Bayerische Ortsnamen:Jachenau hieß früher Nazareth

Was Zwergern mit Querfeld zu tun hat und warum der Name Ammerland täuscht: Der Münchner Wissenschaftler Wolf-Armin von Reitzenstein hat sich auf bayerische Ortsnamen spezialisiert.

Marlene Weiss

"Was ist ein Name?", sagt Julia zu Romeo, "Was uns Rose heißt, wie es auch hieße, würde lieblich duften." Sicher, so kann man es sehen. Aber oft geht es um viel mehr. Etwa, wenn ein 3000-Seelen-Ort sein Jubiläum feiert: 1200 Jahre Farchant, damit war die halbe Gemeinde beschäftigt. Wagen wurden gebaut, das Festprogramm geplant. Und dann sollte alles hinfällig sein, weil ein Münchner die erste Erwähnung des Ortes anzweifelt?

Bayerische Ortsnamen: Der Name täuscht: Mit dem Ammersee hat das Ammerland nichts zu tun.

Der Name täuscht: Mit dem Ammersee hat das Ammerland nichts zu tun.

(Foto: WOR)

Etwas bitter klingt der Farchanter Hobbyhistoriker Josef Brandner noch immer, wenn er von der Geschichte erzählt, dabei ist es schon Jahre her. Das Bayerische Hauptstaatsarchiv hatte die erste Erwähnung von Farchant auf spätestens 802 datiert. Sicherheitshalber legte man die Jubiläumsfeier auf das Jahr 2003, zumal im Jahr 2002 schon Garmisch Jubiläum feierte. Aber dann mischte sich Wolf-Armin von Reitzenstein ein: Der Namenforscher ist überzeugt, dass es in der fraglichen Urkunde um einen anderen Ort geht - dann wäre Farchant möglicherweise jünger. "Da waren die Vorbereitungen schon viel zu weit fortgeschritten", sagt Brandner, ,"as war nicht sehr produktiv." Schließlich entschied man sich, trotzdem zu feiern, Urkundenstreit hin oder her. "Die Frage ist wissenschaftlich nach wie vor strittig", sagt Brandner. Vielleicht hatte ja doch alles seine Richtigkeit.

Wolf-Armin von Reitzenstein kümmern die Befindlichkeiten der Farchanter indes wenig, ihm geht es um Erkenntnis. Seit 1972 ist er Lehrbeauftragter für Namenkunde an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Ans Aufhören denkt der 70-Jährige bislang nicht, im Gegenteil. Seit er als Gymnasiallehrer im Ruhestand ist, hat er mehr Zeit für das Erforschen der Geschichte von Ortsnamen. Im Jahr 2006 erschien die dritte, überarbeitete Auflage seines "Lexikons bayerischer Ortsnamen". Im vergangenen Jahr folgte das "Lexikon fränkischer Ortsnamen", ein weiterer Band ist in Arbeit.

Mit dem Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen, vor allem dessen Süden, fühlt sich der Historiker besonders verbunden, am Walchensee hatte er einen Zweitwohnsitz. Dort liegt auch einer der häufig missverstandenen Orte im Landkreis: Zwergern bezieht sich nicht etwa auf die Körpergröße der Bewohner. "Der Name geht auf das Wort zwerch zurück", sagt von Reitzenstein. Heute kennen die meisten nur noch das Zwerchfell, aber ursprünglich hieß zwerch "quer" - so steht es noch im Bayerischen Wörterbuch von 1836. "Der am Querfeld wohnt", bedeute Zwergern daher eigentlich, sagt der Forscher. Was es mit dem Querfeld auf sich hat, das ist wieder eine andere Frage.

Noch komplizierter ist es mit der Jachenau: "Der frühere Name in den Urkunden von Benediktbeuern war Nazareth", sagt von Reitzenstein. Das stamme wohl vom romanischen in aceredu, von lateinisch acer für Ahorn: "Im Ahornwald", hieß der Ort also einst. Das In aceredu hätten die Mönche zum biblischen Nazareth umgedeutet. Erst im 15. Jahrhundert sei die Bezeichnung Jachnaw und schließlich Jachenau aufgetaucht, nach dem Personennamen Jacho und dem althochdeutschen aha für Fluss also "Jachos Fluss" - so jedenfalls will es das Ortsnamen-Lexikon.

Etwas einfacher sind die auf der Silbe -ing endenden Ortsnamen wie Icking, Gelting oder Egling zu deuten: "Das reicht in die Zeit der Völkerwanderung zurück", sagt von Reitzenstein. Das -ing bezeichne die Gefolgschaftsgruppen der Germanen. So bedeute etwa Ascholding "die Leute des Ascouind" und Egling diejenigen des Egilo. Fast selbsterklärend sind die Namen der drei größten Städte im Landkreis: Tölz kommt vom slawischen dol (Tal), Geretsried setzt sich aus dem mittelhochdeutschen riet für Rodung und dem Namen Gerrat zusammen, Wolfratshausen ist "das Haus von Wolfrat".

Weil sich jedoch wenige dieser Herleitungen zweifelsfrei nachweisen lassen, gibt es immer wieder Streit - etwa, wenn zwei Orte Jubiläum feiern wollen und sich dabei auf dieselbe Urkunde berufen. "Dann muss die Forschung entscheiden", sagt Gerhard Reiprich vom Bayerischen Hauptstaatsarchiv. Und die Forschung, das ist meist Wolf-Armin von Reitzenstein: "In der Regel hat er recht."

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