Er hatte das geschafft, was viele damals für unmöglich hielten. Als Josef Niedermaier 2008 für die Freien Wähler erstmals als Landrat kandidierte, verwies er die bis dahin dominierende CSU in ihre Schranken. Genauer gesagt: Er zwang seinen Kontrahenten in die Stichwahl. Seine eigene Gruppierung hatte Niedermaiers Chancen für gering erachtet. Der Christsoziale Martin Bachhuber, der sich als stellvertretender Landrat bewährt hatte, schien gesetzt. Doch Niedermaier gewann. Ein unerwarteter Erfolg. Nun, nach 18 Jahren an der Spitze der Kreisbehörde, überraschte der 61-Jährige wieder die Öffentlichkeit. Dieses Mal mit einer Ankündigung: Niedermaier wird bei der Kommunalwahl 2026 nicht mehr antreten.
Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist, heißt es ja. Solange man noch Erfolg hat und sich mit gutem Gewissen und Gefühl verabschieden kann. Er habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, sagt Niedermaier. Doch sowohl für ihn persönlich als auch für den Landkreis sei dies die bessere Lösung. Ein politisches Spitzenamt zu verlassen, so scheint es, ist für den Tölzer nicht allein ein schlichter Akt, sondern zeugt von seiner Haltung. Oder mit den Worten der ehemaligen Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zu sprechen: „Überraschung ist ein Zeichen eines gut geplanten Rücktritts.“
Die Schlagzahl habe sich erhöht, sagt Niedermaier
Niedermaier empfängt in seinem Büro im Landratsamt auf der Flinthöhe in Bad Tölz, drei Wochen nachdem der 61-Jährige seine Mitarbeitenden sowie die Bürgerinnen und Bürger über seinen geplanten Rückzug informiert hat. In seiner Erklärung dazu hieß es, „das Herz sagt ja, der Verstand meldet Bedenken an. Die beiden ringen miteinander.“ Es sei nicht so, dass ihm die Motivation fehle, betont Niedermaier. Er habe lange darüber nachgedacht. Er spricht vom „Zusammensetzen von Puzzleteilen“. Das Bild, das sich für ihn ergeben habe, sei klar gewesen: Weitere sechs Jahre wolle er nicht mehr in dieser Verantwortung stehen, gesetzt den Fall, die Wählerinnen und Wähler würden ihn 2026 erneut ins Amt hieven.

Mehr als zwei Jahrzehnte im kommunalen Spitzenamt haben Spuren hinterlassen. Ehe Niedermaier Landrat wurde, saß er von 1996 an im Stadtrat Bad Tölz, 1999 wurde er Dritter Bürgermeister, am 20. Mai 2000 folgte er dem verstorbenen Albert Schäffenacker als Erster Bürgermeister im Amt nach. Dreimal trat er als Landratskandidat an (2008, 2014 und 2020). Niedermaier ist verheiratet, hat zwei Töchter und vier Enkel. Nach Abitur, Bäckerlehre und Meisterprüfung übernahm er als Geschäftsführer den Familienbetrieb in Bad Tölz.
„Ich habe keine gesundheitlichen Probleme“, stellt Niedermaier gleich zu Anfang klar. Doch nach einer weiteren Periode wäre er 68 Jahre alt, sagt er. Da beschleiche ihn schon ein Unbehagen, ob er seinem Anspruch, wie er das Amt des Landrats ausfüllen möchte, noch gerecht werden könne. „Und ich weiß genau, dass ich das nicht kann.“ Das Tempo, die Schlagzahl habe sich in den vergangenen Jahren deutlich erhöht, stellt er fest und erzählt von schlaflosen Nächten, die es durchaus gebe. „Ich habe Sorge, ob ich das alles physisch und psychisch noch werde schaffen können“, erklärt er. Man werde ja nicht jünger. „Ich bin der Letzte, der jammert. Aber ich habe mir meine Gedanken gemacht.“ Zumal sich der Umgangston geändert habe. Wenn zu viele Emotionen mitspielten, sagt er, sei es schwer, mit Argumenten zu trumpfen.
