Süddeutsche Zeitung

Besondere Vereine:Herzsport statt Herzschmerz

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Beim BSV Bad Tölz treiben Menschen mit Kreislauferkrankungen seit 30 Jahren gemeinsam Sport

Von Silver Lucia Breitkopf, Bad Tölz

Aus einem alten Kassettenrekorder erklingt scheppernd der Achtzigerjahre-Hit "Funkytown" von der amerikanischen Disco-Formation Lipps Inc. und hallt durch die Turnhalle. Hier an der Von-Rothmund-Schule findet allerdings kein Aerobic-Kurs statt. Nein, es ist das Training der Herzsportgruppe Bad Tölz. Der Arzt Andreas Lang hat sie vor genau 30 Jahren über den Behinderten- und Versehrten-Sportverein (BSV) gegründet.

Lang ist Funktionsarzt für Somatik, also für alles Körperliche. Die Betreuung der Herzsportgruppe ist ihm jedoch ein persönliches Anliegen, weswegen er die Gruppe immer noch betreut, als mittlerweile einer von sechs Ärzten, die sich immer wieder abwechseln.

Die Sportgruppe richtet sich an Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Komplett bewegungsunfähig darf einen die Krankheit aber nicht machen. Wer beim Sportprogramm teilnehmen möchte, muss mindestens noch ein Watt Leistung pro Kilogramm Körpergewicht ausführen können. Lang erklärt: "Wenn also jemand 60 Kilo wiegt, muss er eine Mindestleistung von 60 Watt erbringen." So eine hohe Hürde ist das aber gar nicht. "Um das ins Verhältnis zu setzen", sagt Lang, Jan Ullrich habe in seiner Hochzeit als Radsportprofi eine Leistung von ungefähr 600 Watt getreten.

Ähnlich wie Krankengymnastik muss auch der Herzsport von einem Arzt verschrieben werden. Jedoch ist es bei der Krankengymnastik das Ziel, ein Problem zu beheben. Beim Herzsport geht es hingegen darum, Leistung aufrecht zu erhalten, vorzubeugen und den Herzmuskel zu unterstützen. Lang ist es besonders wichtig, dass jeder Teilnehmer auf sich selbst achtet. Wettbewerb soll deswegen während des Trainings in jeder Form vermieden werden. Vielmehr soll Bewegung als Medikament eingesetzt werden.

Die Teilnehmer sollen spielerisch, und immer unter Beaufsichtigung eines Arztes lernen, wie viel sie leisten können, und welche Übungen ihnen guttun. Die Krankenkasse übernehme eine Teilnahme an dem Herzsporttraining für maximal zwei Jahre, berichtet Lang, doch viele Teilnehmer hätten einen solchen Spaß an dem Training, dass sie der Gruppe auch darüber hinaus noch erhalten blieben.

So bildete sich mit der Zeit eine feste Gruppe heraus, bei der die Freude am Sport im Vordergrund steht. Besonders erfreut es Lang, wenn sich bei den jährlichen Belastungs-EKGs, die Teilnehmer ablegen müssen, um ihre Herzleistung zu überprüfen, deutliche Leistungssteigerungen feststellen lassen. Verbesserungen ermutigten die Teilnehmer und zeigten, wie effizient das Training sei, sagt Lang.

Um die Qualität des Trainings zu gewährleisten, sind die Übungsleiter eigens ausgebildet. Zu Beginn jeder Trainingsstunde messen die Teilnehmer ihre Herzfrequenz und ihren Blutdruck und die Werte in eine Kontrolltabelle ein. Dies sei enorm wichtig, damit der betreuende Arzt über den körperlichen Zustand der Sportler informiert ist, erklärt Lang. So kam es in 30 Jahren nicht einmal zu einem herzbedingten Zwischenfall.

Die Aufwärmübungen sind koordinativ anspruchsvoll und sollen das Reaktionsvermögen steigern. Auf die Aufwärmphase folgt das Ausdauertraining, dann einige effektive Spiele und eine Entspannungsphase zum Schluss. Die Gruppe ist 16 Personen stark, da aktuell jedoch noch Sommerferien sind, fällt der Teilnehmerkreis momentan etwas kleiner aus. Die älteste Teilnehmerin ist stolze 90 Jahre alt und noch immer mit vollem Elan dabei.

Dass der Spaß an der Bewegung beim Training nicht zu kurz kommt, ist bis vor die Tür zu hören. Fünf verschiedene Bälle werden im Kreis gedotzt. Man hört das Lachen und gelegentliche Fluchen der Teilnehmer, wenn ein Ball entwischt, weit über den scheppernden Kassettenrekorder hinweg.

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Quelle:
SZ vom 21.08.2019
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