Erinnerungsort Badehaus Waldram:Ein Koffer voller Geschichte

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Shai Lachman, geboren in Föhrenwald, hat dem Erinnerungsort Badehaus einen Koffer geschenkt, der alles beinhaltete, was die Lachmans als Holocaust-Überlebenden damals mitnehmen konnte. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Shai Lachman ist der Sohn des Leiters des DP-Lagers Föhrenwald. Nun schenkt er dem Museum ein besonderes Exponat.

Von Paul Schäufele, Wolfratshausen

Mit Beulen übersät, zerkratzt, verschrammt, generell ein wenig aus der Form geraten. Dieser Koffer hat einiges erlebt. Einen wichtigen Hinweis darauf, wie viel Geschichte mit dem Stück verbunden ist, geben die hebräischen Buchstaben, die jemand mit schwungvoller Schrift ins Metall geritzt hat: Der Koffer gehört Amalya Lachman und er soll ins Kibbuz Aschdot Jaʿakov im Jordangraben, damals noch im britischen Mandatsgebiet von Palästina. Die Reise, die der Koffer 1947 angetreten ist, hat er nun in anderer Richtung noch einmal zurückgelegt. Shai Lachman, Vorsitzender des Vereins der Nachkommen Föhrenwalds in Israel, hat das Objekt dem Erinnerungsort Badehaus in Waldram geschenkt. Aus Dankbarkeit für die engagierte Arbeit, das DP-Lager Föhrenwald nicht dem Vergessen anheimfallen zu lassen.

Der Koffer hat viele Reisen unter extremsten Bedingungen mitgemacht - wie die Menschen, die ihn besaßen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Dort, im Lager für Displaced Persons (DP), ist Shai Lachman im Januar 1947 zur Welt gekommen als Kind von Amalya und Gedalyahu, der auf Deutsch auch Gustav genannt wurde. Dass Shai geboren werden konnte, wirkt von heute aus betrachtet als der Endpunkt einer Kette von Zufällen. Diese Zufälle zu rekonstruieren, ist zu einer Lebensaufgabe des 77-Jährigen geworden. Als Kind haben er und seine Geschwister die Mutter etwa nach der langen Narbe an ihrem Bein gefragt. Ein Hund habe sie gebissen, hieß es da. Dass ihr der Hund von Nazis auf den Leib gehetzt wurde, verschwieg Amalya Lachman.

Doch als Anfang der Zweitausender-Jahre Antisemitismus und die Leugnung des Holocausts zunahmen, sagte Shai Lachman zu seiner Mutter: „Du schuldest es uns, das zu erzählen.“ In einem rund einstündigen Interview erzählte sie 2007 der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem ihre Geschichte. Unter anderem, wie sie sich während des Zweiten Weltkriegs im besetzten Polen unter dem Namen Maria Krug als Christin ausgab und im Haus eines evangelischen Pfarrers arbeitete. „Die Mutter des Pfarrers hat sie angeschaut und gesagt ‚Du bist Jüdin, nicht wahr?‘ Meine Mutter konnte das nicht mehr bestreiten, aber diese Frau hat gesagt: ‚Für mich ist das in Ordnung, aber du musst aufpassen, mein Sohn hasst Juden‘. Dort ist sie bis 1945 geblieben“, sagt Shai Lachman.

Übergabe des Exponats (von links nach rechts): Elisabeth Voigt, Rhiannon Moutafis, Sybille Krafft, Shai Lachman und Jonathan Coenen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Über Umwege gelangt Amalya, damals noch Amalya Weiss, ins DP-Lager Föhrenwald, wo sie ihren Mann Gedalyahu Lachman heiratet. Auch er ist Holocaust-Überlebender, hat das Gestapo-Gefängnis in Czortków (heute im Westen der Ukraine) überstanden, Zwangsarbeit und ein Jahr im Untergrund in der Ukraine. 1946 wird Gedalyahu Lachman Leiter des DP-Lagers, was in der Erzählung von Shai Lachman nur konsequent erscheint. Wenn Shai Lachman vom Vater spricht, leuchten seine hellblauen Augen noch ein wenig mehr. „Mein Vater war eine Art von Genie“, sagt er. Acht Sprachen habe er gesprochen. Er zeichnet das Bild eines charismatischen Mannes, eines geborenen Erziehers – in Israel wird er Schulleiter der Katzenelson High School in Kfar Saba – und eines „glühenden Zionisten“, wie sein Sohn sagt. „Wie eine brennende Flamme“ nannte er das Buch, das er über seinen Vater geschrieben hat und das immer noch auf seine Übersetzung ins Deutsche wartet.

Ausbilder im Hochlandlager

 Als Leiter von Föhrenwald hat der Vater nicht nur die Geschicke des Lagers in der Zeit nach Ende des Zweiten Weltkriegs mitbestimmt. Im Hochlandlager, ehemals Sammlungsort der Hitlerjugend und des Bunds Deutscher Mädel, bilden Gedalyahu Lachman und seine Mitstreiter diejenigen aus, die sich in der paramilitärischen Haganah im Sinne des Zionismus engagieren wollen. Unzähligen Juden, zumal jüdischen Waisenkindern aus Westpolen, habe er in den Vierzigerjahren ermöglicht, eine neue Heimat im heutigen Israel zu finden. Seinem Freund Jisrael Galili, später ein einflussreicher Politiker in Israel, habe er versprochen, tausend Kinder auf diese Weise zu retten. „1973 hat mein Vater gesagt ‚Ich glaube, ich habe mein Versprechen erfüllt und noch mehr’“, so Shai Lachman. Der Film über den Vater trägt deshalb den Titel „Ein erfülltes Versprechen“. Als der Film im Mai in Tel Aviv Premiere hatte, waren auch Sybille Krafft, die Leiterin des Waldramer Museums, und andere Vertreter des Erinnerungsorts Badehaus dabei.

All das, die komplexen Lebenslinien von Gedalyahu, Amalya und Shai Lachman, die sich über Galizien in der Ukraine, Polen und Deutschland spannen, sind der Hintergrund, vor dem nun ein Metallkoffer Eingang in die Sammlung des Erinnerungsorts findet. „Es war eine harte Entscheidung“, sagt Shai Lachman. „Der Koffer ist der letzte Gegenstand meiner Eltern aus ihrer Föhrenwalder Zeit.“ Dennoch sei es richtig, dass er nun einen neuen Platz finde. „Damit schließt sich ein Kreis“, sagt Lachman. Er sehe es als seine Aufgabe, seine „heilige Mission“, wie er selbst sagt, durch Dokumentation und Aufklärung die Erinnerung an den Holocaust nicht verblassen zu lassen. Gerade jetzt, wo Antisemitismus und Israel-Feindschaft wieder an Kraft gewinnen. „Das Team um Sybille und das ganze Badehaus leisten so eine wichtige und großartige Arbeit“, sagt Lachman.

 Als er dann im Dachgeschoss des Museums den Koffer abstellt, entdeckt er ein Bild seiner Eltern an der Wand. Ein bisschen weiter rechts ist er abgebildet als lächelndes Baby. „Ich bin immer bereit, zu lächeln“, sagt Shai Lachman.

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