Ein guter öffentlicher Nahverkehr sei „ein Grundbedürfnis“
Kritik musste er in der Vergangenheit oft aushalten. Das bringt so ein Amt mit sich. Sei es, als es um den Erhalt der Geburtshilfe im Landkreis ging oder um neue Asylunterkünfte, gegen die sich Städte und Gemeinden wehrten. Überhaupt das Thema Kreisklinik Wolfratshausen: Darauf angesprochen, wird der Landrat leidenschaftlich. Eine Kooperation mit der Asklepios-Stadtklinik in Bad Tölz ist für ihn zwingend erforderlich, um in Zukunft in der Krankenhauslandschaft nach der Lauterbach’schen Reform bestehen zu können. „Aber das will keiner hören.“
Niedermaier hat den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) vorangetrieben. Das kostet viel Geld, was einigen Bürgermeistern nicht gefällt. Den ÖPNV attraktiver zu gestalten, sei jedoch existenziell, sagt er. Wer das nicht verstehe, sehe die Zeichen der Zeit nicht. „Wir erleben eine wirtschaftliche Rezession. Es werden sich Menschen in Zukunft vielleicht nicht einmal mehr ein Auto leisten können.“ Als Beispiel nennt der Landrat die 22 Jahre alte Verkäuferin, die um 6.30 Uhr nicht ihre Arbeit in der Tölzer Bäckerei beginnen kann, weil sie kein Auto hat und von Königsdorf aus mit dem Bus nicht rechtzeitig in die Kurstadt kommt. „Das sind die Probleme, die ich lösen muss.“ Man müsse den Mut haben, nachhaltig in diesen Bereich zu investieren. „Das ist nicht wünschenswert, das ist ein Grundbedürfnis.“
Als Erfolg wertet Niedermaier, dass die Kasernenkonversion in ein Dienstleistungszentrum gelungen sei. Der Kauf der Immobilie in Tölz unter seinem Vorgänger Manfred Nagler sei „absolut richtig“ gewesen, sagt er, wenngleich nicht unumstritten. Die daraus resultierende hohe Verschuldung sei inzwischen abgebaut worden. Der Landkreis stehe gut da – nicht zuletzt, da ihm die Grundstücke innerhalb des Karrees gehören. „Das sind Filetstücke, das sind Werte.“
Altersteilzeit ist für Landräte nicht vorgesehen. Für Niedermaier wäre so ein Kompromiss aber erwägenswert, wie er zugibt: Nochmals anzutreten und nach der Hälfte der Zeit aufzuhören – ja, sagt er, das wäre für ihn durchaus eine Option gewesen. Aber mit welcher Konsequenz? „Was sollte ich etwa bei Podiumsdiskussionen im Wahlkampf sagen? Sollte ich da lügen und behaupten, ich trete für die nächsten sechs Jahre an, obschon ich weiß, dass es nicht so sein wird?“ Da hätte auch seine Gruppierung, die Freien Wähler, nicht mitgemacht, ist er sich sicher. „Das habe ich zu akzeptieren.“ So kam es zu dem klaren Schnitt.


Und es gibt einen weiteren Grund für Niedermaiers Entscheidung. Einen, der den 61-Jährigen umzutreiben scheint. Würde er am 8. März 2026 wiedergewählt, rechnet der Landrat mit „zähen letzten zwei Jahren“. Damit meint er den Wahlkampf, wenn sich die Kandidaten und Kandidatinnen aller Parteien und Gruppierungen positionierten. Niedermaier erinnert sich, wie es zum Ende der Amtszeit des inzwischen verstorbenen Altlandrats Otmar Huber gewesen sei. „Das System ist so. Das möchte ich dem Landkreis ebenso wenig antun wie mir.“
Natürlich werde spätestens im Herbst der Wahlkampf losgehen, sagt Niedermaier. Aber die Monate bis zur Kommunalwahl seien sozusagen komprimiert. „Ich bin bis zum 30. April 2026 im Amt. Das ist überschaubar.“ Er möchte selbst gestalten, wie seine Amtszeit endet und sieht in seiner Entscheidung eine Chance für die politische Landschaft auf Kreisebene. Er hofft auf eine Erneuerung, auf frische Gesichter im Kreistag Bad Tölz-Wolfratshausen. Neue Personen, sagt Niedermaier, motivierten wiederum andere, sich zu engagieren.
