Bad Tölz-Wolfratshausen:60 Schlauchboote pro Stunde

An der Isar sind heuer so viele Paddler unterwegs wie noch nie. Für die einen ist es der Spaß des Sommers. Doch Retter und Naturschützer ärgern sich über Müll und gefährliche Billig-Aufblas-Kähne

Von Klaus Schieder, Bad Tölz-Wolfratshausen

In diesem Bilderbuchsommer saß Fabian Unger einmal eine Stunde lang an der Isar. 60 Schlauchboote habe er in dieser Zeit gezählt, erzählt der Projektmanager vom Landesbund für Vogelschutz (LBV). Rein statistisch gesehen also eines pro Minute. Ob von Lenggries nach Bad Tölz oder von Wolfratshausen nach München - der Freizeitspaß auf dem Fluss ist heuer an heißen Tagen und vor allem am Wochenende ein Massenvergnügen. Darunter leidet die Natur: Uferplätze verwandeln sich in Müllhalden, Vögel werden auf Kiesbänken beim Brüten gestört, Grillpartys steigen an Stellen, wo sie verboten sind.

Isar Stromschnellen Kajak Kanu Schlauchboot

Diese Aufblas-Kanuten sind ganz gemächlich unterwegs. Doch die Umweltschützer ärgern sich immer mehr über die Party-Kapitäne

(Foto: Manfred Neubauer)

Sorgen bereiten den Naturschützern nicht die kommerziellen Anbieter von Touren, sondern die vielen privaten Bootfahrer. Sie hinterließen den größten Schaden, sagt Achim Rücker, Ortsvorsitzender des Bundes Naturschutz in Tölz. An den Ausstiegsstellen ließen manche alles liegen, "der Müll, das ist das Schlimmste". Unter den Hinterlassenschaften hat er auch schon mal ein Schlauchboot selbst entdeckt. Für Andreas Huber, einen der beiden Isarranger im Landkreis, ist das beileibe kein Einzelfall. Fast jede Woche finde er ein Boot, das am Ufer zurückgelassen wurde, berichtet er. Ein altes, ein billiges oder eines, das auf der Fahrt gegen Haufen Totholz prallte und kaputt ging. Das hing dann "kapitänslos am Isarspitz in Weidach irgendwo zwischen den Büschen", sagt Huber. Einmal brachte eine Gruppe ein Boot noch in der Originalverpackung an die Isar. Huber weiß dies, weil er dann die Kartonage am Ickinger Wehr fand. "15 Kartons", sagt er. Die privaten Freizeitkapitäne will er gar nicht in Bausch und Bogen verurteilen. Bei 97 von 100 "fehlt sich nix", aber gerade bei längeren Schönwetterperioden sei eben auch "ein anderes Völkchen unterwegs".

17 Schiffbrüchige

musste die Wasserwacht im vorigen Jahr allein im Juli und August zwischen Tattenkofener Brücke und Wolfratshausen aus der Isar retten. Anschließend war der Fluss für sechs Wochen gesperrt, weil ein Baum, der hineingestürzt war, eine zu große Gefahr für die Schlauchboot- und Kanufahrer bildete. An vielen Wochenenden passiere gar nichts, sagt Ingo Roeske von der Wasserwacht. Wenn es aber Hochwasser habe oder besonders heiß sei, steige die Zahl der Einsätze.

Der Strafenkatalog

Abfall, Ärger, Schiffbruch: Wer sich als Bootfahrer an der Isar daneben benimmt und erwischt wird, muss zahlen. Wie hoch die Strafe ausfällt, ist von Fall zu Fall verschieden. "Es kommt immer auf den Umfang an, wie groß das Feuer ist und wie es mit dem Müll letztendlich ausschaut", sagt Franz Steger vom Sachgebiet Umwelt im Landratsamt.

Grundlage ist der Bußgeldkatalog Umweltschutz, den das Innenministerium und das Umweltministerium in Bayern herausgegeben haben. Demnach wird grundsätzlich zwischen Verfehlungen in einem Naturschutzgebiet - wie den Isarauen zwischen Bad Tölz und Schäftlarn - und in einem Landschaftsschutzgebiet unterschieden. In einem Naturschutzgebiet fallen die Strafen etwas höher aus.

