Tourismus:"Wir können ja auch nicht jede Wiese zum Parkplatz machen"

Auf dem Wasser ist es ruhig, drumherum braust der Verkehr: Am Kochelsee, weiter oben am Walchensee und auf den Wanderwegen zu den umliegenden Gipfeln werden sich am Wochenende wieder die Ausflügler sammeln.

Auf dem Wasser ist es ruhig, drumherum braust der Verkehr: Am Kochelsee (im Bild), weiter oben am Walchensee und auf den Wanderwegen zu den umliegenden Gipfeln werden sich am Wochenende wieder die Ausflügler sammeln.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Massenhaft Autos, Müll und Wut auf Tagestouristen aus der Stadt: Nicht erst seit Beginn der Pandemie hat sich der Konflikt zwischen Münchnern und Anwohnern in den Ausflugsorten verstärkt. Wie könnten Lösungen aussehen? Ein Streitgespräch.

Interview von Tim Pohl, Wolfratshausen

Der Corona-Winter neigt sich dem Ende zu und der Frühling erwärmt die eingesperrten Seelen. Mit den warmen Temperaturen kommen auch die Tagestouristen wieder in den Landkreis, um einen Hauch von Freiheit in diesen Zeiten zu erlangen. Schon vor der Krise schwelte der Konflikt zwischen Anwohnern im Oberland und den Münchner Ausflüglern, die in die Natur flüchteten. Die Stimmung kann auch in diesen Tagen bald wieder hochkochen - ein Austausch findet dennoch selten statt. Dabei kann eine Lösung nur gemeinsam erreicht werden.

Georg Öttl ist Inhaber des Gasthofs Edeltraut am Walchensee. Seine Erfahrungen mit den Münchner Touristen sind gemischt. Katharina Kestler aus München ist nicht nur hobbymäßig in den Bergen unterwegs. Mit der Bergfrauencommunity der "Munich Mountain Girls" und dem Podcast "Bergfreundinnen" ermutigt sie Frauen zu nachhaltigen Ausflügen in die bayerischen Alpen - ein Streitgespräch.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

SZ: Herr Öttl, welche Auswirkungen spüren Sie am Walchensee durch die Münchner Ausflügler und Ausflüglerinnen?

Georg Öttl: Es ist die Masse, die uns bedrückt. Ich will da aber auch nicht nur über die Münchner reden - es sind ja nicht nur die. Aber die Parkplätze sind einfach total überfüllt. Das hört man bei den Anwohnern hier am häufigsten. Wenn man am Samstagnachmittag zum Einkaufen fährt, kann es passieren, dass man nicht mehr die Hofeinfahrt reinkommt. Das nächste ist dann am Abend der Müll, der überall rumliegt.

Frau Kestler, was macht das mit Ihnen, wenn Sie so etwas hören?

Katharina Kestler: Ich verstehe das Verhalten der Menschen einfach nicht, die illegal parken und ihren Müll überall rumliegen lassen. Da kann man natürlich die Frage der Infrastruktur stellen oder die, ob vielleicht nicht genügend reguläre Parkplätze geöffnet sind.

Öttl: Die sind natürlich geöffnet. An Spitzentagen sowieso.

Kestler: Ja, aber das ist ja nicht überall so. Es gab durchaus Bergbahnen, die ihre Parkplätze nicht geöffnet haben. Da fehlt mir ehrlich gesagt ein bisschen das Verständnis. In so einer Zeit wie jetzt wäre es deren Aufgabe gewesen, das zu steuern. Und dann sollen sie eben 15 Euro verlangen. Ist mir auch recht. Sie sollen Spots zur Verfügung stellen, wo die Leute hinkönnen, damit es sich an anderen Stellen nicht so ballt. Dass das nervig ist, kann ich sehr gut nachvollziehen.