„Totale Harmonie verblödet“
Wenn er höre, dass er doch der Garant für Stabilität sei, der sichere Hafen in stürmischen Zeiten, sei dies einerseits eine Ehre. Andererseits findet er das „brandgefährlich“. Solche Aussagen machten ihm „ein Stück weit Angst“, sagt Niedermaier. Er sei nicht der Wichtigste, betont er, auch er mache Fehler. Neue Ideen hätten noch nie geschadet. „Wie heißt es: Totale Harmonie verblödet.“ Es sei ein großes Privileg gewesen, mehr als zwei Jahrzehnte Spitzenpositionen innegehabt zu haben, aber „wenn ganz unten ein kleines Zahnrad nicht funktioniert, steht das große Uhrwerk still“.
Es laufe etwas schief, sollte sich jemand ausschließlich über seine politische Position definieren, findet Niedermaier. „Meine eigene Zufriedenheit hat nichts mit dem Amt des Landrats zu tun.“ Gedanken, was nach dem 30. April 2026 kommen mag, mache er sich nicht. Es werde eine „Zeit danach“ geben. „Sollte jemand meine Erfahrung und mein Netzwerk haben wollen, stehe ich zur Verfügung.“ Niedermaier könnte sich vorstellen, in Zukunft sein Wissen zur „Prozessoptimierung“ einzusetzen.


Der 61-Jährige ist nicht nur Landrat. Neben seinen vielen Ämtern, die er innehatte und noch hat, ist er Vorsitzender des Planungsverbands Region Oberland. Den Vorsitz nach seinem Rückzug abgeben zu müssen, falle ihm schwer, sagt er. Zumal es nicht der einzige Personalwechsel sein könnte: Miesbachs Landrat Olaf von Löwis kandidiert ebenfalls nicht mehr. Anton Speer aus Garmisch-Partenkirchen möchte seine Entscheidung bis Ende Mai bekannt geben und Landrätin Andrea Jochner-Weiß (Weilheim-Schongau) hat sich noch nicht entschieden.
Den Kandidatinnen und Kandidaten für die Landratswahl im kommenden Jahr macht der 61-Jährige ein Angebot: Sollte jemand zu ihm kommen für ein ehrliches Gespräch, teile er gerne seine Erfahrungen. Schließlich sollten sie wissen, was auf sie in diesem Amt zukomme. Seine Frau Andrea stehe ebenso für die Partnerinnen oder Partner zur Verfügung. Denn auch sie sollten sich darauf vorbereiten können. „Es waren schon welche da“, sagt Niedermaier. Namen verrate er aber nicht. „Die nächsten Monate“, sagt er nur, „werden spannend.“
Dass ihm ohne politische Verpflichtungen langweilig werde, glaubt Niedermaier nicht. Der 61-Jährige spielt leidenschaftlich Klarinette, ist Mitglied des Mühlfeldkirchenorchesters in Bad Tölz sowie der Tölzer Stadtkapelle. Und Niedermaier ist der Präsident des Musikbunds für Ober- und Niederbayern, ein Amt, das er weiter ausüben möchte. Er freue sich „unwahrscheinlich darauf, wieder mehr Zeit fürs Musizieren“ zu haben. „Ich suche musikalische Herausforderungen. Dann ist da noch das Radfahren.“ Außerdem hat Niedermaier die Enkelkinder Lukas, Anton, Albert und Lena im Alter zwischen eineinhalb und vier Jahren. Und würde er sich trotz alldem einmal langweilen, gebe es ja noch seine Frau Andrea. „Die sagt mir dann schon: Spinnst a bisserl. Das macht sie.“

