Bad Tölz-Wolfratshausen:Gewaltopfer müssen wieder bei null anfangen

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Wer im Frauenhaus Zuflucht sucht, hat Schlimmes hinter sich und eine weite Strecke vor sich

Eine im März 2014 veröffentlichte EU-Studie hat es an den Tag gebracht: 62 Millionen Frauen in der Europäischen Union sind Opfer von Gewalt. Deutschland schneidet in der groß angelegten Untersuchung der Europäischen Agentur für Grundrechte nicht gut ab. Der Anteil der über 15-jährigen Frauen, die physische oder sexuelle Gewalt erlebt haben, liegt mit 35 Prozent knapp über dem EU-Durchschnitt (33 Prozent). Im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen nimmt sich der Verein "Frauen helfen Frauen" der Opfer häuslicher Gewalt an. Darunter sind unter anderem Übergriffe zu verstehen von wütendem Wegschubsen und Ohrfeigen bis hin zum Schlagen mit Gegenständen, Verprügeln und Gewaltanwendungen mit Waffen. Oft ließen Frauen viele Jahre lang diese Tortur über sich ergehen, berichtet Sozialpädagogin Michaela Raphelt vom Verein. Die Gründe dafür seien mannigfaltig. Wenn die Frauen den entscheidenden Schritt täten, verlören sie oftmals alles.

"Diese Frauen fangen bei null an", sagt Raphelt. Das soziale Umfeld sei weg, das Zuhause, in vielen Fällen die finanzielle Absicherung. Mit nichts als einer Reisetasche - wenn überhaupt - kämen die Betroffenen an. Nur ein Frauenhaus gibt es im Landkreis. "Für unser Einzugsgebiet, das bis nach München reicht, zu wenig." Im Jahr 2013 mussten 50 Frauen abgewiesen werden. Das Haus mit sechs Zimmern und einem Notzimmer sei ständig überbelegt. Aber so ein sicherer Ort sei wichtig, denn die Frauen seien oftmals einer ständigen Gefährdung durch den verlassenen Partner ausgesetzt. Nach den Richtlinien für bayerische Frauenhäuser sollten die Frauen möglichst nur sechs Wochen dort bleiben. In der Realität sieht dies anders aus, weil sie eben geschützt werden müssen. Auch der Wohnungsmarkt im Landkreis mache es ihnen nicht gerade leichter, sagt Raphelt. Fast alle Frauen lebten nach ihrer Trennung von Arbeitslosengeld II oder verdienten wenig. Wovon sollten sie sich etwa die Maklergebühren leisten können. Mit Spannung wartet daher der Verein auf eine Entscheidung, ob diese Gebühren künftig der Vermieter übernehmen muss. "Wir bräuchten einen Pool, um den Frauen die Maklergebühren als Darlehen - zumindest teilweise - vorstrecken zu können."

Der Verein bietet nicht nur ein sicheres Obdach. Nach ihrem Aufenthalt werden die Frauen beraten und begleitet. Dazu gehört die Unterstützung bei Gerichtsprozessen oder eine psychosoziale Betreuung. Denn die Frauen müssten die erlebte Gewalt in ihren Beziehungen aufarbeiten.

Viele kommen nicht alleine ins Frauenhaus. 2013 wurden dort 29 Kinder beherbergt. Auch sie werden betreut, da die Kinder Zeugen von Gewalt wurden, betont Raphelt. Studien zufolge zeigten solche Kinder dieselbe Symptomatik wie Misshandlungsopfer. Der Verein ist auf Spenden für Therapiestunden, Malkurse, Nachhilfestunden oder einen Besuch im Hochseilgarten angewiesen. Noch einen Wunsch haben "Frauen helfen Frauen". Um Möbel einlagern zu können, bräuchte der Verein eine günstigen Raum oder eine Garage. "Vielleicht kostenlos", sagt Raphelt. Wer helfen kann, meldet sich unter Telefon 08171/186 80.

© SZ vom 13.12.2014 / veca - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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