Benediktbeuern:Ein Leitbild für die Integration

Benediktbeuern: "Ich bin leider bundesweit der einzige Imam, der Vorträge hält", sagt der weltoffene Benjamin Idriz.

"Ich bin leider bundesweit der einzige Imam, der Vorträge hält", sagt der weltoffene Benjamin Idriz.

(Foto: Robert Haas)

Der Penzberger Imam Benjamin Idriz begeistert und irritiert sein Publikum bei einem Vortrag in der Katholischen Fachhochschule

Von Petra Schneider, Benediktbeuern

Der Penzberger Imam Benjamin Idriz ist ein gefragter Redner, wenn es um das Thema Integration geht. "Ich bin leider bundesweit der einzige Imam, der Vorträge hält", sagte er am Mittwoch im Audimax der Katholischen Stiftungsfachhochschule Benediktbeuern.

Der vierte Vortrag der Ringvorlesung "Zufluchtsort Deutschland - interreligiöse Perspektiven", bei dem Idriz über "Die Integration der Migranten aus islamischer Perspektive" sprach, hatte große Resonanz: Gut 100 Interessierte waren gekommen, überwiegend Studenten, aber auch Bürger aus Benediktbeuern und der Region.

Imame genießen in der islamischen Welt hohe Autorität - sie legen den Koran aus und leisten Muslimen Orientierungshilfe. Für deren Integration in die deutsche Gesellschaft sind Menschen wie Idriz wichtig: Er vertritt einen liberalen Euro-Islam. Sein Vortrag war ein Plädoyer für Demokratie, Rechtsstaat, Gleichberechtigung und Pluralismus. Idriz verurteilte jede Form von religiösem Extremismus und ethnischem Fanatismus. Integration könne gelingen, wenn sie einen "Weg der Mitte" gehe - zwischen Assimilation und Isolation. Integration dürfe nicht zur Preisgabe der kulturellen und religiösen Identität führen, ebenso wenig zu Abschottung und einer Bildung von Parallelgesellschaften.

"Man kann praktizierender Muslim und gleichzeitig engagierter Bürger sein", betonte Idriz. Es sei gut, wenn in Deutschland geborene Türken türkisch sprechen könnten und ihre Wurzeln kennten - das sei auch eine Bereicherung für Deutschland. Zwangsehen "kommen im Islam vor", aber widersprächen islamischem Recht. Auch eine Vollverschleierung sei im Islam weder erforderlich noch erwünscht.

Der Imam untermauerte seine Thesen mit Koranversen auf Arabisch und Deutsch. Etwa einen Ausspruch des Propheten Mohammed: "Der Muslim, der sich in die Gemeinschaft einfügt, ist besser, als derjenige, der solche Beschwernisse meidet." Ob Islam und deutsches Grundgesetz kompatibel sind, beantwortete er ebenfalls mit einem Koranvers: Analog zum Artikel 1 des Grundgesetzes heiße es in Sure 17, Vers 70: "Wir haben dem Menschen die Würde verliehen."

Für Befremden im Plenum sorgte das Bild, das Idriz von einer "integrierten muslimischen Persönlichkeit" zeichnete - eine Art normativer Verhaltensleitfaden für Muslime in Deutschland, der überzogen wirkte. Er reichte von der Empfehlung, Elternsprechtage zu besuchen, über Körperpflege und Kleidung, bis hin zum Lesen und zur Mülltrennung. Eine integrierte muslimische Persönlichkeit solle die deutsche Nationalhymne auswendig kennen, fleißig und mit "hoher Qualität" arbeiten. "Sie vermeidet es, unentschuldigt zum Gebet den Arbeitsplatz zu verlassen", sagte Idriz. "Sie verrichtet ihre Arbeit, als wäre es ihr Gebet." Und bei einem Fußballspiel, "ist sie für Deutschland".

Einige Zuhörer reagierten mit Unverständnis, von "total weltfremd" bis zum Gefühl, "im falschen Film zu sein", reichten die Reaktionen. "Das klang wie Horst Seehofer im Wahlkampf, wenn er die deutsche Leitkultur beschwört", sagte ein junger Mann. Idriz nannte sein Bild "eine plakative Beschreibung, wie Integration aussehen könnte".

Der Penzberger Imam erhielt auch viel Lob: "Großer Respekt für Ihre Haltung zum Islam", hieß es etwa. "Der Imam lebt, was er sagt", konstatierte ein Penzberger. Ein anderer sagte: "Mich begeistert die Heimat, die Sie jungen Menschen in der Moschee geben." Bei der Beantwortung der Fragen ging Idriz konkreter auf die Situation in Deutschland ein. Hier gebe es Hindernisse bei der Integration, "im Hinblick auf manche religiösen Gebote". Da sei eine freiere Auslegung nötig.

Dazu brauche es aber Imame, die in Deutschland aufgewachsen und sozialisiert seien. Rund 2000 Imame lehrten hierzulande, die allermeisten stammten aus der Türkei. Dass seit einigen Jahren an fünf deutschen Universitäten ein Theologiestudium für muslimische Studenten angeboten wird, bewertete Idriz positiv. 870 Studenten, meist Frauen, würden dort ausgebildet. Die Nazi-Vergleiche des türkischen Präsidenten Erdoğan nannte er "unislamisch". Gefördert werden müsse ein inner-islamischer Dialog. "Was ist, wenn sich eine Muslima in einen Nicht-Muslim verliebt?" Aus theologischer Sicht sei das nicht möglich, sagte Idriz. "Da ist Austausch zwischen den Imamen nötig."

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