Öttl: Wir reden jetzt ja nicht nur über den vergangenen Corona-Winter. Das zieht sich ja schon über mehrere Jahre. 2020 war das schon verstärkter, aber wir hatten hier im Ort schon 2018 eine Konferenz darüber, wie man mit der Situation umgeht.

Kestler: Es passiert aber nichts. Und dafür können die Münchner und Münchnerinnen am Ende des Tages auch nichts. Es muss Verkehrskonzepte geben. Es gab zum Beispiel auch Überlegungen den Kochelsee attraktiver zu gestalten, um die Leute vom Walchensee wegzuhalten. Aber auch öffentliche Verkehrsmittel sind eine Lösung. Schauen wir in die Schweiz, da funktioniert das ganz hervorragend.

Es gab Leserbriefe von Münchnern, die den Spieß umgedreht haben. Die Anwohner und Anwohnerinnen pendelten ja auch nach München und verstopften die Stadt, hieß es. Außerdem beschweren sie sich, dass das Münchner Geld erwünscht sei, die Menschen aber nicht. Was sagen Sie dazu, Herr Öttl?

Öttl: Wenn vom Walchensee 20 Leute nach München fahren, dann merkt das keiner. Wenn aber am Wochenende mehrere Tausend zu uns kommen, dann sind wir ganz einfach überlastet. Unser Gasthof hat sich aber natürlich über Jahre durch die Tagesausflügler ausgebaut und vergrößert. Der Tagestourismus war für uns immer schon ein Thema, aber es war nie ein schlimmes Thema. Es hat sich jetzt coronabedingt, aber auch durch den schönen Sommer 2018 verschlimmert. Der Ort hat nur 400 Einwohner und nicht viel Infrastruktur. Wir sind für die Menschenmassen einfach nicht ausgelegt. Es gibt mittlerweile auch viele Bürger, die nur bedingt oder gar nicht vom Fremdenverkehr leben. Die fühlen sich belästigt. Da zähle ich mich aber nicht dazu.

"Wenn man am Samstag zum Einkaufen fährt, kann es passieren, dass danach die Hofeinfahrt zugeparkt ist" -Georg Öttl, Inhaber des Gasthofs Edeltraut am Walchensee

"Wenn man am Samstag zum Einkaufen fährt, kann es passieren, dass danach die Hofeinfahrt zugeparkt ist" -Georg Öttl, Inhaber des Gasthofs Edeltraut am Walchensee

(Foto: privat/oh)

Frau Kestler, Münchner und Münchnerinnen werden immer wieder von Anwohnern der Ausflugsziele attackiert. Was denken Sie darüber?

Kestler: Es gibt überall Idioten und Idiotinnen, ich glaube da sind wir uns einig. Egal ob die in München wohnen oder in Kochel. Es gibt Idioten, die in Miesbach Stinkefinger aufstellen oder in Garmisch Münchner Autos zerkratzen. Ich persönlich hatte versucht, speziell den Landkreis Miesbach zu meiden. Aber ich kann mir auch vorstellen, dass die Menschen, die vom Tagestourismus abhängig sind, bisher nicht sehr dahinter waren, öffentliche Verkehrsmittel zu unterstützen.

"Es gibt Idioten, die in Miesbach Stinkefinger aufstellen oder in Garmisch Münchner Autos zerkratzen." - Katharina Kestler, "Munich Mountain Girl".

"Es gibt Idioten, die in Miesbach Stinkefinger aufstellen oder in Garmisch Münchner Autos zerkratzen." - Katharina Kestler, "Munich Mountain Girl".

(Foto: BR/oh)

Was meinen Sie damit?