Wer dort zum Beispiel ein altes Schlauchboot oder anderen Müll einfach zurücklässt, muss mit einem Bußgeld zwischen 75 und 2500 Euro rechnen. 50 bis 1500 Euro sind dafür im Landschaftsschutzgebiet fällig. Wer abseits eigens ausgewiesener Stellen grillt oder ein Lagerfeuer entzündet, zahlt ebenfalls zwischen 75 und 2500 Euro respektive zwischen 50 und 1500 Euro. Der selbe Strafrahmen gilt auch für das Zelten oder das Übernachten in Wohnmobilen im Natur- oder im Landschaftsschutzgebiet, ebenso für das Lärmen, beispielsweise durch laute Musik aus Ghettoblastern. sci

Für Unger birgt der massive Bootsverkehr aus der Isar vor allem Probleme für Vogelarten wie den Flussregenpfeifer oder den Flussregenläufer, die im Frühjahr und Sommer auf den Kiesbänken brüten. "Sie ergreifen relativ schnell die Flucht", sagt er. Mit einigen kommerziellen Anbietern aus der Region wurde eine freiwillige Selbstvereinbarung getroffen, solche Brutplätze von Mai bis Juli zu meiden. Ob dies viel bringt, ist eher zweifelhaft. Es gebe viele auswärtige Firmen, die Isartouren im Programm haben, sagt Unger. "Sogar aus Tschechien. Die kriegt man nicht ins Boot."

Isar Stromschnellen Kajak Kanu Schlauchboot

Es werden mehr: Beobachter haben an schönen Tagen schon 60 Schlauchboote in der Stunde gezählt - Probleme machen vor allem manche Privatleute.

(Foto: Manfred Neubauer)

Auch der Spezialveranstalter "Action & Funtours" aus Gauting, der Bootstouren von Bad Tölz aus anbietet, ist nicht dabei. Das habe aber nichts mit den darin festgeschriebenen Regeln zum Schutz der Natur zu tun, stellt Geschäftsführerin Annette Irzinger klar. "Wir sind hier völlig d'accord." Sie stört sich an einigen anderen Vorgaben, die sie für zu eng hält. Zum Beispiel: Die Helmpflicht für jeden, der auf der Isar Boot fährt, "halten wir für übertrieben". Während eine Schwimmweste selbstverständlich sei, müsse ein Helm auf einem ruhigen Flussabschnitt und einem geringen Wasserstand nicht sein. Irzinger sieht dies sogar kontraproduktiv: Leute, die sich sonst ein professionelles Boot ausleihen, seien dann eben privat in einer billigen Version aus dem Supermarkt unterwegs. Gerade die Leute, die sich mit billigen Booten vom Discounter wagen, machen der Wasserwacht Sorgen. Die einkammerigen Boote gingen sofort kaputt, wenn man mit ihnen gegen einen Baum oder ein anderes Hindernis fahre, sagt Wasserwachtleiter Ingo Roeske.

Den Eindruck, dass die Isar in diesem Sommer stärker als sonst bevölkert ist, bestätigt Irzinger. Ja klar, sagt sie, heuer habe sie mehr Kunden, "am Wochenende sind wir immer ausgebucht." Sie bietet geführte Touren mit einem Bootsführer an, zudem verleiht sie Schlauchboote, wobei die Mieter neben Schwimmwesten auch eine Einführung in die Route und den Naturschutz bekommen. Das hält auch Hans Jochen Lautner so. Seine Boote verleiht der Inhaber von Alpine Rafting aus München vor allem für Fahrten ab Wolfratshausen, weniger im Süden des Landkreises. Seine Einweisungen in Gefahren auf dem Fluss, Vogel- und Naturschutz verfangen bei einige Kunden allerdings nicht. Über die dümmsten Bootfahrer der Welt könne er ein Taschenbuch schreiben, "das wäre sicher ein Bestseller", sagt Lautner. Über einen, der partout von Wolfratshausen nach Bad Tölz fahren wollte und nicht einsah, dass er dann gegen die Strömung paddeln muss. Über Gruppen, die mit kleinen Kindern in Billigbooten und ohne Schwimmweste unterwegs sind. Über Jugendliche, die sehenden Auges gegen Äste fahren und ins Wasser fallen.

Den Naturschützern bleibt dennoch kaum ein anderes Instrument als die Aufklärung. Zusammen mit dem Isartalverein hat der LBV im Zuge des Hotspot-Projekts "Alpenflusslandschaft" einige Info-Tafeln an der Isar aufstellt, die auf gefährdete Tier- und Pflanzenarten hinweisen. Am Bootseinstieg in Lenggries wurden gemeinsam mit dem Verein "Rettet die Isar" ebenfalls Hinweisschilder angebracht. Unger ist jedoch skeptisch. "Ich glaube nicht, dass man damit etwas ändern kann", sagt er. Seine Schlussfolgerung: noch besser, noch intensiver informieren. "Man kann ja mal mit einem Info-Stand an die Isar gehen." Am besten an so einem Tag, an dem wieder 60 Schlauchboote pro Stunde vorbeischippern.

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