicht minder interessanten Gipfel im Landkreis zu besteigen.
Tief im Zeller Wald - und doch gar nicht so weit von gut ausgeschilderten Wanderwegen am Kirchsee entfernt - liegt der Schindelberg. Keine allzu spektakuläre Höhe, ragt der Schafreuter im Karwendel als höchster Landkreisberg mit 2101 Metern mehr als doppelt so weit in den Himmel. Und doch birgt der Schindelberg eine Besonderheit, die ihn von vielen anderen Landkreisbergen unterscheidet: Er ist die höchste Moränen-Erhebung im Voralpenland östlich der Ammer. Zudem lassen sich sehr viele Findlinge entdecken. Die Gesteinsbrocken nahmen die Gletscher während der Würmeiszeit aus den Zentralalpen zwischen Silvretta und Stubai bis nach Südbayern mit. Damit ist der Schindelberg ein Relikt aus früher Zeit. Vor tausenden Jahren formte der mächtige Isar-LoisachGletscher die Umgebung von Bad Tölz wie keine andere Naturgewalt, sieht man einmal von der Geschiebe- und Schürfarbeit der Isar ab.
"Nördlich des Kirchsees befindet sich ein Rückzugsmoränenwall, der während eines kurzen Vorstoßes einer Gletscherzunge entstanden ist", erläutert das Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen auf einem 2013 erschienenen Merkblatt. Ist der Wanderer dem massigen Schotterberg, der sich mehr als 100 Meter über den Wasserspiegel des Kirchsees erhebt, aufs Haupt gestiegen, bietet sich zwar keine Rundumsicht wie vom Jochberg - dafür zieht den Wanderer die urweltliche Atmosphäre unweigerlich in ihren Bann.
Gewaltige, zum Teil mehrstämmige Buchen säumen die Fahrwege, die sich durch den wilden, Zeller Wald schlängeln. Wer dort wandert, kommt sich fast wie in einem Urwald vor. Mehr als 150 Jahre alt sind viele der imposanten Exemplare im sogenannten "Waldmeister-Buchenwald". Doch die Bestände der Baumart sind "selten geworden", schreibt das Landratsamt auf einer Hinweistafel. "Ohne den Einfluss des Menschen wären rund zwei Drittel der Landfläche Deutschlands von Buchenwäldern bedeckt", heißt es weiter.
Die Wanderung auf den Schindelberg verlangt neben einem besonders nach Regenfällen guten Schuhwerk auch ein wenig Orientierungsvermögen. Wer die Karte mit der Bezeichnung "ATK25-P11" des Landesamts für Digitalisierung, Breitband und Vermessung Bayern sein Eigen nennt, geht auf Nummer sicher. Ist der im Artikel beschriebene Zugang vom Kirchsee-Parkplatz in einer Stunde gut zu bewältigen, braucht es von der Dietramszeller Seite ein wenig mehr Zeit und Mut, um den richtigen Weg durch den wilden Zeller Wald zu finden. Zur Einkehr bietet sich das Klosterbräustüberl Reutberg an. zimp
Der Schindelberg lässt sich vom großen Kirchseeparkplatz aus in etwa einer Stunde besteigen. Wer abenteuerlustig ist und eine gute Karte im Maßstab 1:25 000 dabei hat, kann den Berg auch überschreiten. Die Exkursion durch den Zeller Wald führt an Flurnamen wie "Schwarzes Kreuz", "Grüne Marter" und "Schwarzensee" vorbei. Derlei Bezeichnungen verweisen noch auf die Attribute, die dem wildesten aller Landkreiswälder zugeschrieben wurden und werden: Unzugänglichkeit, Düsternis und die urmenschliche Angst vor dem Unbekannten.
Vom Kirchsee-Parkplatz wandert man entlang des Kirchsees bis zum Wasserwacht-Häuschen, vor dem man dem Fahrweg nach rechts (Norden) folgt. Eine Abzweigung wird links liegen gelassen, man quert im Wald einen Fahrweg und steigt in einem weiten Linksbogen, einen weiteren, schwächer ausgeprägten Querweg ignorierend, bis zu einem mitten im Wald gelegenen Sattel.
Auf Höhe des Sattels zweigt ein schwächer ausgeprägten Fahrweg nach links ab. Die Wanderer folgen diesem in einer Viertelstunde bis zum höchsten Punkt am Schindelberg. Oben steht ein kleines Hüttchen. Sogar ein Kreuz ziert den waldbestandenen Gipfel. Besonders im Frühjahr, wenn die Buchen ihre Blätter noch nicht voll entfaltet haben, lässt sich der ein- oder andere Blick auf die Bayerischen Voralpen und den Kirchsee in der Tiefe erhaschen. In der Ferne lässt sich der Kirchturm von Waakirchen gut erspähen.
Wer die Urgesteinsfindlinge sehen will, muss dem sich langsam verlierenden Fahrweg mehrere hundert Meter entlang des Bergrückens nach Südwesten folgen. Auf der rechten Seite tauchen die Gesteinsbrocken mit mehreren Metern Umfang auf. Bergsteiger, welche die großen Alpengletscher und deren Moränen kennen, werden sich in die Zeit versetzt fühlen, als eine der Gletscherzungen des Isar-Loisach-Gletschers genau hier endete.