Süddeutsche Zeitung

Vergessene Skisprungschanzen:Tölzer Ausstellung zum Abheben

Franz Mettal hat 33 Sprungschanzen im Oberland ausfindig gemacht. "Viele Münchner gingen in Icking Skifahren, Prominente wie Karl Valentin", erzählt er.

Von S. Schwaderer

Schon die blanke Zahl erstaunt: Nicht weniger als 33 Sprungschanzen hat Franz Mettal im Oberland ausfindig gemacht. Sein Forschungsgebiet erstreckte sich von Bayrischzell bis Schlehdorf und von Kreuth bis Icking. Was der 65-jährige Forstwirt, der für die Grünen im Tölzer Stadtrat saß, über die lokale Geschichte des Skispringens herausgefunden hat, präsentiert er nun in einer Ausstellung im Tölzer Landratsamt.

SZ: Die Ickinger Sprungschanze ist relativ bekannt, aber wo stehen die anderen 32?

Fast alle wurden Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre abgebaut, wenn sie da nicht ohnehin schon verfallen waren. So eine Schanze zu erhalten verlangt einen enormen Arbeitsaufwand, dazu kommen mittlerweile Auflagen des TÜV und des internationalen Skiverbands. Und Schnee muss natürlich auch da sein.

Wann war die große Schanzenzeit im Oberland?

Begonnen hat sie in den Zwanzigerjahren. Das Skispringen war ein Motor des Tourismus. Auch in Icking. Die Leute kamen mit der Isartalbahn angereist. Die Bahn stellte damals einen Teil des Geländes zur Verfügung, auf dem die Schanze gebaut wurde. Viele Münchner gingen in Icking Skifahren, Prominente wie Karl Valentin. Aber auch an ganz kleinen und unbedeutenden Orten wurden damals Schanzen gebaut, etwa am Sauersberg am Fuß des Blombergs. Die Gemeinden entwickelten einen großen Ehrgeiz: Überall, wo es möglich war, konnten Skispringer Hänge roden und Sprungtürme bauen. Zur Eröffnung kamen dann oft mehrere Tausend Leute.

Was bekamen sie zu sehen?

Die Sportler sind damals um die 30 bis 50 Meter weit gesprungen, kein Vergleich zu heute. Es gab drei unterschiedliche Sprungstile. Die habe ich für meine Ausstellung dokumentiert.

Was sonst zeigen Sie im Landratsamt? Haben Sie die alten Schanzen fotografiert?

Genau das hat der Archivar vom Skiverband mir auch geraten. Aber dann würden jetzt 33 Waldbilder an der Wand hängen. Die Schanzen sind verschwunden. Selbst Einheimische wissen nicht mehr, wo sie einst gestanden haben. In Tölz beispielsweise gab es drei Schanzen, zwei aus Holz und eine aus Schnee am Kogel. Zur Eröffnung der Sprunganlage an der Arzbacher Straße im Jahr 1949 sind 5000 Zuschauer gekommen. Heute sieht man am Auslauf nur noch den Beginn einer Wohnsiedlung.

Die Schanzen sind also seit 50 Jahren verschwunden, wie sah Ihre Recherche aus?

Ein paar Informationen findet man im Netz, weitaus ergiebiger waren die Kontakte zu diversen Skiklubs. Ich bin viel herumgefahren und habe die Leute ausgefragt, sie um alte Fotos gebeten. Auch das norwegische Skimuseum konnte Aufnahmen beisteuern.

Das Skimuseum in Oslo?

Ja, die Norweger haben in der Garmischer Gegend trainiert. Einer ihrer ganz großen Stars, Birger Ruud, hat 1934 einen Vortrag in Penzberg gehalten. Zwei Jahre später wurde er Olympiasieger. Nach dem Einmarsch der Nazis in Norwegen kam er ins KZ, weil er den Hitlergruß verweigerte.

Würdigen Sie ihn auch in Ihrer Ausstellung?

Ihn und zwei weitere Persönlichkeiten, die mit dem Oberland verbunden sind. Zum einen Franz Mechler, einen Tölzer, der 1934 das Neujahrsspringen gewonnen hat - das weiß heute kein Mensch mehr. Und zum anderen Carl Hailer aus Hechenberg bei Dietramszell, er war 1924 der Trainer der deutschen Nationalmannschaft und ein sportliches Multitalent. Außerdem habe ich fünf Skispringer interviewt, die teilweise über 90 Jahre alt sind. Ich hoffe, dass der eine oder andere auch zur Ausstellung kommen wird.

Woher rührt Ihre Leidenschaft für das Skispringen?

Ich bin Am Manfredhof in Tölz aufgewachsen und habe als Kind oft an der Schanzenanlage an der Arzbacher Straße gespielt. 1965 wurde sie dann abgerissen. Selbst gesprungen bin ich nie, aber ich war ein begeisterter Skifahrer.

Wie stehen Sie heute zum Skispringen?

Es hat keine Anziehungskraft mehr für mich: die hoch technisierten Anlagen, der Kunstschnee. Früher hatte dieser Sport eine ganz andere Bedeutung. Heute können die Jungen nur noch Skispringer werden, wenn sie in einem der Zentren wie Garmisch-Partenkirchen oder Oberstdorf aufwachsen. Das Thema ist für mich mit Nostalgie behaftet. Es war eine andere Zeit.

Eine Zeit, in der es noch Schnee gab?

Auch damals gab es schlechte Winter. Ich habe ein Foto, auf dem Ickinger den Schnee in Körben zur Anlaufspur tragen. Aber insgesamt sind die Winter viel unzuverlässiger geworden. Wenn sich die Gelegenheit bietet, gehe ich eine Skitour. Aber ansonsten muss man sich heute im Winter langsam ein anderes Hobby suchen.

"Verfallene Sprungschanzen im Oberland", Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen, Prof.-Max-Lange-Platz 1, Bad Tölz, Vernissage am Freitag, 15. November, 17 Uhr; die Ausstellung dauert bis 13. Dezember

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Quelle:
SZ vom 15.11.2019
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