Süddeutsche Zeitung

Bergwacht Bayern:Viel Arbeit für die Bergretter

5475 Mal müssen die Einsatzkräfte im abgelaufenen Winter ausrücken, ungefähr so häufig wie vor der Corona-Pandemie. Sorgen bereiten weniger Skitourengeher, eher Wanderer und Bergsteiger, die über die Gefahren im Gebirge zu wenig wissen.

Von Klaus Schieder

Zwei Wanderer gehen in die Berge. Es ist schon April, und im Tal beginnt alles zu blühen. Auch auf 1600 Metern Höhe scheint der Winter vorüber, aber das ändert sich wenig später. Der Weg ist plötzlich voller Schnee, ein Sturm zieht auf. Die beiden Wanderer können nicht weiter und auch nicht zurück. Sie alarmieren die Bergwacht. Aber wegen orkanartigen Winds können die Helikopter nachts nicht fliegen. Am nächsten Morgen ist einer der zwei Ausflügler tot. Eine Rettungskraft holt unter Lebensgefahr den anderen aus der Wand, der wenig später im Krankenhaus allerdings ebenfalls stirbt. Solche Einsätze sind für die Bergwacht Bayern keine Einzelfälle. Vorigen Winter habe man "überdurchschnittlich viele tödliche Unfälle beim Wandern und Bergsteigen" verzeichnet, resümierte Klaus Schädler, Geschäftsführer der Bergwacht Bayern, beim Jahrespressegespräch am Freitag im Bergwachtzentrum Bad Tölz.

Insgesamt 5475 Einsätze verzeichnete die Bergwacht im vergangenen Winter im Allgäu und im Chiemgau, den Bergen dazwischen und im bayerischen Mittelgebirge. Dies seien schon wieder ungefähr so viele wie in den Jahren vor der Corona-Pandemie, erklärt Roland Ampenberger, Sprecher der Bergwacht. Bei den meisten davon handelte es sich wie üblich um Unfälle mit Skifahrern und Snowboardern, die mit 59,6 Prozent fast zwei Drittel aller Einsätze ausmachten.

Deutlich seltener muss die Bergwacht wegen Wanderern und Bergsteigern (8,8 Prozent), Rodlern (vier Prozent) und Langläufern (zwei Prozent) ausrücken. Auch die Vermutung, dass der starke Trend zum Skitourengehen mehr Arbeit für die Bergretter nach sich zieht, lässt sich an der Statistik nicht nachweisen. 127 Fälle in der abgelaufenen Wintersaison von Anfang Dezember bis Ende April machen gerade einmal 2,2 Prozent aus.

Mehr Sorgen bereiten den Rettungskräften indes die Wanderer und Bergsteiger. 19 Tote habe es gegeben, sagte Klaus Schädler, Geschäftsführer der Bergwacht Bayern. "Das ist mehr als der Schnitt." Sieben davon seien allerdings nicht durch die Tour selbst gestorben, sondern "internistische Fälle". Zum Vergleich: Im Winter 2017/18 waren es bloß neun Fälle. Stark zugenommen hat auch die Zahl jener Ausflügler, die in Bergnot gerieten, aber unverletzt blieben. 205 solcher Einsätze verbuchte die Bergwacht, vor vier Jahren waren es nur 106.

Dabei handle es sich Leute, die im Winter in den Bergen nicht mehr weiterkommen und dann die Retter alarmieren. Dies sei im Prinzip ja auch richtig, sagte Schädler, der solchen Anrufern deshalb nicht unbedingt eine Vollkasko-Mentalität unterstellen möchte. Allerdings: "Die Leute befassen sich nicht mehr mit dem Thema Gebirge." Die Gefahren, um die geschulte Bergsteiger wüssten, seien für sie nicht erkennbar. Dies sei auch Instagram, Facebook und anderen sozialen Medien geschuldet.

Ganz ähnlich äußerte sich Jürgen Brummer, stellvertretender Vorsitzender der Bergwacht Bayern. "Die Leichtigkeit der digitalen Bilderwelt in den sozialen Medien suggeriert häufig eine allgegenwärtige Verfügbarkeit und Machbarkeit von Gipfelzielen, unabhängig von allen weiteren Faktoren und persönlichen Fähigkeiten", sagte er. Einigen Leuten, so Ampenberger, fehle zum Teil völlig "die Wahrnehmung, das Erkennen und die Akzeptanz für Unterschiede zwischen winterlichen und sommerlichen Bedingungen".

Die Bergwacht rät deshalb dringend dazu, sich die notwendigen Kenntnisse durch Kurse des Deutschen Alpenvereins (DAV), des internationalen Skiverbands FIS oder von erfahrenen Bergführern anzueignen. "Das Können ist des Dürfens Maß", zitierte Ampenberger den Freikletterer Peter Preuss.

Auf einen unfallträchtigen Winter blickt die Lawinenwarnzentrale zurück. 13 Unfälle gab es in den Bergen wegen Lawinen, dabei starben vier Menschen - einer davon am Prinzkopf am Sylvensteinspeicher. Dabei war die kalte Jahreszeit alles andere als schneereich. Eben deshalb, erklärte Christoph Hummel von der Lawinenwarnzentrale. Mangels vieler Flocken habe es einen instabilen Schneedecken-Aufbau gegeben, außerdem sei es windig und stürmisch gewesen. "Der Wind ist ja der Baumeister von Lawinen."

Nach einem milden Start in den Winter hätten vor allem zwei "markante Neuschnee-Ereignisse" mit teils orkanartigem Wind zwischen Ende Januar und Ende Februar zu vielen Lawinen-Unfällen geführt. Auch jetzt noch sei in den Alpen mit Nassschnee-Abgängen zur rechnen, vor allem in der zweiten Tageshälfte. Dass die Berge immer mehr zu einem Freizeitpark werden, kann Hummel alleine an den Zugriffen auf den Lawinenlagebericht im Internet ablesen. Die Klicks seien auf jetzt rund 2,5 Millionen deutlich gestiegen, sagte er. "Das ist ein Beleg für wesentlich größere Aktivitäten im Gelände."

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