Bad Tölzer Straßen und ihre Geschichte:Umtaufen oder erklären

Bad Tölzer Straßen und ihre Geschichte: Ein Beispiel aus Geretsried: Dort erklären zusätzlich angebrachte grüne Schilder die Herkunft der Straßennamen.

Ein Beispiel aus Geretsried: Dort erklären zusätzlich angebrachte grüne Schilder die Herkunft der Straßennamen.

(Foto: Hartmut Pöstges)

In Tölz trägt eine Isar-Promenade den Namen eines Nazi-Bürgermeisters, Widerständler dagegen haben keine Straßen. Eine Arbeitsgruppe sucht Lösungen

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Alfons Stollreither zögerte nicht. Als die Nazis an die Macht kamen, trat der damalige Bürgermeister von Bad Tölz umgehend in die NSDAP ein. Unter ihm baute die SS die Junkerschule auf der Flinthöhe, die 1936 eröffnet wurde, zunächst als sogenannte Führerschule. "Wer unter den Nazis Bürgermeister war, der war sicher auch belastet", sagt Stadtrat Franz Mayer-Schwendner (Grüne). Er gehört zu der Arbeitsgruppe, die sich derzeit mit der möglichen Umtaufe von Straßennamen in der Kurstadt befasst. Denn nach Stollreither ist noch immer eine Promenade am Isarufer benannt. Dagegen tauchen die Demokraten und Nazi-Gegner aus Bad Tölz wie Michael Deschermeier und Anton Holzner bis heute nicht im Straßenbild auf.

Ob der Spazierweg an der Isar eine andere Bezeichnung bekommen wird, ist unklar. "Alfons Stollreither ist ein schwieriges Thema", sagte Christof Botzenhart in der Jahreshauptversammlung des Historischen Vereins für das Bayerischen Oberland in Bad Tölz am Montagabend im Gasthaus Zantl. Der zweite Vorsitzende und CSU-Stadtrat kündigte an, dass die Arbeitsgruppe bis Mitte des Jahres eine Empfehlung abgeben werde. Aus einer Tilgung des Namens Stollreither dürfte der Ratschlag der Kommission vermutlich nicht bestehen. Dies deutet Mayer-Schwendner an: "Abschaffen wird man ihn nicht, vielleicht findet man einen Weg, dass man auf die ganze Sache hinweist." Schließlich sei dieser Bürgermeister nicht bloß unter den Nazis im Amt gewesen, sondern schon lange zuvor, insgesamt etwa 40 Jahre. Von daher habe er auch Verdienste gehabt, sagt Mayer-Schwendner. An eine Art Informationsweg wie an der Hindenburgstraße denkt man in der Arbeitsgruppe jedoch nicht. "Das mus man anders lösen, weil es ein anderer Fall ist", sagt der Grünen-Stadtrat.

Im Fall Deschermeister ist die von der Stadt eingesetzte Kommission, der neben Botzenhart und Mayer-Schwendner auch Stadtarchivar Sebastian Lindmeyr, Josef Förster und Redakteur Christoph Schnitzer angehören, ebenfalls noch am Überlegen. Der 1885 geborene Sozialdemokrat und Gewerkschaftsführer kam gleich nach dem Ersten Weltkrieg nach Bad Tölz. Dort trat er politisch nach der Novemberrevolution in Erscheinung, als er am 17. November 1918 in einer öffentlichen Versammlung des sozialdemokratischen Vereins eine Rede an die Arbeiterschaft hielt. Nur eine Woche später wurde er in den Tölzer Arbeiterrat gewählt. Ein Kommunist oder linker Fanatiker war Deschermeier nicht. Als Arbeiterrat arbeitete er durchaus mit etablierten Kräften in Tölz zusammen und trug dazu bei, dass die Kurstadt im Winter 1919 mit Brot und Getreide einigermaßen versorgt war. Später zog der gelernte Maler für die Mehrheitssozialdemokraten in den Tölzer Stadtrat ein. Er war Kreisrat, Bezirksrat und SPD-Kreisvorsitzender. Schon in der Weimarer Republik trat er entschieden gegen die Nazis auf. Am 29. Juni 1933 wurde er an seinem Arbeitsplatz verhaftet und tags darauf in das Konzentrationslager Dachau gebracht. Auch wenn er nur zwei Monate später wieder freigelassen wurde, duckte er sich nicht weg. Seine Wohnung in der Messerschmiedstraße wurde zu einem heimlichen Treffpunkt für Nazi-Gegner. Auch Anton Holzner, der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von der amerikanischen Militärregierung als Tölzer Bürgermeister eingesetzt wurde, gehörte zu den Gegnern der NS-Diktatur. Der Rechtsanwalt stammte aus katholisch-konservativen Kreisen. In deutlichen Briefen an die Reichskanzlei forderte er von Adolf Hitler die strikte Trennung von Politik und Justiz.

Ob nach Deschermeier und Holzner eine Straße in Tölz benannt werden soll, steht bisher nicht fest. Einig sei man sich, dass es für Deschermeier eine Ehrung geben werde, "in welcher Form auch immer", sagt Mayer-Schwendner. Auch Botzenhart hält sich bedeckt. "Wir überlegen, wie wir für Deschermeier etwas tun können", sagte er beim Historischen Verein.

Bad Tölz hat um die 240 Straßen, Gassen und Plätze. In einem Projekt, das Botzenhart initiiert hat, sollen die meisten von ihnen einheitliche Tafeln bekommen, auf denen der Name erklärt wird. Geplant sind maximal jeweils 200 Zeichen. Bislang habe man 107 Straßen abgearbeitet, so Botzenhart. Ausgenommen sind nur solche Schilder, die allgemeine Bezeichnungen tragen, beispielsweise Baum- oder Pflanzenartenarten. "Das ist eine wirklich gute Sache", lobte Vereinsvorsitzender Claus Janßen.

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