Benediktbeuern: "Es macht etwas aus einem Dorf"

Hochschule Benediktbeuern

Sie kennen die „Bene-Bubble“ (oben, v.l.): Tini Schwarm, Rudi Mühlhans und Sophie Hölzl.

(Foto: Manfred Neubauer)

Zwischen Laptop und Landidyll: Im Klosterort Benediktbeuern leben seit 50 Jahren nicht nur Einheimische und Zugezogene, sondern auch viele Studierende. Ein Leben zwischen Dorfalltag und akademischer Welt, das Folgen hat.

Von Marie Heßlinger

Sophie Hölzl ist in Gummstiefeln rübergeschlappt. Die 21-Jährige wohnt nur eine Straße weiter in der Forsthaus-WG. Jetzt steht sie bei Rudi und Tini im Garten, zwischen kahlen Himbeerzweigen und dem knorrigen Apfelbäumchen, und die Kühe gucken ums Eck. Im Haus hinter der Weide wohnen zwei Sozialarbeiterinnen. Überhaupt, überall wohnen hier Sozialarbeiter und jene, die soziale Arbeit studieren. Denn seit genau 50 Jahren gibt es in Benediktbeuern eine Hochschule. Unter gut 3 600 Einwohner mischen sich rund 600 Studierende. Wie ist das, wenn junge Menschen in einem Dorf studieren?

Sophie Hölzl streift ihre Gummistiefel ab und setzt sich bei Tini und Rudi an den Küchentisch. Tini Schwarm hat Apfelkuchen gebacken. Und ihr Mann Rudi Mühlhans hat zum 50-jährigen Jubiläum etwas aus dem Keller geholt: Ein Stück des Teppichbodens aus der Cafeteria, der "Cafete", wie sie hier alle nennen. Der Teppich ist orangefarben mit Ornamenten: "Da musst du nichts konsumiert haben, um wegzudrehen", scherzt Mühlhans. Als der Teppich entfernt wurde, war Mühlhans noch Student. Wenn der 54-Jährige den Teppich heute anschaut, sieht er wieder die Studierenden vor sich, wie sie in der Cafete hocken. Müsste der Sozialarbeiter seine Studentenzeit mit einem Wort beschreiben, würde er sagen: "bunt."

Mühlhans war 30, und zuvor schon Postbote, Barkeeper, Taxifahrer und Erzieher gewesen, bevor er beschloss, in seinem Heimatdorf soziale Arbeit zu studieren. Aber er war ein Kleinkind, als die ersten Studierenden in seinem Elternhaus zu wohnen begannen. 1971 eröffnete der Salesianer-Orden im Kloster Benediktbeuern einen Ableger der Katholischen Stiftungshochschule München. Fortan konnte man hier soziale Arbeit studieren. Seit ein paar Jahren bietet die Hochschule dazu eine erlebnis- oder musikpädagogische Ausbildung an - viele Studierende kommen deshalb nach Benediktbeuern.

In dem Klosterdorf stieß die Gründung der Hochschule nicht nur auf Zustimmung. "Da gab es die einen, die fanden das viel zu viel und viel zu fremd, und es gab die anderen, die haben sich gefreut, dass sie Zimmer vermieten konnten", sagt Mühlhans. Er erinnert sich als Mitglied des Gemeinderates an Diskussionen, als vorgeschlagen wurde, auf dem gelben Ortsschild das Wort "Hochschuldorf" anzubringen. Der Vorschlag wurde abgelehnt. Auch der Bau des Studentenwohnheims stieß nicht gerade auf Begeisterung. Die fünf Häuser werden im Ort wegen ihrer Optik auch "Vogelhäuschen" genannt. Der Bau der Mensa war ebenfalls umstritten. Und doch haben sich die Studierenden unter die Dorfbewohner gemischt.

KSFH Benediktbeuern Studenten

Unter den Arkaden der Katholischen Stiftungshochschule haben schon viele verschiedene Generationen studiert.

(Foto: Manfred Neubauer)

"Das ist das Schöne hier, dass noch etwas anderes da ist", sagt Tini Schwarm über die Vielzahl der Studierenden im Ort. "Es macht etwas aus einem Dorf." Schwarm ist 52 Jahre alt und hat vor erst zweieinhalb Jahren begonnen, wie ihr Mann und ihre älteste Tochter soziale Arbeit im Dorf zu studieren. Sie trägt bunte Kleider und ein rotes Stirnband, sie ist mit Sophie Hölzl in einem Semester. An der Supermarktkasse erkenne man sofort: "Wer ist Student?", sagt Schwarm. Die Studierenden brächten Kultur in den Ort.

Vor dreieinhalb Jahren etwa organisierten Studierende als Projektarbeit das "Bene Culture", ein Festival, das die Begegnung im Dorf in den Vordergrund rückte. Der Trachtenverein, die Feuerwehr und der Friseur stellten sich vor, es gab ein Schafkopf-Turnier und Musik. "Letztendlich war es ein fröhliches Miteinander vieler verschiedener Generationen", sagt Mühlhans. Für Sophie Hölzl war es die erste Begegnung mit der Hochschule Benediktbeuern. Und mitunter der Grund, aus dem sie beschloss, in dem Ort zu studieren.

