Antisemitismus an Hochschulen:„Das macht uns Kopfzerbrechen“

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Sybille Krafft bei einem Vortrag im Erinnerungsort Badehaus in Wolfratshausen. (Foto: Hartmut Pöstges/Hartmut Pöstges)

International wird seit dem Angriff der Hamas auf Israel an Hochschulen für ein freies Palästina demonstriert. Die Grenzen zum Judenhass sind dabei fließend, findet Sybille Krafft, Vorsitzende des Erinnerungsortes Badehaus in Wolfratshausen.

Von Christina Lopinski, Wolfratshausen

Mittlerweile sind mehr als acht Monate vergangen, seit die Terrororganisation Hamas auf dem Supernova-Festival Hunderte Menschen getötet und Israel an mehreren Orten mit Raketen angegriffen hat. Seitdem wird auf der ganzen Welt, vor allem an Hochschulen, demonstriert. Gegen den Krieg, gegen die Hamas, aber auch gegen Israel. Antisemitismus ist dabei immer wieder Thema. Auch im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen wird Judenhass seit vielen Jahren intensiv beleuchtet – durch die Erinnerungsarbeit im Waldramer Badehaus etwa. Aufgrund der besonderen Geschichte des Ortes werden die aktuellen Vorgänge und Diskussionen hier besonders genau beobachtet – und die Verantwortlichen beziehen Stellung.

„Das macht uns Kopfzerbrechen“, sagt Sybille Krafft, als sie anfängt, über die antisemitischen Vorfälle der vergangenen Monate zu sprechen. Krafft ist Vorsitzende des Erinnerungsortes Badehaus, an dem immer wieder junge Menschen ihren Bundesfreiwilligendienst absolvieren und Studierende arbeiten. Nicht alles – nicht jede Demonstration und nicht jeder Banner –, die das Vorgehen Israels im Gazastreifen kritisierten, seien antisemitisch, das müsse von Fall zu Fall geprüft werden. „Aber es gibt moralisch-politische Grenzen, und die sind unverrückbar“, sagt Krafft.

Von welchen Grenzen Krafft, die sich seit Jahrzehnten für die jüdische Erinnerungskultur einsetzt und Anfang dieses Jahres dafür das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen hat, spricht, kann man besser verstehen, wenn man in die umkämpften Fakultäten, meist sozialwissenschaftlich, hineinzoomt. An der renommierten Science Po Universität in Paris zum Beispiel zeigten pro-palästinensische Studierende ihren Unmut über die Situation in Gaza mit einem Sitzstreik. Oder an der Humboldt-Universität in Berlin: Hier besetzte eine pro-palästinensische Gruppe einen Hörsaal, der von der Polizei geräumt werden musste. Bilder von Studierenden mit Palästina-Flaggen und Polizisten, die sie umzingeln, gehen immer noch fast täglich viral. Die Forderungen der Studierenden ähneln sich international: Sie fordern einen bedingungslosen Waffenstillstand und ein Ende des Genozids in Gaza. Dabei ist juristisch noch gar nicht geklärt, ob Israel im Gazastreifen einen Genozid begeht. Der Fall wird aktuell geprüft.

Mehrere tausend Menschen ziehen bei einer pro-palästinensischen Demonstration durch Berlin (Foto: Friedrich Bungert)

Das sind die lauten und visuell mächtigen Bilder, die sich seit dem 7. Oktober konstant auf dem schmalen Grat zwischen Meinungsfreiheit und Antisemitismus bewegen. Krafft mahnt, diesen schmalen Grat rechtzeitig zu erkennen und zu unterbinden. Dafür bräuchte es ein scharfes Auge. Wenige Wochen vorher wird in Berlin-Mitte ein jüdischer Student der Freien Universität von einem Kommilitonen zusammengeschlagen und muss ins Krankenhaus. Das – dieser offen ausgelebte und gewaltvolle Antisemitismus – ist die moralisch-unverrückbare Grenze, die Krafft meint. Dass sich die Grenze in den vergangenen Monaten verschoben hat, belegen auch Studien. Antisemitische Angriffe auf jüdisch-gläubige Menschen haben seit dem Angriff der Hamas zugenommen. Um 320 Prozent im Vergleich zum selben Zeitpunkt im Jahr davor. Das zeigt ein neuer Bericht der Recherche und Informationsstelle Antisemitismus.

