Süddeutsche Zeitung

Warnschilder in den Bergen:"Die Tiere werden geneckt und getratzt"

Lesezeit: 4 min

Von Benjamin Engel, Kochel am See

Selbst an einem Montag wird es am 1565 Meter hohen Jochberg kaum einsam. Bereits vormittags strömen die Wanderer über den Steig von der Passhöhe des Kesselbergs Richtung Gipfel. Auf dem letzten Stück nach oben müssen sie über das Weidegebiet rund um die Jocheralm. Über den Sommer hält dort die Familie Oswald vom Seppen-Bauernhof in Sachenbach um die 40 Kühe. In jüngster Zeit ärgert sich Hans Oswald über zunehmend rücksichtslose Wanderer und Mountainbiker. "Die Tiere werden geneckt und getratzt", sagt er. Manche zupften die Kühe sogar am Ohr, andere gingen allzu sorglos ganz nah an Kälbchen heran. Das sei höchst gefährlich, wenn eine Mutterkuh ihr Junges verteidigen wolle, so Oswald.

Solche kritischen Begegnungen zwischen Mensch und Tier häufen sich im Alpenraum. Denn der Bergsport boomt. Gerade aus dem Münchner Ballungsraum zieht es die Menschen vermehrt in die bayerischen Voralpen, so auch auf den Jochberg. Dort hat die Familie Oswald seit diesem Sommer an den Zugängen zu ihrem Almweidegrund Warnschilder aufgestellt. "Achtung Weidetiere", steht darauf in Versalien. "Bitte Abstand halten!" Und damit dies auch internationale Gäste verstehen, heißt es auf Englisch: "Danger" und "Keep Distance". Hundebesitzer werden aufgefordert ihre Tiere an der Leine zu führen und diese nur bei Gefahr loszulassen.

Initiiert haben die Aktion mit den grünen Warntafeln die alm- und alpwirtschaftlichen Verbände in Bayern. Der bayerische Bauernverband und die Tourismusverbände wie das "Tölzer Land" unterstützen die Organisationen. Laut dessen Leiter, Andreas Wüstefeld, wurden 200 Warnschilder an Almbauern in der Region verteilt.

Am Jochberg findet es Hans Oswald schlimm, dass es diese Aktion überhaupt braucht. Er hat die Tafeln vor allem auch aus Haftungsgründen aufgestellt. Denn unlängst hat das Oberlandesgericht im österreichischen Innsbruck einen Bauern aus Tirol, dessen Kühe eine Wanderin aus Deutschland totgetrampelt hatten, dazu verurteilt, 78 000 Euro Schadenersatz sowie monatliche Renten an die Hinterbliebenen zu zahlen. Die Frau war mit ihrem Hund am Weg unterwegs. Mit den Warntafeln, so sagt Oswald, könne sich nun niemand mehr beschweren, nicht gewarnt worden zu sein.

Ständig nur über die vielleicht 15 Prozent rücksichtslosen Wanderer und Mountainbiker reden zu müssen, frustriert Oswald. In den vergangenen vier, fünf Jahren sei es deutlich schlimmer geworden, sagt er. Vielen sei gar nicht bewusst, dass eine Mutterkuh ihren Nachwuchs verteidige, wenn Wanderer den Kälbchen zu nahe kämen. Auch Hunde frei laufen zu lassen, sei problematisch, weil sich die Weidetiere dadurch angegriffen fühlten.

Zwischen Mitte und Ende Mai bis in den Oktober hinein sind die Tiere auf der Jocheralm. Auch Pferde hatte Hans Oswald schon am Berg. Manche Wanderer hätten die Tiere gefüttert, schildert er. Davor warnt er. "Ein Ross ist unberechenbar", sagt er. "Wenn sie von vieren gefüttert werden und vom fünften nicht, werden sie sauer." Nach dem Verständnis von Oswald ist vielen nicht klar genug, dass sie sich nicht in einer Natur-, sondern in einer Kulturlandschaft bewegen. Nur weil die Bauern seit Generationen dort wirtschafteten, hätten die Almen überhaupt ihren Erholungswert. "Das ist seit Generationen so gemacht worden", sagt er. "Wir wollen nichts anderes, als dass es so bleibt."

Noch um die 150 bewirtschaftete Almen mit etwa 2500 Kühen gibt es im Tölzer Landkreis. Die meisten verteilen sich auf das Gebiet rund um die Benediktenwand, das Seekarkreuz mit Ross- und Buchstein sowie den Rauhalmen, die Jachenau und das Karwendel.

Für den Vorsitzenden des almwirtschaftlichen Vereins Oberbayern, Georg Mair, gibt es immer mehr Erholungssuchende mit umso weniger Ahnung. Für viele sei es ganz selbstverständlich, auch den Hund auf Wanderungen mitzunehmen. Teils seien die Tiere nicht einmal angeleint. "Das geht halt gar nicht", sagt Mair. Kühe könnten sich durch die freilaufenden Hunde schnell angegriffen fühlen. Aggressiv reagierten Kühe auch auf Mountainbiker, die mitten über die Weide führen. Um Risiken zu minimieren, sollte jeder lieber Abstand von den Weidetieren halten und ausweichen.

Mit den neuen Warntafeln will der almwirtschaftliche Verein auf Gefahren hinweisen. Laut Mair sind in Bayern in einem ersten Schwung insgesamt etwa 5000 Stück produziert worden. Für die erste Auflage der verteilten Tafeln müssten die Almbauern nichts zahlen.

Mit den Unbelehrbaren müssen die Bauern leben

Bei Bad Heilbrunn steht der Hof von Peter Fichtner. Der Nebenerwerbslandwirt ist Kreisobmann des bayerischen Bauernverbands. Er beklagt, dass die Verantwortung immer auf die Grundeigentümer abgewälzt werde. "Das ist etwas, was nicht sein kann." Einmal habe er mitbekommen, wie ein Mountainbiker mitten über seine Jungviehweide geradelt sei. Als er den Mann ansprach, habe dieser behauptet, sich verfahren zu haben. "Am nächsten Tag wollte ich den Stier auf die Weide bringen", schildert Fichtner. Er will gar nicht darüber nachdenken, wie gefährlich die Situation dann hätte ausgehen können. Die Leute könne man nicht genug sensibilisieren, sagt er.

Dank moderner E-Mountainbikes hat sich der Radius für die Freizeitsportler enorm erweiter. Sie können mit elektronischer Unterstützung umso leichter selbst in abgelegene Gegenden vordringen. Auf dem Jochberg - einem der beliebtesten Münchner Hausberge - lassen sich manche selbst von Verbotsschildern nicht abschrecken und fahren sogar den schmalen Steig von der Alm bis zum Gipfel. "Ich möchte nicht übertreiben", sagt Inhaber Hans Oswald. "Aber es gibt halt Unbelehrbare. Mit denen muss man leben." Unter dem Gros der Leute, die mit Bedacht unterwegs seien, gebe es eben auch Rücksichtslose.

Einmal ist Hans Oswald um 6 Uhr morgens auf den Gipfel gestiegen und dort auf eine große Gruppe von Leuten gestoßen. Die Wanderer hatten ein großes Radio dabeigehabt und hätten laute Musik gespielt. "Da bleibt dir die Spucke weg", sagt er. Die Schere zwischen dem Naturverständnis so mancher Städter und seinem eigenen gehe immer weiter auseinander, findet er.

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Quelle:
SZ vom 03.09.2019
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