Kestler: Man könnte zum Beispiel bestimmte Gebiete nur noch per Bus zugänglich machen. Ich kann mir vorstellen, dass die ansässigen Gastronomen und Gastronominnen das nicht unbedingt toll fänden. Sie hätten - verständlicherweise - Angst, dass ihnen Umsatz verloren geht. Das liegt auch daran, dass der Tagestourist bequem ist, da bin ich ehrlich: Wenn ich mit dem Auto fahren kann, fahre ich mit dem Auto. Ich glaube, es wird aber nicht besser werden. Die Leute wollen raus. Die sitzen ja nur noch in ihren Wohnungen ohne Balkon am Bildschirm. Dann muss ich mir halt was überlegen. Da sind nicht die Anwohner und Anwohnerinnen in Miesbach oder die Ausflügler und Ausflüglerinnen aus München verantwortlich. Das ist ein Appell an die Politik. Da muss man Lösungen finden.

Öttl: In unserer Konferenz damals haben wir viele kleine Punkte erarbeitet. Unsere Parkplätze waren damals kostenfrei. Da waren wir uns auch einig: Das kann nicht so bleiben. Von dem Geld könnte man dann Toiletten aufstellen und reinigen. Die Umsetzung dauert halt aber. Unsere kleine Gemeinde müsste die ganze Infrastruktur für die Münchner und Münchnerinnen finanzieren. Das geht nicht. Da müssten wir an anderen Stellen Opfer bringen. Ob das jetzt ein Kindergarten ist oder ein Schneepfluggerät für den Winter. Wenn wir Geld investieren, dann fehlt es woanders.

Was glauben Sie beide? Was läuft in der aktuellen Debatte falsch?

Öttl: Es wird zu stark pauschalisiert, wenn es um die Münchner geht. Es sind viele, aber es sind nicht nur Münchner.

Kestler: Die Diskussion spielt sich auch viel im Internet ab. Das ist ein ganz grundsätzliches Problem. Dadurch, dass man kein Gegenüber hat, eskaliert das oft. Da fehlt jede Schamgrenze. Man verliert den Blick dafür, wie es wirklich ist.

Was wünschen Sie sich für die Auseinandersetzung?

Öttl: Mehr Toleranz von beiden Seiten.

Kestler: Gesunden Menschenverstand. Genauso wenig, wie ich während der Wiesn den Leuten vor die Tür kotzen sollte, muss ich meinen Müll in irgendeiner Hofeinfahrt liegen lassen. Das ist eine gewisse Art des Anstands.

Öttl: Genauso ist es. Ich verstehe nicht, warum man eine Pfandflasche an einem übervollen Mülleimer stehen lässt und nicht mit nach Hause nimmt. Das sind so Sachen, da fragt man sich: Warum muss das sein?

Wen sehen Sie konkret in der Verantwortung, Lösungen zu erarbeiten?

Kestler: Ich sehe schon auch das Individuum in der Verantwortung. Ich muss einfach gucken, wie ich meine Ausflüge plane. Dann kann ich entscheiden, dass ich nicht zur Ferienzeit am Wochenende an den Walchensee fahre, sondern unter der Woche, wenn einem das möglich ist. Dass man einfach versucht, antizyklisch unterwegs zu sein. Das hat ja jeder selbst in der Hand. Ich sehe uns auch in der Verantwortung, nicht so bequem zu sein - auch was die Mobilität betrifft. Da stoße ich aber oft an meine Grenzen, weil die Infrastruktur zum Teil noch nicht gut genug ausgebaut ist.

Öttl: Da gebe ich Ihnen vollkommen recht. Ich denke, in erster Linie ist die Gemeinde Kochel zuständig. Dann im umliegenden Bereich der ganze Landkreis, aber auch die Münchner Stadtpolitik. Das ist ja ein Problem von uns allen. Das kann man nur im großen Kreis lösen.

Kestler: Ich finde auch, dass viel auf Seiten der Gemeinde und der Anwohner und Anwohnerinnen passieren muss. Ich denke mir dann oft: Mein Gott, dann zieht uns doch das Geld aus der Tasche. Im Ernst. Wer sich da mit seinem BMW hinstellen muss, der muss dann auch 15 Euro bezahlen. Im Idealfall wird dann der öffentliche Verkehr günstiger, damit nicht mehr so viele mit dem eigenen Auto kommen.