Universitäten sind Orten des Diskurses

Es ist keine Seltenheit, dass sich die Spannung gesellschaftlich polarisierender Themen an Universitäten entlädt, denn sie sind Orte des Fragens, des Diskurses und auch des Nicht-Einverstanden-Seins. Die 1968er-Proteste zum Beispiel, in dessen Zentrum der Kampf gegen den Vietnam-Krieg stand, wurde zum Großteil von Studierenden der Großstadt-Universitäten initiiert. Es verwundert also kaum, dass nun auch der Kampf um die Deutungshoheit des Krieges in Gaza an sämtlichen Universitäten ausgetragen wird.

Jonathan Coenen, Zweiter Vorsitzender des Erinnerungsortes Badehaus, und Chiara Hager, studentische Mitarbeiterin dort, befinden sich im Gegensatz zu Krafft noch im universitären Geschehen. Coenen studiert in Graz Kulturwissenschaften, Hager studiert in München Geschichte. Protest finden sie generell in Ordnung, ja sogar sehr wichtig für ein demokratisches System. „Aber nicht, wenn der Protest von Ideologie getrieben ist“, sagt Hager. Sie ist selbst jüdischen Glaubens und Mitglied im Verband jüdischer Studenten. Angst, an die Uni zu gehen, habe sie nicht, aber Gedanken mache sie sich schon. „In jedem neuen Seminar schaue ich mich erstmal um und überlege, ob ich meinen Makkabi-Sticker von meinem Laptop nehmen soll“, sagt sie. Makkabi ist die Abkürzung des größten jüdischen Sportverbandes Deutschlands. Heger spielt Fußball. Wenn sie auf Plakaten und an Wänden „from the river to the sea“ liest, dann denkt sie an das Existenzrecht Israels, das 1967 vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verabschiedet wurde und mit dieser Parole in Frage gestellt wird. Ob den Menschen, die diesen Spruch benutzen, der mitschwingende Antisemitismus bewusst ist?

Möglicherweise nicht, sagt Jonathan Coenen, zumindest nicht allen, die aktuell protestieren. Der Krieg in Gaza und die gesamte Geschichte Israels seien hochkomplex und von allen Seiten emotionalisiert. Jeder hätte irgendeine Meinung dazu, ob gut informiert oder nicht. „Die Gefahr der Instrumentalisierung ist groß“, sagt er und meint damit die Übernahme von Hamas-Propaganda durch die Demonstrierenden. „Ich wünsche mir mehr Informationen und mehr Informationswillen“, sagt der 27-Jährige.

Das Badehaus in Waldram arbeitet deshalb eng mit Zeitzeugen zusammen. Regelmäßige Reisen nach Israel sind für ihre Arbeit wichtig. Anfang dieses Jahres haben Krafft, Coenen, Hager und weitere Kolleginnen und Kollegen aus dem Badehaus Jerusalem und Tel Aviv besucht. Außerdem den Kibbuz Kfar Azza, in dem die Hamas sämtliche Familien überfallen hat, und das Gelände des Supernova-Festivals. „Es ist so erschütternd. Sie blicken in junge Gesichter, die das Leben noch vor sich hatten. Das zerreißt einem das Herz“, sagt Krafft. Sie meint damit die Fotos von den jungen Menschen, die auf dem Musikfestival ihr Leben verloren haben. Gleichzeitig hätten sie, Krafft, Coenen, Hager und all die anderen Mitreisenden die Bomben gehört, die immer noch in regelmäßigen Abständen über dem Gazastreifen abgeworfen werden.

Auch Menschen wie Krafft, Coenen und Hager, die sich auf Grund ihres Lebenswegs, ihres Berufs oder ihres Glaubens seit Jahren mit Judentum und Antisemitismus beschäftigen, fällt eine Einordnung schwer. Fragt man sie nach Antisemitismus an Hochschulen, sagen sie im Gespräch unabhängig voneinander: „Ich tue mir schwer, das einzuordnen“ oder „Da gibt es keine einfachen Antworten“. Im Badehaus würden sie seit dem 7. Oktober vermehrt von Schulen angefragt und um Führungen gebeten. Eine Zunahme an antisemitischen Vorfällen hat Krafft in diesem Umfeld bislang nicht mitbekommen. Trotzdem würden sie Antisemitismus nun verstärkt thematisieren. „Der Hass, der in den Herzen der Menschen ist, kann nur gemeinsam überwunden werden“, sagt sie. Das Badehaus sei ein Ort der Hoffnung.

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