Bayern vor 100 Jahren und heute:Als die Revolution nach Schäftlarn kam

Bayern vor 100 Jahren und heute: Auf dem Zeller Friedhof soll eine Erinnerungstafel für neun Spartakisten aufgestellt werden, die im April 1919 ohne faires Gericht exekutiert wurden.

Auf dem Zeller Friedhof soll eine Erinnerungstafel für neun Spartakisten aufgestellt werden, die im April 1919 ohne faires Gericht exekutiert wurden.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Spartakisten hielten im April 1919 das Kloster besetzt, neun wurden standrechtlich erschossen. Archivar Josef Darchinger hat die Namen der Hingerichteten herausgefunden

Von Susanne Hauck

Vor hundert Jahren wurde USPD-Ministerpräsident Kurt Eisner ermordet, die Räterepublik lag in den letzten Zügen, es herrschte Bürgerkrieg zwischen den linken "roten" Arbeiter- und Soldatenräten und den konservativen "weißen" Freikorps. Auch die Gemeinde Schäftlarn streifte der Mantel der Geschichte. Neun Spartakisten wurden hier im Schnellverfahren und ohne faires Gericht erschossen. Der Gemeinderat will nun am Zeller Friedhof eine Tafel für sie errichten und folgt damit einem Antrag der Grünen. Darüber hinaus sollen auf dem Gedenkstein aber nicht nur die Namen der Spartakisten, sondern alle Personen mit historischem Bezug zur Gemeinde verewigt werden.

Geschäftsführer Stefan Wallner erläuterte am Mittwochabend dem Gemeinderat die Geschehnisse vor hundert Jahren: In Schäftlarn eskaliert die Situation am 22. April 1919. Eine Gruppe von 20 bis 30 Spartakisten will erst die Gendarmerie in Hohenschäftlarn erstürmen, zieht aber dann hinunter zum Kloster und hält es eine Woche lang besetzt. "Die Mönche besänftigten die Revolutionäre mit Brotzeit und Bier", so Wallner. Am 29. April treffen die "weißen" Regierungssoldaten an der Pforte ein, um das Kloster zu räumen. Bei der Schießerei kommt der 20-jährige Weißgardist Friedrich Münchinger ums Leben. Sein Grab mit Namen ist erhalten geblieben und befindet sich nahe dem Eingang zur Klosterkirche. Am 30. April werden neun der gefangenen Spartakisten im Schnellverfahren abgeurteilt, von der Gendarmerie (Unterdorf 17) zu einer Kiesgrube gebracht und dort exekutiert. Die Kiesgrube befand sich im heutigen Bereich der Falkenstraße. Die Toten wurden auf dem Friedhof in Zell anonym bestattet.

Besänftigung mit Brot und Bier

Wer diese Hingerichteten waren, wusste man bis vor Kurzem nicht. Die Eintragungen im standesamtlichen Register fehlen, obwohl die Vorschrift lautete, sie innerhalb weniger Tage vorzunehmen. Erst Gemeindearchivar Josef Darchinger gab den Toten ihre Namen zurück. Was früheren Chronisten entgangen war, deckte er jetzt auf: Die Aufzeichnungen in schnörkelhafter Schreibschrift waren erst Monate später gemacht worden und ziehen sich von Juni 1919 bis Dezember 1919. Ein Eintrag lautet zum Beispiel auf den ledigen Kutscher Karl H. (voller Name gelöscht), 26 Jahre und vier Monate alt, aus München, Landsberger Straße 153. Als Grund für die standrechtliche Erschießung wird angegeben: Widerstand gegen Regierungstruppen mit der Waffe. Auch die anderen waren junge Männer aus München, einer stammte aus Straßlach.

Es ist nicht das erste Mal, dass eine Gedenktafel für sie errichtet wird. Eine frühere existierte bis in die Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts. Warum sie entfernt wurde, weiß man in der Gemeinde nicht genau. Die einen vermuten, dass die Nazis sie beseitigen ließen, die anderen, dass die Zeller Bürger ihre Entfernung wünschten.

Nun soll es also eine neue Tafel geben. Während der Vorschlag der Grünen für die Inschrift lautete, dass sich die Spartakisten im Kloster "Unterschlupf verschafften", plädierte die Mehrheit der Gemeinderäte dafür, sie neutraler zu halten. Folglich wird es heißen: "Zur Erinnerung an neun Spartakisten, die am 29. April 1919 im Kloster Schäftlarn ergriffen wurden, am 30. April 1919 durch ein Schnellgericht hingerichtet wurden und hier auf dem Friedhof ruhen."

Maria Reitinger (UWG) sprach sich vehement gegen eine Erinnerung aus und stimmte wie Fraktionskollegin Manuela Beichhold nicht dafür. "Sie haben das Kloster besetzt und Soldaten erschossen." Vor allem störte es sie, dass das Gedenken an die "Revolutionäre" nun in einem Zug mit den "Nonnen von Maria Stern" stattfinden soll. Denn nach einem Vorschlag von Bürgermeister Matthias Ruhdorfer (CSU) soll deren alter Grabstein erhalten bleiben und als zentrale Erinnerungstafel "für alle Personen mit historischer Relevanz zu Schäftlarn" verwendet werden. Denn das Grab der Nonnen wird aufgelöst. Karl-Otto Saur (SPD) und Christian Fürst (CSU) brachen eine Lanze für die Spartakisten und verwiesen auf die Wirren der damaligen Zeit, die lokalgeschichtliche Bedeutung und die mahnende Wirkung. Das sahen auch die übrigen Gemeinderäte so.

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