Baumhaus:Unterschlupf inmitten der Wipfel

Seit Generationen verbringen Kinder in Ammerland den Sommer in Baumhäusern am Kapellerberg. Inzwischen gibt es fünf Stockwerke.

Benjamin Engel

Ein bisschen sportliches Geschick muss schon mitbringen, wer in Luis' Reich vordringen will. Lediglich zwei an den Baum genagelte dünne Bretter ermöglichen den Zugang zu seinem Baumhaus auf dem Kapellerberg in Ammerland. Eine Luke versperrt den schmalen Durchgang zu ersten Ebene, für manchen Erwachsenen ein echtes Hindernis.

Baumhaus: Luis Hirn ist inzwischen 14 Jahre alt und damit zu alt für das Baumhaus. Jetzt sind jüngere Kinder an der Reihe.

Luis Hirn ist inzwischen 14 Jahre alt und damit zu alt für das Baumhaus. Jetzt sind jüngere Kinder an der Reihe.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Der 14-jährige Luis Hirn lässt sich davon nicht lange aufhalten: Lässig und ohne abzurutschen klettert er nach oben, stößt die Luke auf und steht schon auf der ersten Ebene seines alten Baumhauses. Der Bretterboden schwankt ein wenig. Doch wie in einem Krähennest überblickt man von hier oben die Ammerlander Hauptstraße. Sogar ein Zipfel des Starnberger Sees ist zu erkennen. Wer wollte, könnte auch noch vier Ebenen höher gelangen. "Das war einfach der perfekte Zeitvertreib, es hat sehr viel Spaß gemacht, ständig etwas Neues zu bauen und immer höher zu kommen", erinnert sich Luis.

Jetzt im Winter ist das kleine Laubwäldchen am Kappellerberg fast vollkommen kahl. Der steile, feuchte Waldboden ist von unzähligen Blättern und Holzbrettern bedeckt; und wer nicht aufpasst, kann leicht schon einmal ausrutschen. Trotzdem übt der Wald einen besonderen Reiz aus. In der Familie Hirn hat jeder dazu eine eigene Meinung. "Es liegt einfach in der Natur des Menschen, sich im Wald einen Unterschlupf zu bauen", sagt Stefan Hirn, der Vater von Luis, der einen Beruf ergriffen hat, der gut zu seiner Begeisterung für den Unterschlupf im Wald passt: Er ist Baumpfleger. Rückzugs- und Zufluchtsorte vor den Zumutungen der Erwachsenenwelt sind die Baumhäuser seit Generationen.

Streiche vom Baumhaus aus

Stefan Hirn, 46, wuchs selbst in Ammerland auf. "Meine Tanten werden bald 100 Jahre alt und haben mir erzählt, dass es auch zu ihrer Zeit schon Baumhäuser am Kapellerberg gab." Vor 35 Jahren spielten er und seine Freunde ebenfalls immer dort. "Das Interessante war eigentlich das Bauen", sagt er. Zu seiner Zeit seien die Baumhäuser höchstens einstöckig gewesen. Teilweise hätten sie auch nur Lager auf dem Boden gehabt. Und den Erwachsenen hätten sie vom Berg oben harmlose Streiche gespielt. "Wir haben den Leuten auf der Straße hinterhergerufen und uns gefreut, wenn sie hochgeschaut haben." Und so manchen hätten sie auch schon einmal mit Tannenzapfen beworfen.

Für seinen Sohn war das kleine Wäldchen lange ein großer Abenteuerspielplatz. Jahrelang arbeiteten er und seine Freunde daran, ihr Versteck im Wald zu perfektionieren und vor Eindringlingen zu sichern. "Hier konnten wir uns aber auch einfach zurückziehen und unsere Ruhe haben", sagt Luis.

Über die Jahre ist so ein imposantes Bauwerk entstanden. Gegenüber der Abzweigung des Kapellenwegs von der Ammerlander Hauptstraße schraubt sich das Baumhaus an der Waldgrenze fünf bis sechs Meter in die Höhe. Wer auf dem rutschigen Hang weiter nach oben steigt, kann ganz oben an der Hangkante noch ein weiteres einstöckiges Baumhaus entdecken. Ein "Mädels-Baumhaus", wie Luis' Schwester, die 16-jährige Lena Hirn, erklärt.

Hausaufgaben machen, Bücher lesen, relaxen

Denn daran habe sie allein mit ihren Ammerlander Freundinnen gebaut. "Wir haben uns dort getroffen, Hausaufgaben gemacht, Bücher gelesen", erzählt sie. Obwohl sie seit drei Jahren nicht mehr dort war, klingt sie noch immer begeistert. "Es war immer sehr schön, von dort oben sieht man über den ganzen Starnberger See." Ihre "Baumhaus-Mädels" seien auch heute noch ihre besten Freundinnen.

Mit ein paar Brettern und Nägeln von Stefan Hirn ging es vor rund sechs Jahren los. Dann bauten Luis, Lena und ein paar Freunde immer weiter. "Irgendjemand hat immer etwas mitgebracht", erzählt Luis. In eine eigene Baumhauskasse hätten sie eingezahlt, um davon beispielsweise Nägel kaufen zu können. Mit der Zeit haben die Freunde ihr Baumhaus immer weiter perfektioniert, erneuert und sicherer gemacht. "Von den Pfingstferien angefangen, waren wir den ganzen Sommer immer dort", sagt Luis - warme Tage inmitten der Wipfel. In dieser Zeit lieferten sich die Freunde auch Gefechte mit ihren "Rivalen" von anderen Baumhäusern.

Wenn sie hungrig gewesen seien, hätten sie sich von der ganz in der Nähe wohnenden Oma etwas zu essen ins Baumhaus geholt. Am Ende gab es sogar Schaukeln und eine Seilbahn. Eine Hängematte spannte sich von einem Ast zum nächsten. Doch irgendwann verliert selbst das schönste Baumhaus seinen Reiz. "Im vergangenen Sommer haben wir nicht weiter gebaut, sind nur noch im Baumhaus rumgehangen und haben relaxt", erklärt Luis. Da hätten sie sich entschieden, ihr Baumhaus an jüngere Kinder aus dem Dorf weiterzugeben.

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