Süddeutsche Zeitung

Wetter-Extreme:Spuren der Verwüstung

Lesezeit: 3 min

Ein Unwetter mit golfballgroßen Hagelkörnern hat in der Nacht auf Dienstag im Norden des Landkreises starke Schäden verursacht. Vor allem in Wolfratshausen wurden Dachfenster, Gewächshäuser und Autos zerstört

Von Benjamin Engel, Bad Tölz-Wolfratshausen

Das Unwetter in der Nacht von Montag auf Dienstag hat Teile des nördlichen Landkreises verwüstet und Wolfratshausen besonders schlimm getroffen. In der Stadt durchschlugen die teils mehr als golfballgroßen Hagelkörner in wenigen Minuten Dachfenster, Wasser drang in Wohnungen und Häuser ein, Dächer wurden stark beschädigt, Gewächshäuser durchlöchert und Autos demoliert. Mehr als 110 Mal mussten die Feuerwehren zwischen Icking und Eurasburg, Münsing sowie Neufahrn (Gemeinde Egling)

ausrücken, mehr als 70 Mal in Wolfratshausen. In seiner Geltinger Gärtnerei steht Josef Holzer buchstäblich vor den Scherben seiner Existenz. 2500 seiner 4500 Quadratmeter Gewächshausdachfläche bestünden aus Glas, sagt er. Die Pflanzen darunter seien von Splittern übersät und für den Verkauf unbrauchbar. Hineinzugehen ist am Dienstagnachmittag zu gefährlich, weil dauernd ein weiteres Stück Dach herunterkracht. Selbst die Dächer mit Plastikfolie seien komplett zerschossen. Am Vorabend konnte Holzer kaum auf das Unwetter reagieren. Der Himmel habe gegen 21 Uhr komisch geleuchtet. "Nach Westen war es grau, so wie wenn ein Tornado kommt", sagt der Gärtnerei-Inhaber.

Nur noch die Gewächshaus-Lüftung habe er abstellen können, bevor es losgeprasselt sei. "So etwas habe ich noch nie gesehen", sagt Sebastian Brustmann von der Musiker- und Inhaberfamilie des OP-Liegen-Herstellers Brumaba. Im Betriebsgebäude im Geltinger Gewerbegebiet hatte er am Abend eine Musikprobe, als ein regelrecht orkanartiger Wirbelsturm losbrach. Seine Musikerkollegen und er hätten noch ihre vor dem Haus geparkten Autos unters Dach fahren wollen, berichtet er. Doch es sei zu spät gewesen. Die Seitenscheiben seien völlig beschädigt, die Karosserien verbeult. Am Dienstagmorgen habe er festgestellt, dass vier große Dachfenster des Betriebes ebenfalls zerstört seien. "Damit hätte ich nie gerechnet", sagt Brustmann. Die Feuerwehr habe die Fenster provisorisch abgedichtet und das eingedrungene Regenwasser beseitigt. Die aluminiumverkleidete Fassade sei eingedellt. Brustmann geht von einem Schaden im mittleren Zehntausender-Bereich aus. Das Gewächshaus im Garten seines Wohnhauses im Wolfratshauser Stadtteil Waldram hat alle paar Zentimeter faustgroße Löcher.

Viele Wolfratshauser erinnern sich an das infernalische, an Gewehrschüsse erinnernde Geräusch der einschlagenden, bis zu fünf Zentimeter dicken Hagelkörner. Insgesamt mussten 14 Feuerwehren im Norden des Landkreises ausrücken. In Wolfratshausen waren die Einsatzkräfte noch den ganzen Dienstag mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Verletzte hat es, soweit bislang bekannt, nicht gegeben.

Das sei kein alltägliches Unwetter gewesen, sagt der Sprecher der Kreisbrandinspektion, Stefan Kießkalt. Tendenziell träten solche Wetterereignisse häufiger lokal begrenzt und umso heftiger auf. Die ersten Einsätze am Montag habe es von 21.30 bis etwa 22 Uhr gegeben. Später sei gegen 23.30 Uhr noch eine zweite Schlechtwetterwelle gekommen, aber nur noch mit starkem Regen. Um die 150 bis 180 Feuerwehrleute sind laut Kießkalt aktiv gewesen.

An der Floßlände geriet eine Schwanenfamilie in Not. Zwei Jungtiere konnte die Tierrettung Oberland verletzt, eines nur noch tot bergen, ein weiteres verschwand mit den Eltern auf der Loisach.

Bei der Wolfratshauser Niederlassung des Autohauses Schmidt klingelt seit Dienstagfrüh um 7.30 Uhr permanent das Telefon. "Manche müssen wir ein bisschen trösten", sagt Filialleiter Thomas Huber. Die Schäden an ihren Autos seien für viele wie ein Schock. Front- und Heckscheiben seien teils vollkommen durchlöchert - von den Dellen im Karosserieblech ganz zu schweigen. Jetzt gehe es erst einmal darum, die Fahrzeuge wieder mobil zu machen und die Scheiben zumindest provisorisch zu reparieren. Auch der Fahrzeugbestand des Autohauses ist teils schwer beschädigt. 200 Wagen, 150 davon gebrauchte, stehen auf dem Gelände im Freien. In manchen Front- und Heckscheiben gebe es faustgroße Löcher, sagt Huber.

Im Altgebäude des Waldramer Kollegs St. Matthias eingelagerte Exponate des Heimatmuseums waren durch Feuchtigkeit bedroht. Dort half die 16-jährige Feuerwehrfrau Marcia Filkorn beim Umräumen, sie war dienstags mehr als sechs Stunden im Einsatz. Die Exponate blieben unbeschadet.

In Geretsried meldet die Polizei vor allem aus dem Blumenviertel Einsätze. Ein herumfliegendes Trampolin habe der Besitzer einfangen können. Der Hagelschlag habe die Frontscheibe eines Fahrzeugs der Weilheimer Verkehrspolizei im Einsatz stark beschädigt. Vor dem Hagel habe sich der 29-jährige Fahrer eines Motorrollers in den Wagen eines vorbeikommenden Autofahrers gerettet. Die Einsatzkräfte hätten umgestürzte Bäume von Straßen entfernen müssen.

Vergleichsweise überschaubar waren die Einsätze in Münsing. Von drei kaputten Dachfenstern und einem bei Bolzwang auf den Seitenstreifen der Garmischer Autobahn gefallenen Baum berichtet Feuerwehrkommandant Peter Müller. Derartig große Hagelkörner, sagt Müller, habe er aber noch nie gesehen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5329525
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 23.06.2021
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.