Kultur in Bad Tölz-Wolfratshausen:Gesungene Geschichte

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Männer, vereint in der Freude an der Musik: Der Benediktenwand-Chor Benediktbeuern-Bichl ist einer der ältesten und traditionsreichsten Chöre im Oberland. (Foto: Manfred Neubauer)

Seit 1896 bereichert der Benediktenwand-Chor aus Benediktbeuern und Bichl die Musik-Landschaft des Oberlands. Bei einem Probenbesuch wird die Geschichte des Männerchors erfahrbar.

Von Paul Schäufele, Benediktbeuern / Bichl

Philipp Gradwohl nimmt das Schwarz-Weiß-Foto dann doch von der Wand. Auf der Rückseite des Bildes sind die Namen der Männer vermerkt, die sich mit offenem, ernstem Blick zur Kamera wenden. Ja, das ist der Sohn von dem Bäcker, den es seit 1903 gibt und das ist der Großvater von dem, der jetzt die Autos verkauft. Und der da habe ihm, Philipp Gradwohl, die erste Brille gemacht. Das Foto zeigt den Benediktbeurer Liederkranz, wie er 1956 aussah: Gestandene Männer, vereint in der Freude an der Musik. Das war schon so bei Gründung des Vereins 1896 und das ist auch heute noch so. Welche Traditionen der traditionsreiche Chor noch pflegt, zeigt ein Probenbesuch.

 Ein allseitiges „Servus mitanand“ macht die Runde, erste Getränke werden ausgeschenkt. Während der Chor sich allmählich im Saal einfindet, nutzt man die Gelegenheit zum Befeuchten der Stimme und zum Plaudern. Wenn man Philipp Gradwohl danach fragt, was ihn seit sechs Jahrzehnten im Liederkranz hält, kommt die Antwort prompt: „Die Gemeinschaft!“ Nach kurzem Nachdenken: „Die Musik auch, natürlich. Und es gibt ja nix Gesünderes als Singen, das hält fit. Auch dass man immer etwas Neues macht, es ist ein ewiger Lernprozess – das macht Spaß!“

Den Verein Liederkranz Benediktbeuern-Bichl gibt es seit 1896. (Foto: Manfred Neubauer)

Etwa ein Dutzend Sänger nimmt Platz auf den angestammten Stühlen an der Kopfseite des Raumes – krankheitsbedingt haben sich manche entschuldigt. Erster Tenor, zweiter Tenor, erster Bass, zweiter Bass. Man probt für ein Konzert im Seniorenheim der Arbeiterwohlfahrt. „Tridieiho“ klingt es durch den Saal im Benediktbeurer Probenraum, ein Traunsteiner Jodler für die staade Zeit, in sonoren, ruhigen Wellen breitet er sich aus. Seit beinahe einhundertdreißig Jahren klingt es so durchs Haus, der Verein „Liederkranz Benediktbeuern-Bichl“, dessen Chor sich Benediktenwand-Chor nennt, hat nie woanders sein Quartier gehabt. Die Ortstreue der Benediktiner, die stabilitas loci, hat sich auf das Ensemble übertragen. „Das passt“, sagt Chorleiter Hanns-Dieter Haas zum Weihnachtsjodler und geht zum nächsten Stück über.

Hanns-Dieter Haas hat die Leitung des Liederkranzes Benediktbeuern-Bichl inne. (Foto: Manfred Neubauer)

 Einen homogenen, ausgewogenen Klang wünscht sich der Chorleiter. Seit 2008 formt er den Klangkörper und bringt damit eine über Jahre gewachsene Expertise ein. Zuvor hat Haas, der lange im Landkreis Garmisch-Partenkirchen als Schulamtsdirektor tätig war, einen Chor in Bad Heilbrunn geleitet. Drei Jahre, nachdem er dessen Leitung abgegeben hatte, kam der Benediktbeurer Chor, damals auf der Suche nach einem neuen Leiter, auf ihn zu. „Da hab’ ich gesagt: Ich versuch’s mal“, erinnert sich Haas und hat damit eine Familientradition fortgeführt. Sein Vater Hanns war Leiter des Gärtnerplatztheater-Chors in München.

„Ich zwick’ dich, dann geht’s scho“

 Zu Hanns-Dieter Haas’ klaren Gesten erklingt das Lied „Es mog ned finster wern“, mit tragfähigen Stimmen in Mundart gesungen. Doch der Dirigent winkt ab. Man möge bitte die Töne nicht schleifen und zur Sicherheit sollten einmal die ersten Bässe alleine singen. Dann alle zusammen. Die Tenöre haben eine heikle Passage, nicht jeder schafft den Spitzenton auf Anhieb. „Du darfst es nicht erzwingen“, rät Haas. „Ich zwick’ dich, dann geht’s scho“, rät ein Mitsänger.

 Das Repertoire des Chors ist heute überwiegend alpenländisch, bayerisches Liedgut wird gepflegt, auch Kärntnerlieder werden aufgeführt bei den Konzerten, ebenso ladinisches oder vereinzelt italienisches Repertoire. Vieles davon wurde eigens für den Chor gesetzt, zumal von Josef Fichtner, dem neuen Ehrenvorsitzenden des Vereins, der damit auch verschüttete Schätze wieder aufführbar gemacht hat. Doch auch eine Schubert-Messe wurde schon gesungen und besondere Anziehungskraft hatte ein Verdi-Abend im Klosterhof. „Da sind die Leute bis zur Basilika gestanden“, sagt Philipp Gradwohl. So vielseitiges Repertoire haben die Männer des Benediktbeurer Chors allerdings nicht immer gesungen. Am Anfang stand ernstes Kunstlied im Vordergrund, Chorsätze von Brahms etwa.

Das Benediktenwandlied verbindet Vergangenheit und Gegenwart

 Das fällt nicht schwer zu glauben, wirft man nur einen Blick auf die früheren Chorleiter. Haas dirigiert, die Galerie seiner Vorgänger im Rücken, Männer mit Kaiser-Wilhelm-Bart, weißem Stehkragen und schwarzem Gehrock: Die Geschichte des Chores ist lang – als der Chor gegründet wurde, war Brahms noch ein Zeitgenosse. Nach dem Ersten Weltkrieg war das Ensemble dezimiert, während der NS-Zeit quasi inaktiv, doch 1948 fand wieder ein Sängerabend statt. Das sogenannte Benediktenwandlied, das der Chor als Stammlied in jedem Konzert singt, begleitet ihn seit der Gründung, verbindet Vergangenheit und Gegenwart.

 Was man sich für die Zukunft wünscht? „Dass es möglichst lange weitergeht“, sagt Gradwohl. Dazu brauche es nur Nachwuchs und an dem mangele es. „Es müssen ja keine Jungen sein, es kann jeder mitmachen“, sagt Haas, verweist gleichwohl auf die Altersspanne des Chors. Hier singen Männer im Alter von 30 bis 87 Jahren. Und so empfiehlt Gradwohl nach sechzig Jahren im Benediktenwand-Chor: „Einfach herkommen, anschauen und, wenn’s Spaß macht und man einigermaßen eine Stimme hat, hierbleiben.“

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