Fotografie:Bergheimat im Fokus

Der Kochler Fotograf Bernd Ritschel war weltweit auf Tour. Doch der Klimawandel hat ihn alarmiert. Jetzt konzentriert er sich auf die Alpen

Von Benjamin Engel

Die mächtigen Quader des Blaueisgletschers in den Berchtesgadener Bergen bedeckten um 1820 noch 25 Hektar Fels. Bis 1953 halbierte sich die Fläche und schrumpfte weiter - auf etwa 7,5 Hektar im Jahr 2009. Apert es im Sommer stark aus, bleiben nur noch drei voneinander getrennte klägliche Reste zurück.

Diese Folgen des Klimawandels stimmen den Fotografen Bernd Ritschel nachdenklich. Der 56-Jährige Kochler hat viele Jahre lang Alpengletscher mit der Kamera aufgenommen, ihren dramatischen Schwund selbst erlebt - und beobachtet, dass der Klimawandel immer schneller voranschreitet: "Alles was prognostiziert wurde, ist nicht erreicht, sondern überschritten worden", sagt er.

Mit den Spuren des Klimawandels in den Bergen setzt sich Ritschel in einem Buchprojekt auseinander. Dafür hat er sich mit Klimaforschern und Glaziologen getroffen. Diese Gespräche haben sein Denken und Verhalten radikal verändert. "Dieses Jahr habe ich meine Flugkilometer um 90 Prozent reduziert", schildert er. Nur noch für einen Kunden, der ihm sehr wichtig ist, hat er sich in ein Flugzeug gesetzt. "Ich mag nicht mehr so viel fliegen. Das fühlt sich nicht mehr gut an."

Nach mehr als 100 Fernreisen und Expeditionen in mehr als 60 Ländern der Welt hat Ritschel die nahe Bergwelt im Alpenraum neu für sich entdeckt. Um die eigene Leidenschaft mit einem ökologischen Mindestanspruch vereinbaren zu können, muss er kreativ werden. Zum Beispiel, indem er Fahrgemeinschaften bildet oder mit dem öffentlichen Personennahverkehr anreist. Er empfiehlt, sich ruhig mehr Zeit für längere Unternehmungen im näheren Umkreis zu nehmen. "Wer schlau ist, sollte sich ruhig einmal eine Woche Urlaub dafür nehmen."

Seine neue Einstellung spiegelt sich in zwei aktuellen Buchveröffentlichungen aus diesem Jahr wider. Für den National Geographic-Band "Hütten²" war er 2017 und 2018 in den vier Alpenanrainerstaaten Deutschland, Österreich, Italien und der Schweiz unterwegs. Zwei Autoren haben die Texte geschrieben. Dafür gingen sie etappenweise vor, unternahmen zwischen Juni und September Touren zu jeweils fünf bis sieben Hütten auf einmal. Die Anfahrt, der Aufstieg, eine Übernachtung, Abstieg am darauffolgenden Tag und Weiterfahrt zum nächsten Ziel gaben den Rhythmus vor.

Zu den Kriterien für die Auswahl der mehr als 30 vorgestellten Hütten zählte etwa, dass 80 bis 90 Prozent ohne Hochtourenausrüstung erreichbar sein sollten. Wichtig war Ritschel, dass die Hütten weite Panoramablicke bieten, gepflegt sind und die Wirtsleute mit Leidenschaft aktiv sind. "Reinkommen und sich wohlfühlen", das war für Ritschel entscheidend. Besonders freute er sich, wenn er nach 22 Uhr noch etwas zu Essen bekam, nachdem er von 17 Uhr an rund um die Hütte fotografiert hatte.

Denn Fotografen müssen für gelungene Aufnahmen geduldig sein. Bei Minus 10 Grad im Föhnsturm war es dem begleitenden Autor an einem Bergmorgen bei der Riesenfernerhütte im Antholzer Tal längst zu kalt geworden. Er hatte sich in die geschützten Räume zurückgezogen, während Ritschel ausharrte. Unter heftigen Windböen wartete er auf etwa 2800 Metern Meereshöhe eine Stunde, bis die Sonne aufging. "Das Stativ konnte ich nicht verwenden, nur aus der Hand ein paar Bilder schießen", schildert er. Seine Aufnahme mag er trotzdem - oder vielleicht gerade deswegen. Während sich die ersten Sonnenstrahlen hinter dem Berg zeigten, ging in seinem Rücken der Vollmond unter.

Wanderungen in der näheren Region zeigt dagegen das Buch "Unsere Bergheimat" aus dem Rother Verlag. Gemeinsam mit Eugen E. Hüsler durchstreift Ritschel darin bayerische Lieblingsziele zwischen dem Mangfallgebirge und den Ammergauer Alpen. Dort sei er ganz oft unterwegs, um den "Kopf freizubekommen", sagt der Kochler Familienvater. In den vergangenen Jahren habe er auch immer wieder seine Kamera auf Touren zu allen vier Jahreszeiten mitgenommen. Diese Aufnahmen flossen nun in das Buch ein.

Das Naherholungspotenzial der heimischen Berge ist für Ritschel "großartig". Jede Hütte und jeden Steinbock könne zwar niemand mehr für sich allein haben. Doch Bergeinsamkeit gebe es selbst in Nepal nicht mehr. Den Respekt vor der Natur vermisst Ritschel aber bei manchen, die den Berg nur noch als Sportgerät benutzen. Diese Entwicklung sei schade. "Nehmt euch doch mehr Zeit und genießt, was vor der Haustür noch da ist", appelliert Ritschel.

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