Öttl: Aber wenn jetzt die 15 Euro bezahlt sind und der Parkplatz voll ist, dann wird sich der nächste Ausflügler bei schönem Wetter sicher nicht denken, dass er wieder heimfährt. Der stellt sich dann wieder irgendwo hin, wo es problematisch ist. Wir können ja auch nicht jede Wiese zum Parkplatz machen.

Frau Kestler, könnten Sie sich vorstellen, aus Respekt vor den Anwohnern und Anwohnerinnen nicht mehr so oft in die Berge zu fahren?

Kestler: Ich glaube, dass mein Bergkonsum durchaus respektvoll ist, weil ich die überlaufenen Orte per se meide und schaue, dass ich eben nicht zu den Hochphasen komme. Ich glaube schon, dass es über kurz oder lang auf Beschränkungen hinauslaufen wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es so weitergeht. In Amerika beispielsweise muss man in Nationalparks vorher Tickets lösen. Es gibt ein Kontingent - und wenn das voll ist, ist es voll. Das kann auch eine Lösung sein.

Öttl: Da haben sie schon recht. Umgekehrt fänden wir es auch nicht cool, wenn wir ein Ticket buchen müssten, wenn wir nach München fahren. Das sehe ich ein. Man muss aber schauen, dass sich jeder an die Regeln hält. Vor 15 Jahren war bei uns nie in der Diskussion, dass wir am Walchensee Ranger brauchen. Klar, es waren weniger Gäste, aber man hatte den Eindruck, dass es einfach besser funktioniert. Es lief nicht nach dem Motto: Ich bin da, und ich mache was ich will. Das passt alles irgendwie nicht mehr zusammen. Aus verschiedenen Gründen.

Kestler: Da ist Aufklärung wichtig. Wir versuchen das auch mit den Munich Mountain Girls zu machen. Meidet die Hochphasen und die beliebtesten Orte, nehmt euren Müll mit. Es gibt viele Leute, die nicht naturnah aufgewachsen sind und die es einfach nicht besser wissen. Auch wenn man meinen müsste, dass sich manche Sachen aus gesundem Menschenverstand erschließen müssten.

Glauben Sie beide, dass es möglich sein wird, eine Lösung zu finden, bei der alle glücklich sein werden?

Kestler: Ich glaube, dass sich das Problem nach Corona wieder einkriegt. Alleine, weil man dann ja auch wieder über die Grenze nach Österreich kann und es mehr Ziele gibt. Es kommt sehr auf Verkehrs- und Aufklärungskonzepte an. Trotzdem wird es dann noch Leute geben, die sagen, die Münchner und Münchnerinnen sollen wegbleiben. Aber man muss Lösungen finden. Anders geht's nicht.

Öttl: Ich gebe ihnen da vollkommen recht. Ich denke aber, die große Lösung, die alles richtet, gibt es nicht. Es sind verschiedene kleine Punkte, die alles ein bisschen besser machen. Wenn Corona rum ist, wird vielleicht manches besser. Aber wenn mal wieder ein richtiger schöner, heißer Sommer kommt, dann werden wir wieder Probleme haben. Egal, welches Konzept kommt.

Was würden Sie zum Abschluss der anderen Seite gerne mitgeben?

Öttl: Dass sie einfach respektieren, dass es unsere Heimat ist und wir uns ungern alles kaputt machen lassen. Wir wollen alles so erhalten, dass wir auch noch Spaß haben, hier zu leben. Wir wollen keine Angst haben, wenn der Wetterbericht für den nächsten Sonntag schönes Wetter ankündigt.

Kestler: Ich verstehe Ihren Schmerz. Ich kann das alles nachvollziehen. Ich hoffe, dass wir in einem gemeinsamen Dialog Lösungen finden.

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