Bei der Gesellschaft unterm Apfelbaum in Icking:Universalerklärer in Knallgelb

Theatersommer im Isartal 2020

Nur noch schnell die Welt erklären: Bei seinem Auftritt im Theatergarten der „Gesellschaft unterm Apfelbaum“ trotzt Peter Spielbauer einem nahenden Gewitter und startet einen Parforceritt durch die Geschichte des Universums.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Peter Spielbauer liefert sich bei der Premiere von "Pfitsch Göng" in Irschenhausen einen Wettstreit mit den Elementen. Der Unterschied zwischen kosmisch und komisch ist dabei marginal

Von Paul Schäufele

Keine Kleinigkeit, die Geschichte der Welt umfassend darzustellen in einem Programm, das wegen ständiger Unwettergefahr ohnehin gekürzt stattfindet. Peter Spielbauer, der langgediente Wortakrobat und Bühnenzauberer, war zwar auch nicht von Anfang an dabei, bringt dem begeisterten Publikum die Urknall-Epoche aber in greifbare Nähe. Das tut er durch seine Sprachvirtuosität und sein Theatercharisma, das es ihm erlaubt, im selben Tonfall von der Entstehung des Sauerstoffs und einem Museumsbesuch in Ulm zu schwadronieren.

Als farbenfroh gewandeter Knecht Ruprecht tritt Spielbauer auf, gebeugt unter der Last seines ausgebeulten Jutesacks. Zu diesem Zeitpunkt weiß keiner, wohin das führen wird. "Pfitsch Göng" heißt das neue Programm, das lässt einigen Spielraum. Und oft, so scheint es, weiß auch Spielbauer selbst nicht, wo das Programm hingeht, nicht einmal, wo ihn der Anfang eines Satzes hinführen wird. Das Element der Überraschung ist wirksam an diesem Abend im Garten der "Gesellschaft unterm Apfelbaum". Dass es dem Komiker selbst Spaß macht, sich zu überraschen, ist deutlich spürbar. In immer rasanteren Wortkaskaden improvisiert er gegen den auffrischenden Wind an, ein knallgelber Universalerklärer im Wettstreit mit den Elementen.

Unterdessen wird Stück für Stück das Taschen-Geheimnis gelüftet. Holzstäbe wandern aus dem Sack auf die Bühne, werden zusammengebunden - aus einem Minimum an Material entsteht eine Bühnenphilosophie. So wie die blanken Stäbe zusammengebunden, aufgestellt, umgeworfen und wieder gelöst werden, so konstruiert und dekonstruiert der Wortverführer Spielbauer die Sprache.

Im Lauf von sieben Jahren, das ist eine der Erkenntnisse des Abends, alle sieben Jahre also werden sämtliche Atome, die im menschlichen Körper vorhanden sind, einmal ausgetauscht. So atomisiert Spielbauer auch die Sprache, zieht etwas ab, fügt etwas hinzu, nimmt die Dinge beim Wort und die Worte beim Laut. "Camping, Campong, Campang, Champagner!"

Wenn sich in dem assoziativ ausgebreiteten Wortstrom auch häufiger mal ein Reim verirrt, geschüttelt oder recte, wird man unweigerlich daran erinnert, was "Vers" ursprünglich bedeutet hat - das Umwenden des Pflugs im Acker. Spielbauer pflügt durch den lexikalischen Boden und fordert mit unerschütterlichem Optimismus: "Sonne, Sonne, scheine, lass uns nicht alleine! Sonne, Sonne, move, give me my daily groove!"

Zwischen kosmisch und komisch

So entfaltet sich die Irschenhauser Kosmogonie zwischen Kinderreim und Sentenzen von Francis David Peat, John Cage und Bertrand Russell. Wer da ein Gefälle erkennt, hat den Kern der Spielbauerschen Philosophie nicht verstanden: "Zwischen kosmisch und komisch ist nur ein Buchstabe Unterschied." Und auf dieser diskreten Differenz balancieren die wild mäandernden Sätze. Wahrheit und Erkenntnis, Mann und Frau, Brei und Knödel. Eins hängt am anderen, jedenfalls in Spielbauers Bewusstseinsströmen. Darauf muss man sich einlassen. Wer es tut, wird belohnt mit einer hochnotkomischen Revue, einem Parforceritt durch die Geschichte des Universums, vom Urknall über die Aktivitäten der Cyanobakterien bis zum potenziellen Rendezvous eines Glühwürmchens mit einer Sternschnuppe. Doch: "Was bringt eigentlich so eine Galaxie?", die Frage steht im Raum.

Peter Spielbauer ist weit davon entfernt, seinem Publikum den Spaß zu verderben, indem er ihm eine Antwort aufs Auge drückt. Vielmehr mimt er den munteren Fragesteller und trägt eine schiefe Krone dabei - es liegt nicht am König, die eigenen Fragen zu beantworten. Aber diese Fragen präsentiert er rhetorisch brillant und mit poetischem Witz, in Gestalt immer surrealer werdender Anekdoten. Von einem denkwürdigen Tag in Luzern ist da die Rede, an dem die Bühnen-Persona Spielbauer aus lauter Lust an der Anarchie über den Vierwaldstättersee schwebt ("Wer die Schwerkraft nicht akzeptiert, fliegt eben") und zahlenmystische Begegnungen mit Buddhisten erlebt.

Dass die Realität nicht viel weniger absurd ist, wird klar, wenn Spielbauer mit unverwechselbarer Dialekt-Einfärbung eine Geschichte aus der eigenen Kindheit im Bayerischen Wald preisgibt. Und ist ein Schweineblut saufender Metzger viel weniger verquer als die Idee, mit Ballons unter den Achseln über die Schweiz zu segeln?

Mit dieser Kindheits-Erzählung ist klar, dass "Pfitsch Göng" nicht nur ein weiteres Programm im Portfolio Peter Spielbauers ist, sondern auch ein Rückblick auf gelebte Jahrzehnte, von denen fünf gefüllt waren mit Theater und Kabarett aller Spielarten. So bleibt der neue Titel mindestens halb rätselhaft, ein Konsonantencluster, ein wunderbares Klangereignis und eine offene Frage. Das jubelnde Publikum würde gerne nächstes Jahr darauf zurückkommen, vielleicht mit einem neuen Programm und sicherlich unterm Apfelbaum.

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