Benediktbeurer Salesianer:Händedruck statt Prügel

Zuhause sind die Salesianer in Benediktbeuern, helfen tun sie in der ganzen Welt. Seit 1995 betreiben die Mönche ein Heim für Straßenkinder in Moskau.

Johanna Sievers

Draußen auf dem hauseigenen Spielplatz gäbe es ausreichend Möglichkeiten, sich auszutoben und Dampf abzulassen. Doch an diesem novemberlichen Herbstnachmittag ziehen die Buben die Wärme und Kuscheligkeit des Spielzimmers vor. Zehn Jungs zwischen sieben und fünfzehn Jahren bei schlechtem Wetter in einem großen Raum mit Spielzeug - da ist Konflikt vorprogrammiert.

Benediktbeurer Salesianer: Das erste Heim, das die Salenienser in Moskau aufbebaut haben, bietet heute 40 Kindern ein Zuhause mit einem festen Wertesystem - auch im Backzirkel.

Das erste Heim, das die Salenienser in Moskau aufbebaut haben, bietet heute 40 Kindern ein Zuhause mit einem festen Wertesystem - auch im Backzirkel.

(Foto: Johanna Sievers)

Und so dauert es keine fünf Minuten, bis der siebenjährige Slawa in der Küche steht und seine Ersatz-Mama aus großen blauen Augen unschuldig-empört anschaut: "Jekaterina Michajlowna, die prügeln sich schon wieder!" Die stämmige Mittfünfzigerin mit dem braunen Kurzhaarschnitt hält von der Hausarbeit inne, seufzt und dreht sich dem Buben zu. Liebevoll und etwas resignierend blickt sie auf ihren jüngsten Schützling, schweigt ganz kurz und sagt schließlich: "Sie sollen herkommen."

Es ist eine Rasselbande, für die Jekaterina Michajlowna Lik 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche verantwortlich ist. Die resolute Frau und ihre "Maltschiki", die Jungs, bilden eine von vier Familien, die in dem dreistöckigen Haus des "Wohltätigen Kinder- und Jugenderziehungszentrums Don Bosco" in Moskau leben. Es sind Kinder, die ohne das Heim abzurutschen drohen. "Kinder, die von Obdachlosigkeit bedroht sind", sagt Pater Bruno Bauer, Salesianermönch aus Benediktbeuern, der das Heim 1995 als erstes einer Reihe ähnlicher Einrichtungen in osteuropäischen Ländern gründete.

Arbeitslos, alleinerziehend, psychische Probleme - so sehe es bei den meisten der Mütter und Väter aus, ergänzt Pater Krzysztof. Der gemütliche 49-Jährige arbeitet seit vier Jahren in Moskau. "Wir bringen den Kindern bei, tolerant zu sein und einander zu achten." Aus Russland stamme nur rund die Hälfte der 40 Mädchen und Jungen, die hier leben. Viele der Heimkinder seien mit ihren Familien in der Hoffnung auf ein besseres Leben aus ehemaligen Sowjetrepubliken und anderen angrenzenden Ländern nach Moskau gekommen - so wie der neunjährige Sulajmon, einer der Übeltäter im Spielzimmer-Konflikt.

Sulajmons Familie kommt aus Afghanistan. "Die werden seit Jahren von Lager zu Lager geschoben", sagt Ersatz-Mama Jekaterina. Sulajmons Geschwister haben weniger Glück - im Don-Bosco-Heim gehen weit mehr Anfragen ein, als die Patres Plätze zu vergeben haben. "Wir prüfen jede Familie genau", erklärt Pater Krzysztof, "und nehmen die, die unsere Hilfe am dringendsten benötigen". Religionszugehörigkeit sei dabei nebensächlich. "Wir wollen, dass jedes Kind ein guter, rücksichtsvoller Mensch wird", betont der Pater: "Gute Christen und gute Moslems."

Auch, wenn es daheim große Schwierigkeiten gebe - die leibliche Familie könne und wolle man nicht ersetzen, erklärt der 49-Jährige. Die Ferien verbrächten die Kinder stets bei ihren Familien. Fälle wie der des 15-jährigen Mädchens, das sich nach den Sommerferien entschlossen habe, zu ihrer Mutter zu ziehen, blieben aber die Ausnahme, so Pater Krzysztof. "Die meisten Kinder nehmen wir nach den Sommerferien wieder auf", sagt er. Nur, wer sich nicht mehr in der Ausbildung befindet oder volljährig ist, muss Platz für Neuzugänge machen.

Der Schritt in die Unabhängigkeit gelinge den meisten sehr gut, sagt Pater Krzysztof: "Wir erziehen unsere Kinder zur Selbstständigkeit." Im Heim herrschen feste Zeiten fürs Hausaufgabenmachen, zum Spielen, zum Essen und Schlafen. Rauchen, Alkohol und Fluchen sind verboten; die Kinder sind angehalten, einander zu unterstützen. Frühe Selbständigkeit ist nicht nur ein modernes Erziehungsziel, sondern angesichts der finanziellen Lage des Heims auch eine schlichte Notwendigkeit: Trotz der Unterstützung durch die Benediktbeurer Salesianer ist nicht genug Geld da, um für alle Arbeiten im Haus Kräfte einzustellen. So gehören Aufräumen, Abwaschen und Saubermachen für die 40 Buben und Mädchen zum Tagesablauf.

Für Sulajmon aus Afghanistan, der sich im rauhen Lageralltag durchzusetzen wusste, ist die deutsche Ordnung in dem russischen Heim noch neu. "Sulajmon muss erst lernen, dass wir unsere Konflikte hier nicht auf körperlicher Ebene lösen", sagt seine Heim-Mama Lik. Und so gibt es für den Neunjährigen und seinen russischen Kontrahenten ein kurzes verbales Donnerwetter. Anschließend wird sich entschuldigt, Versprechen werden gemacht, es wird noch einmal verziehen. Ein Händedruck besiegelt den Friedensschluss, und die Kinder trollen sich zurück ins Spielzimmer.

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