Der Sommerabend war lau, dennoch wurde es im Seminarraum S 111 der Katholischen Stiftungsfachhochschule im Kloster Benediktbeuern mit fortschreitender Zeit ziemlich dampfig. Die steigenden Temperaturen lagen vor allem daran, dass fast jeder Stuhl besetzt war: Etliche Flüchtlinge waren gekommen, die Fensterreihe belegten Studenten. Und in der Mitte saßen viele ehrenamtliche Helfer aus Benediktbeuern, Bad Heilbrunn und Kochel. "Unser Ziel ist es nicht, den Helferkreisen noch mehr Arbeit aufzubürden, sondern ihre Fragen aufzunehmen", sagte Professor Egon Endres, nachdem die Präsentation des Interviewprojekts "Ankommen im Loisachtal" beendet war.
Starke Kontakte der Flüchtlinge zu Familie, Freunden und ehrenamtlich Engagierten, kaum welche zu anderen Leuten in ihrer neuen Heimat: Die Ergebnisse der Interviews überraschten Rudi Mühlhans nicht. "Sie waren relativ erwartbar", sagte der Geschäftsführer des Trägervereins Jugendarbeit in Geretsried. Deutliche Kritik übte er am Bildungssystem und dem "Fleckerlteppich an Förderangeboten" für Flüchtlinge. "Ich habe das Gefühl, dieses Land schafft es nicht, die Leute, die ankommen, zu binden, zu fördern und in die Gesellschaft hineinzubekommen." Für Marlies Jall muss es schneller gehen, junge Leute von einem Sprachkurs in eine Übergangsklasse an der Berufsschule oder an die Fachoberschule zu bringen. Der Helferkreis Benediktbeuern wünsche sich dazu "viele Mitstreiter, die sich für eine andere Organisation der Sprachkurse einsetzen", sagte die Koordinatorin. Ein ausdrückliches Lob zollte sie indes den Mitarbeitern im Sozialamt des Landkreises. Die Zusammenarbeit sei "ausgesprochen konstruktiv", betonte Jall.
Dem pflichtete Ralf Kriegel vom Benediktbeurer Helferkreis bei. Dagegen kritisierte er das Tölzer Jobcenter. Für Leiter Andreas Baumann müsse jeder Flüchtling, sobald er anerkannt sei, sofort einen Job aufnehmen - "egal was". Die meisten jungen Leute bräuchten jedoch erst einmal eine Ausbildung, um hernach nicht ewig in Aushilfsjobs zu hängen. Ansonsten, prophezeite Kriegel, werde man im Landkreis Schiffbruch erleiden. "Das reicht nicht zum Leben, das reicht später nicht für die Rente." Auch Jall sprach von "sehr fragwürdigen Erfahrungen" mit Jobcenter und Arbeitsagentur. Von dort werde man mit Papierkram überflutet, die meisten Mitarbeiter blieben in ihrer Routine verhaftet, meinte die Koordinatorin.
Wo Asylsuchende der Schuh drückt, schilderte Omran Mohammadi aus Afghanistan. Ein Flüchtling, der nicht wirklich lernen wolle, bekomme nach drei Monaten einen Sprachkurs, ein anderer, der motiviert sei, hingegen nicht, sagte der 17-Jährige. Was unter anderem daran liegt, dass etwa Afghanen keine Bleibeperspektive zugeschrieben wird, sie bleiben von Kursangeboten weitgehend ausgeschlossen. Für Mohammadi ist dies nicht die einzige Ungleichbehandlung: Der eine Flüchtling erhalte schon kurz nach der Ankunft die Genehmigung seines Asylantrags, der andere warte darauf drei oder vier Jahre und leide deshalb unter "einer großen Belastung". Sein Wunsch: "Es muss alles gleich sein." Außerdem könnten Asylbewerber, die in der Heimat ein Studium begonnen haben, damit hier nicht weitermachen. Dabei wäre dies "ein Vorteil für Deutschland", wunderte sich Mohammadi.
Eine Frage, die Professor Endres auch nicht recht zu beantworten vermochte. Viele Studierende unter den Flüchtlingen hätten "unvollständige Voraussetzungen", sagte er und plädierte für "Brückenkurse, um Türen zu öffnen". Die Hochschule in Benediktbeuern könne allerdings nicht viel tun, denn der Studiengang Soziale Arbeit sei unter den asylsuchenden Studenten zum einen völlig unbekannt, zum anderen wollten die meisten ohnehin lieber Ingenieur werden. Auf ein anderes Problem verwies Ralf Kriegel vom Helferkreis Benediktbeuern. Sprachkurse würden nur bis zum Niveau B1 bezahlt, für das Level B2 oder C1 - wie es für ein Studium erforderlich ist - gebe es kein Geld mehr. "Das Jobcenter lehnt eine Übernahme der Kosten ab, da wird an der falschen Stelle gespart", monierte Kriegel.
Ein Ergebnis der Interviews hat auch Endres verblüfft. Er habe nicht erwartet, dass die Beziehung zwischen Asylsuchenden und freiwilligen Helfern "so intensiv, so ausschließlich" sei, sagte der Professor. Das zeigte auch die Schlussszene im aufgeheizten S 111: Flüchtlinge und Ehrenamtliche standen noch lange zwischen Stühlen und Tischen im Gespräch beisammen.