Hölzl war damals 18 und Abiturientin, ein Freund, der in Benediktbeuern studierte, hatte sie zum Festival eingeladen. "Erst mal war ich überfordert", erinnert sich Hölzl, "es waren total viele Leute da und ich kannte nur einen." Doch die jungen Menschen wirkten auf sie offener und herzlicher als andernorts. "Es gab nicht diese festen Grüppchen - oder die Grüppchen haben ständig durchgewechselt", sagt sie, "jedenfalls kannte jeder jeden."Die Studierenden nennen dies auch "die Bene-Bubble."

Manche Studierenden blieben in dieser Blase, sagt Hölzl, andere spielten mit in der Blaskapelle oder im Fußballverein, arbeiteten in den sozialen Einrichtungen der Region, in den Kinderkrippen und Nachmittagsbetreuungen, und freundeten sich mit ihren Vermietern an, sagt Mühlhans. Und einige der Studierenden gingen nicht mehr fort, sondern blieben im Ort. Was Folgen habe: "Benediktbeuern hat eine gigantische Sozialarbeiterdichte", sagt Mühlhans. Und das wiederum zeige sich in der allgemeinen Hilfsbereitschaft.

2014, sagt Mühlhans, habe es im Ort mehr Helferinnen als Geflüchtete gegeben. Und bei ihrer Hochzeit, erinnern sich Schwarm und Mühlhans, da half am nächsten Tag einer beim Aufräumen, den kannten sie nicht. Bei der Feier jedenfalls war er nicht dabei gewesen. "Scheinbar räumen die Benediktbeurer gerne auf", sagt Hölzl. Als ihr Mitbewohner Geburtstag gefeiert hat, seien am nächsten Morgen ebenfalls Aufräumhelfer aus allen Ecken in den Garten geschwärmt. "Jetzt hört auf mit Aufräumen!", schimpfte das Geburtstagskind aus dem Fenster, "Ihr seid viel zu laut!" Es wollte schlafen. "Wir hätten gerne aufgeräumt", sagt Hölzl "aber wir durften nicht."

Hölzl selbst, braune Haare, warmes Wesen, engagiert sich in mehr Gruppen, als man zählen kann - unter anderem in der Studierendenvertretung und im Jugendzentrum. In ihrer WG spazieren die Studierenden ein und aus ohne zu klingeln, und wenn sie morgens in die Küche komme, sitze da jeden Tag jemand anderes am Tisch, erzählt sie. "Willst 'nen Kaffee?", sage sie dann, ohne sich weiter zu wundern.

Beim Spazierengehen immer wieder Kühe streicheln? Sicher kein normales Studentenleben

Das "Forsthaus" kenne jeder im Ort. Dabei sei es nie ein Forsthaus gewesen, es sieht nur so aus, mit dem dunklen Holz und dem Hirschkopf neben dem Balkon, mit dem großen Garten, der Lagerfeuerstelle und den Hochbeeten, die die fünf Mitbewohner zusammen angelegt haben. Hölzl und ihr Freund halten gemeinsam einen Hund, ihr Mitbewohner hat Laufenten im Garten. Das ist es, was für sie das Studieren auf dem Dorf ausmacht.

"Dass man aus der Haustüre läuft und zwei Türen weiter einfach bei einer anderen WG klingelt", sagt Hölzl. "Und allein die Tatsache, dass man beim Spazierengehen immer wieder Kühe streicheln kann", daran merke sie, dass das hier kein normales Studentenleben sei.

Für ihr erstes Semester habe sie sich vorgenommen, auf alle Gipfel des umliegenden Bergpanoramas zu wandern. Und nahezu jeder Student habe hier ein eigenes Auto. Denn mitunter sei es nicht leicht, im Ort ein WG-Zimmer zu finden. Viele lebten aus diesem Grund in einem der umliegenden Dörfer, in Bichl, Bad Heilbrunn, Ried, Kochel oder Murnau. Doch selbst, wer direkt in Benediktbeuern wohnt, hat meist ein Auto, allein für Einkäufe in größeren Supermärkten und im Baumarkt, oder für Besuche bei den Eltern. "Busse sind, glaube ich, eher Mangelware", sagt Hölzl und lacht. "Ohne Auto wäre ich total aufgeschmissen."

Und dann ist es Zeit. Tini Schwarm muss zu einer Seminarbesprechung, und Rudi Mühlhans kriegt Besuch. Sophie Hölzl steigt in ihre Gummistiefel. Die Straße ist dunkel. Eine Katze springt lautlos darüber. Ein Mann mit Filzhut läuft an Hölzl vorbei. "Servus", sagt er mit einem Nicken in die Dunkelheit. Auch das ist Studentenleben im Dorf.

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