Süddeutsche Zeitung

Artenschutz:"Der Waschbär ist zu schlau"

Lesezeit: 3 min

Im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen breitet sich das Raubtier vermehrt aus und plündert Mülltonnen und Bienenhäuser. Warum nun Jäger gefordert sind.

Von Veronika Ellecosta, Bad Tölz-Wolfratshausen

Über den Waschbären wird in sozialen Medien derzeit gescherzt, dass er das Maskottchen der Pandemie ist: Er ist Maskenträger, wäscht seine Hände vorbildlich, und wenn man die Buchstabenfolge der englischen Bezeichnung für das kleine Raubtier, racoon, neu anordnet, erhält man das Wort Corona. Doch die Aufmerksamkeit zieht das Tier nicht nur im Internet und nicht erst seit diesem Jahr auf sich: Seit mehr als drei Jahrzehnten verbreiten sie sich zunehmend in Bayern, im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen wird seine Population inzwischen als problematisch gesehen.

Das liegt vor allem daran, dass Waschbären Meister der Anpassung sind und nahezu jeden Lebensraum besiedeln können: Als Kulturfolger und Mülltonnenliebhaber in der Stadt, oder als Fischer und Nesträuber in der Nähe von Gewässern. Um ihnen auf die Spur zu kommen, hat Regina Gerecht vom Bayerischen Jagdverband (BJV) die genauen Abschüsse, in der Jägersprache Waschbärstrecken genannt, für jeden Landkreis im Freistaat aufgeschlüsselt. Gemeinsam mit der Akademie für Jagd und Natur hat der BJV Fragebögen an Jäger und Interessierte verteilt, um Sichtungen sowie Entnahmen einzelner Exemplare zu erfragen. Das Ergebnis: Die Ausbreitung des Waschbären geschieht von Nordwesten nach Süden. Im Landkreis wurde zwar seit 2015 kein Waschbär mehr erlegt, heißt es ergänzend dazu aus dem Landratsamt. Beobachtet wird er bisher nur vereinzelt. Trotzdem wird er im Waschbärenmonitoring des BJV hier als problematisch eingestuft und auch die Bereitschaft zur intensiveren Bejagung ist groß.

Widersprüchlich sei dieses Ergebnis nicht, weiß Gerecht. Weil der Waschbär eine invasive Art sei, werde er von Jägern als Gefährder der einheimischen Tierwelt wahrgenommen. Der Waschbär sei nicht wählerisch und fresse so ziemlich alles, darunter auch Kleintiere und Gelege von Vögeln. Tritt er vermehrt auf, könnte sich der Druck der Beutegreifer auf die kleineren Beutetiere verstärken, besonders gefährdete Arten wie die Europäische Sumpfschildkröte oder die Großtrappe könnten durch ihn stärker bedroht werden. Der Kleinbär darf deshalb nach EU-Recht ganzjährig erlegt werden und genießt keinen Artenschutz. Davon unbeeindruckt setzt er aber seinen Siegeszug fort. Regina Gerecht schätzt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sich der Waschbär auch im Landkreis stark ausbreiten wird. Ab einem gewissen Schwellenwert steige die Anzahl nämlich rasant.

Um dem Waschbären im Landkreis näherzukommen, muss man sich abseits der Statistik bewegen. Josef Hesslinger ist Jäger und Pressesprecher beim Kreisjagdverband Bad Tölz. Er kann von einer Zunahme der Raubtierpopulation erzählen. Gemeldet würden ihm hierzulande etwa Übergriffe von Waschbären auf Mülltonnen. Neulich habe sich in der Jachenau ein Vorfall in einem Bienenhaus ereignet. "Der Waschbär ist da so brutal eingebrochen, zuerst dachte man an Menschen oder an einen Bären". Erst mit der Wildkamera konnte der kleine Vandale überführt werden. Und in einem Nachbarrevier hätten sich kürzlich Waschbären in einem Obstbaum so laut gestritten, erzählt er schmunzelnd, "dass die Leute Angst hatten, da raufen zwei betrunkene Jugendliche im Apfelgarten." Solche Vorkommnisse gebe es mittlerweile immer öfter im Landkreis. Früher, sagt Hesslinger, kam so etwas einmal im halben Jahr vor, mittlerweile jeden zweiten Monat. Auch Hesslinger glaubt, dass der Waschbär hierzulande in fünf bis sechs Jahren vollkommen heimisch sein wird.

Von einem Problem sprechen will Hesslinger deshalb aber nicht - noch nicht. Es ließe sich auch nicht an relativen Zahlen abmessen, wie viele Exemplare Schwierigkeiten bereiten könnten. Denn: Wann ein Beutegreifer zu großen Druck auf die Kleintierwelt ausübe, hänge auch von der Population der konkurrierenden Raubtiere ab. Gibt es etwa Phasen mit vielen Füchsen und Mardern, würde eine zusätzlich wachsende Waschbärpopulation ein größeres Ungleichgewicht bedeuten.

In Bad Tölz-Wolfratshausen rüstet man derweil langsam für einen Zuwachs auf. Denn mit den Kleinbären verhalte es sich wie seinerzeit mit dem Wildschwein, befürchtet Hesslinger: Das Problem werde erst erkannt, sobald der Bestand sich schon vermehrt habe. Angedacht sei, dem Waschbären wie in Nachbarlandkreisen mit Lebendfallen auf den Leib zu rücken, denn eine Bejagung mit der Büchse erweise sich bei dem Raubtier als schwierig. "Der Waschbär ist zu schlau." Er sei gern in Dörfern unterwegs, wo man ihn nicht schießen könne. Zudem gilt er als nachtaktiv und entziehe sich damit ebenfalls der Regulierung durch Abschuss.

Josef Hesslinger ist überzeugt, dass der Bestand um der heimischen Artenvielfalt willen reguliert gehört. Dass man Waschbären ausrotten könnte, im Landkreis, im Freistaat, in Deutschland, daran glaubt er nicht. Die Natur, sagt er, agiere zwar als Seuchenpolizei: Wenn der Bestand der Beutegreifer aus dem Gleichgewicht sei, entwickelten sich Krankheiten, die den Bestand dezimierten. "Aber bevor es die Natur macht, kann der Mensch dafür sorgen, dass die Tiere nicht jämmerlich an Krankheiten eingehen." Wichtig ist ihm deshalb, die Entwicklung im Auge zu behalten.

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Quelle:
SZ vom 16.11.2020
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