Süddeutsche Zeitung

Die Tafeln Bad Tölz-Wolfratshausen schlagen Alarm:"Einige stehen an den Grenzen ihrer Belastbarkeit"

Durch den Ukraine-Krieg und die Anzahl der Geflüchteten steigt die Anzahl der Abnehmer bei den Tafeln rapide. Doch die Lebensmittelspenden stagnieren. Die Helfer brauchen nun selbst Hilfe.

Von Quirin Hacker, Bad Tölz-Wolfratshausen

Die Tafeln im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen schlagen Alarm, denn die Anzahl der Abnehmer ist sprunghaft gestiegen. Der Grund hierfür: der Krieg in der Ukraine und die Geflüchteten, die hierzulande Schutz suchen. Gleichzeitig stagniert jedoch das Volumen der Lebensmittelspenden, so dass Helfer die Waren inzwischen rationieren müssen, um den vielen Abnehmern gerecht zu werden.

Aktuell kommen nach Angaben von Helmut Kulla, stellvertretender Kreis-Geschäftsführer des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) und Bereichsleiter Soziale Dienste, mehr als doppelt so viele Menschen zu den Ausgabestellen der Tafel als vor dem Ukraine-Krieg. In Lenggries beispielsweise erschienen an der Ausgabestelle an der Münchner Straße derzeit zwischen 50 und 60 Personen, vorher seien es 25 gewesen, erklärte Kulla kürzlich bei einem Pressegespräch. Die Tafel in Kochel verzeichne einen Zuwachs um 47 auf 77 Nutzer. In Bad Tölz seien von 282 Nutzern 180 Ukrainer und Ukrainerinnen. Berechtigt sind sie, weil sie nach ihrer Registrierung eine Sozialcard erhalten. Doch der rasante Zuwachs an Abnehmern stellt die Tafeln vor Probleme: einerseits, was die benötigten Lebensmittelmengen betrifft. In Lenggries etwa kämen Abnehmer inzwischen manchmal bis zu zwei Stunden vor der eigentlichen Ausgabezeit an, weil sie nicht leer ausgehen wollten, sagte Brigitta Opitz von der Lenggrieser Tafel. Andererseits, weil die dadurch nötigen Rationierungen den Nutzern verständlich gemacht werden müssen, was aber immer wieder auch an Sprachbarrieren scheitere.

Im Gegensatz zur Anzahl der Abnehmer sei die Anzahl der Lebensmittelspenden aus Supermärkten und Bäckereien auf demselben Niveau geblieben, sagte Kulla. Deshalb müssten die Helfer Lebensmittel zukaufen, was einen erheblichen Mehraufwand bedeute. Durch die Corona-Pandemie hätten insbesondere ältere Ehrenamtliche die Tafel verlassen. Die zusätzliche Arbeit müssen die Verbliebenen jetzt unter sich aufteilen. Vom eigentlichen Ziel, ehrenamtliche nur einmal im Monat einzusetzen, sei man weit entfernt. "Einige stehen an den Grenzen ihrer Belastbarkeit", sagte Kulla. Ferner sei es nicht im eigentlichen Sinn der Tafeln, Lebensmittel zuzukaufen. Die Aufgabe bestehe darin, Lebensmittelverschwendung zu verhindern und gespendete Waren an Bedürftige weiterzugeben: Die Tafel sei eine freiwillige Leistung, "die nicht staatliche Hilfe ersetzen oder ergänzen soll", betonte Kulla.

Reinhold Pohle leitet die Tafel Bad Tölz gemeinsam mit seiner Kollegin Dagmar Pohle auf ehrenamtlicher Basis. Er beschrieb die Situation so: "Die Hauptbelastung ist der Stress am Nachmittag. Wir haben schon mehr Helfer für die Ausgabe bereitgestellt. Gleichzeitig müssen wir Waren sortieren und diese unglaubliche Zahl an Anmeldungen schaffen." Zum gestiegenen Andrang komme nun auch noch die Sprachbarriere hinzu, sagte Pohle. Die Tafel sei eine ehrenamtlich getragene Einrichtung und keine staatliche Institution, an die man entsprechende Ansprüche stellen könne. Das sei oft schwer verständlich zu machen, sagte Kulla. Helfern falle es schwer, zu vermitteln, warum die vorhandenen Lebensmittel fair auf alle Anstehenden verteilt werden müssen.

Auch die Tafeln Lenggries und Bad Tölz berichteten von Kommunikationsproblemen insbesondere mit Geflüchteten. Thomas Schneider von der Tafel Loisachtal arbeitet in seiner Ausgabestelle in Kochel mit Wortkarten auf Ukrainisch, um die wichtigsten Dinge zu vermitteln. An einigen Tagen stünden freiwillige ukrainische Dolmetscherinnen bereit, die aber nicht immer kämen, sagte Schneider. Helmut Kulla wendet sich deshalb an die gastgebenden Familien und Helferkreise. Sie sollten die Funktion und den freiwilligen Charakter der Tafel erklären, um Missverständnisse zu vermindern, bittet er.

Eine weitere Schwierigkeit stellen die unterschiedlichen Bedürfnisse der Nutzenden dar. Viele Geflüchtete leben in Sammelunterkünften. "Sie können keine Kartoffeln oder Nudeln brauchen, weil sie keine Kochgelegenheit haben. Dann bekommen sie Kekse, Äpfel und Wurst", sagte Reinhold Pohle. Helfer stellten gesonderte Lebensmittelpakete zusammen, die den Gegebenheiten in Sammelunterkünften gerecht würden. Bei jeder Ausgabe müsse deshalb aber geklärt werden, wo die Person untergebracht sei.

Um dieser Überlastung entgegenzuwirken, seien drei Dinge wichtig, so Kulla: "Lebensmittelspenden, Geldspenden und helfende Hände". Auch freiwillige Übersetzungsleistungen seien sehr willkommen.

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